Genredarstellungen finden sich bei Rembrandt fast nur in Zeichnungen und Radierungen. Hier ist ein unartiges Kind wiedergegeben, das von seiner Mutter oder einer Amme offenbar aus dem Zimmer getragen wird. Der Kleine schreit und strampelt, so daß sich sein Hemdchen hochschiebt und ein Schuh verloren geht. Eine alte Magd gibt ihm Ermahnungen mit auf den Weg, und zwei Kinder schauen dem Treiben interessiert zu. Auf den ersten Blick scheint es, Rembrandt habe diese Szene nach dem Leben gezeichnet. Früher glaubte man gar in solchen Familienschilderungen Rembrandts Frau Saskia und seine Kinder zu erkennen. Aber gerade bei seinen Kinderdarstellungen fällt auf, daß sich Gesichter und Gebärden formelhaft wiederholen. Den gleichen Knaben wie auf diesem Blatt hielt Rembrandt mehrfach fest, u.a. auf der Dresdner Zeichnung mit dem vom Adler entführten Ganymed. Sicherlich hat er im Alltag derartige Szenen sehr genau beobachtet, aber er wird sie aus der Erinnerung aufs Papier gebracht haben, wofür man den Begriff »van onthout« (aus dem Gedächtnis) gebrauchte. Und für das seltene Motiv eines schreienden Knaben bot vermutlich eine antike Statuette Modell, die Rembrandt besaß. Seine Kunst bestand darin, dennoch den Anschein beobachteter Realität zu wahren.