Anläßlich des achtzigsten Geburtstages des Gelehrten Theodor Mommsen (1817–1903) wollten einige Freunde der Familie ein Porträt des Jubilars von Lenbach malen lassen. Mommsen reiste in Begleitung seiner Tochter nach München. Lenbach machte in seinem Atelier in drei Sitzungen von je ein bis zwei Stunden Skizzen und ließ Mommsen zugleich durch den Fotografen Karl Hahn, der sein Gerät hinter einem Vorhang aufgebaut hatte, mehrfach aufnehmen. Hahn habe die Platten vorbehandelt, so daß er ohne Blitzlicht arbeiten konnte, berichtete die Tochter später dem Enkel Konrad Mommsen. »Beim Abschied am letzten Sitzungstag habe ihr Herr Hahn fast heimlich und nur zur persönlichen Erinnerung (Prof. Lenbach dürfe davon nichts wissen) einige Abzüge geschenkt« (zit. nach: Malerei nach Fotografie, Ausst.-Kat., München 1970, S. 84). Noch war die Verwendung der Fotografie als Hilfsmittel anrüchig und wurde doch zu dieser Zeit so exzessiv wie kaum jemals wieder eingesetzt (vgl. Franz von Stuck, »Tilla Durieux als Circe«, Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland in der Nationalgalerie).
Franz von Lenbach bot der Familie zwei nach seinen Studien gefertigte Gemäldefassungen zur Auswahl, eine Ansicht ›en face‹ und eine im Dreiviertelprofil nach rechts. Familie Mommsen entschied sich für die detailgenau ausgeführte Frontal-Ansicht (heute Stiftung Stadtmuseum Berlin), sie fand in der Berliner Gesellschaft großen Anklang: Mommsen ist als Denker dargestellt, durch kein Attribut erklärt, aber durch ein bedeutungsvolles Gesicht gleichsam geadelt, für diese Art von Würdigung wurde Lenbach hochgeschätzt. Ludwig Knaus hatte Mommsen 1881 für die Nationalgalerie als Träger des Ordens Pour le Mérite gemalt und sowohl dessen Profession als auch Ansehen und Rang mit Hilfe von Requisiten im Bild beschrieben (Nationalgalerie, Inv.-Nr. A I 315).
Tschudi erwarb für die Nationalgalerie 1898 eine der im Zusammenhang mit Lenbachs Porträtauftrag entstandenen Studien in Öl auf Pappe. Sie zeigt den Gelehrten leicht im Profil. »Er hat uns nicht Menschen überliefert, sondern seine Gedanken über berühmte oder schöne Menschen. Der ›echteste‹ Lenbach der Nationalgalerie ist darum das Bildnis Professor Mommsens. Diese Manier, nur den Kopf zu geben und alles Andere nur anzudeuten, frei zu scheinen ohne es zu sein, ein ›sprühendes‹ Leben zu malen: das ist ganz Lenbach. […] Ein gemaltes Feuilleton über die Bedeutung Mommsens« (K. Scheffler, Die Nationalgalerie, Berlin 1912, S. 205). | Angelika Wesenberg
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