Johann Heinrich Füssli wählte mit Vorliebe märchenhafte Szenen aus Shakespeares Dramen für seine Bilder. Hier ist eine Szene aus dem «Sommernachtstraum» dargestellt: die Feenkönigin Titania, die sich, von ihrem eifersüchtigen Gemahl Oberon verzaubert, in den eselsköpfigen Webermeister Zettel verliebt. Mit beiden Armen umschlingt sie das Mischwesen und weiss in ihrer Liebestollheit noch nichts von der Demütigung, die sie erwartet. Umschwebt wird sie von den vielgestaltigen Naturgeistern ihres Hofstaates. Rechts oben, aus dem Dunkel taucht das fratzenartige Gesicht von Puck auf. Er ist der Handlanger des Feenkönigs, der seine Macht unterstützt und umsetzt. Sein Zaubertrank wird auch die beiden jungen Frauen, Hermine und Helena, die aus der Waldlichtung hinzutreten, in eine unglückliche Lage bringen. Unter falscher Anwendung des Zaubersaftes werden sie von ihren Liebhabern verwechselt.
Den grössten Teil seines Lebens verbrachte Füssli in England, wo er zunächst schriftstellerischen Aktivitäten nachging. Erst mit 30 Jahren widmete er sich gänzlich der Malerei und Zeichenkunst. Als englischer Maler errang er Ruhm und Ansehen und wurde in der St. Paul’s Cathedral bei den berühmten Künstlern Englands beigesetzt. Seinen charakteristischen Stil jedoch bildete er in Rom aus, wo er acht Jahre lebte. Nicht um akademische Fähigkeiten, wie korrekte Aktzeichnung, Faltenwurf oder dekoratives Beiwerk ging es ihm, noch um Naturnachahmung. Ihn interessieren die Grenzbereiche der Psyche, der Phantasie und des Traumes. Im Zentrum steht dabei die wirkungsvolle Erfindung, die unmittelbar aus der Einbildungskraft geschöpft ist, und die Seele des Betrachters durchdringt.
Das Kunsthaus Zürich besitzt weltweit die herausragendste Sammlung Johann Heinrich Füsslis. Dass dies so ist, beruht – obgleich der Künstler in Zürich geboren wurde – nicht auf Erbschaft, sondern ist weitgehend das Verdienst des ersten Kunsthausdirektors Dr. Wilhelm Wartmann. Er sammelte systematisch Gemälde und Zeichnungen Füsslis und widmete ihm zwei grosse Ausstellungen.