Pisanello zählt zu den herausragendsten Vertretern der höfischen Wanderkünstler in der ersten Hälfte des Quattrocento. Seine Ausbildung wird er im veronesischen Kreis insbesondere Gentile da Fabrianos erfahren haben, in dessen Gefolge er 1415–22 in Venedig arbeitete. Nach Aufträgen in Pavia, Mantua und anderen Orten hält er sich spätestens von 1431 bis 1432 in Rom auf, um die beim Tode Gentiles 1427 unvollendeten Fresken in der Lateransbasilika fertigzustellen.
Der stehende Petrus auf unserem Blatt ist mit den dortigen Figurentypen Gentiles verwandt. Auch der Zusammenhang mit dem sog. „Römischen Skizzenbuch“, einer Musterblattsammlung der Gentile-Werkstatt mit vielen Antikenstudien und dem Gros der bekannten Pisanello-Zeichnungen, spricht für eine Datierung der Zeichnung um 1430; einige stilistische Eigenheiten wie die greiferartigen Hände mögen eine noch etwas frühere Entstehung nicht ausschließen. […]
Da der Apostel offensichtlich nachträglich aufgenommen wurde, war es wohl Absicht, den „garzone“ […] mit einer konventionellen Mantelfigur nach einer Erfindung seines Lehrers zu kontrastieren. Dies ist – nach den Ursprüngen im Trecento – ein Musterbuchblatt neuer Art. Noch vor dem Erscheinen des berühmten Traktats „Della Pittura“ von Alberti (1436), in dem erstmals das Studium nach dem Nackten empfohlen wird, leuchtet das zentrale Thema der Renaissance auf: die in Proportion, Anatomie und Bewegung jeweils einzigartige, sichtbare Gestalt des menschlichen Individuums. Pentimenti zwischen Bauch und Oberschenkel der linken Profilstudie, die nachdrückliche Verstärkung ihres hinteren, weiter entfernt liegenden Arms sowie die Übergänge zwischen Oberarm, Schulter und Rückenlinie lassen uns nachvollziehen, wie schwierig dieser noch ungewohnte Versuch für Zeichner und Modell gewesen sein mag.
Text: Hein-Th. Schulze Altcappenberg
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