Die kleine Kanne mit ihrem noch kleineren, miniaturhaften bildlichen Dekor zählt zu den bekanntesten Stücken im Repertoire der griechischen Kunstwerke erotischen
oder explizit sexuellen Inhalts. In keinem Handbuch zur Sexualität in der griechischen Antike fehlt die Darstellung der intimen Begegnung des sitzenden Jünglings mit der jungen Frau, wohl einer Hetäre (›Kurtisane‹). Eng an seinen Lehnstuhl geschmiegt, die Arme an der Sitzfläche festgeklammert, die aneinander gepressten Beine mit dem auf die Knie gerutschten Gewand lang ausgestreckt, ist der junge Mann bereit zum Vollzug des Liebesakts mit seiner vollständig nackten Gefährtin. Die Initiative geht eindeutig von der Frau aus. Aufgrund gesellschaftlicher Normen und bildlicher Konventionen kann es sich bei dieser nicht um eine ehrbare Bürgerin, sondern eben nur um eine Prostituierte handeln. Dagegen spricht auch nicht die innige Note, die durch die leichte Berührung der Köpfe und durch den Blickkontakt gegeben ist. Die in langen Locken auf Schläfen und Hals herabfallenden Haare kennzeichnen den Sitzenden unmissverständlich als Jüngling, der offenbar seine ersten sexuellen Erfahrungen im Kontext eines Symposions oder eines Bordellbesuchs sammelt. Der Name des Vasenmalers hochklassischer Zeit ist uns unbekannt. Rund 80 Tongefäße meist kleineren Formats, darunter auffällig viele Kannen, sind ihm aus stilistischen Gründen zugeschrieben worden; kein einziges dieser Gefäße ist signiert. Den archäologischen Hilfsnamen vergab J. D. Beazley nach einer Amphora in der St. Petersburger Eremitage, die wahrscheinlich von dem russischen Sammler Iwan Iwanowitsch Schuwalow im 18. Jahrhundert in Italien erworben worden war. Aus Italien, und dort vor allem aus der Stadt Spina im Po-Delta sowie aus Kampanien und Lukanien im Süden, stammen denn auch die meisten der diesem Maler zugewiesenen Stücke. Produziert haben er und seine Werkstatt in Athen zwischen 440 und 410 v. Chr., also im Zeitalter des Perikles und des Peloponnesischen Krieges.