Bildräume
Es ist meist nicht gut, wenn Maler schreiben oder Philosophien zum Besten geben, aber nachdem ich nicht selbst anwesend sein kann, möchte ich auf die Frage, warum ich so male, hier versuchen, die Antwort zu geben. Über vieles kann ich gar keine Auskunft geben, weil es sich der Kontrolle des Verstandes entzieht. Einiges mag sogar unbewußt übernommene fremde Form sein, ich berichte zunächst über den mir bewußten Arbeitsvorgang und Formungswillen.
Die Bilder entstehen aus dem schöpferischen Wunsch nach neuen Räumen.
Damit diese Räume erlebt werden können, brauchen sie Gegenstände, Bewegung und Licht. Zunächst scheint es gleichgültig, welcher Art diese Gegenstände, Bewegung und Licht sind und in welcher Art sie die Bildfläche füllen, aber der Umgang mit diesen Dingen ließ mich etwa Folgendes erkennen:
1. Als Gegenstände bieten sich an: verformtes Organisches, frei erfundene, ausgehöhlte und durchlöcherte, aus der ihnen gemäßen Umgebung herausgerissene, aus anderem Material gebildete, ihres ursprünglichen Sinnes entfremdete Formen, außerdem alle Kombinationen dieser Möglichkeiten. (Auch Raum, Bewegung, Licht und Farbe sind "verfremdet"). Warum sich diese Formen anbieten, weiß ich nicht, indes sind diese oder ähnliche Vorgänge innerhalb der "Moderne" schon längst bekannt und von berufener Seite zu deuten versucht worden.
2. (Was, glaube ich, auch schon von anderen Leuten entdeckt worden ist, nachdem die erste Epoche des Surrealismus, die sich im bloßen Durcheinanderwerfen gefiel, vorbei war.) Es zeigt sich ein bis dahin unbekanntes Gesetz, das eine bestimmte Ordnung der Form verlangt, und das ein Bild, in dem dieses Gesetz erfüllt ist, als gut, wenn es nicht erfüllt ist, als schlecht erscheinen läßt. Eine nähere Bezeichnung, worin das "gut" besteht, ist mir nicht möglich, es zeigt sich dem Beschauer des Bildes, falls er dafür empfänglich ist und sich von den verfremdeten Bildformen nicht mehr abstoßen läßt, was eine Sache der Gewohnheit ist.
3. (Hier begebe ich mich auf schwieriges Gelände, denn bei einem schöpferischen Vorgang bei sich selbst zu untersuchen, in welcher Bewußtseinsschicht die Entscheidungen fallen, ist ein Unternehmen, bei dem man meist irre geht.) Wenn die formale Gesetzmäßigkeit erfüllt ist, stellt sich ein nicht geahnter Sinn ein; ich glaube, daß diese Erkenntnis auf gleicher Linie liegt wie die Aussage Dantes: "Geordnet zueinander sind alle Dinge, dieses Gesetz allein macht, daß das All der Welt Gott ähnlich sei." Ich muß versuchen, deutlicher zu werden, denn diese Gedankengänge rechtfertigen meine Kunst oder rechtfertigen sie eben nicht. Nochmal: Ich nehme Dinge, die nichts miteinander zu tun haben, ordne sie nach einem unbekannten, aber erspürbaren Gesetz, und es ergibt sich eine Aussage, die keineswegs in meiner Absicht lag, und zwar immer markanter und verblüffender, als eine beabsichtigte Aussage sein könnte.
(Text: Wolfgang Lettl)
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