Simeons Prophezeiung „Deine Seele wird ein Schwert durchdringen“ (Lk. 2,35) ist Grundlage für die Darstellung der Schmerzensmutter, eines seit dem Spätmittelalter populären Andachtsthemas. Der meditative Nachvollzug des Mitleidens der Muttergottes mit ihrem Sohn ist typisch für eine in vorreformatorischer Zeit rege Kultur der Laienfrömmigkeit. Dürers mater dolorosa war ursprünglich U-förmig von Einzelszenen umgeben: den „Sieben Schmerzen Mariens“, von Christi Beschneidung bis zur Beweinung (heute in Dresden). Damit ähnelte die wohl vor 1588 zerlegte Altartafel italienischen Vitenretabeln. Die nachträglich beschnittene Muschelform, ein Renaissance-Ornament, und das an Madonnen Giovanni Bellinis erinnernde Mariengesicht deuten auf südliche Einflüsse, vielleicht in Folge von Dürers Reise von 1494/95.