Das Bild entstand während eines dreijährigen Aufenthaltes Joseph Anton Kochs in Wien, wo er auf einen Kreis romantischer Schriftsteller stieß, dessen Mittelpunkt der Philosoph Friedrich Schlegel war. Schlegels Auffassungen von idealer, ›historischer‹ Landschaftsmalerei waren den seinen verwandt und bestärkten ihn auf seinem Wege: »Diese Gegend ist ganz Geschmack des Caspar Poussin, nur im Kolorit lustiger« (zit. nach: O. R. von Lutterotti, J. A. Koch, Berlin 1940, S. 156). Als Schöpfer der ›heroischen Landschaft‹ im 17. Jahrhundert gehörte zwar Nicolas Poussin zu Kochs Leuchttürmen, doch in diesem Fall ist sein Zeitgenosse Gaspard Dughet, genannt Poussin, gemeint, in dessen Kompositionen Koch mehr heitere Natürlichkeit, wenn auch weniger Großartigkeit fand. Denselben Flußabschnitt, zwei Jahre zuvor aus anderem Blickwinkel und in größerem Format gemalt (»Gegend bei Subiaco«, 1811, ehemals Museum der bildenden Künste Leipzig, seit 1945 verschollen), feierte man in München als »unstreitig die Krone der Ausstellung im Landschaftsfach, ein Werk von eigentümlichem, aber echt deutsch zu nennendem Stil« (zit. nach: ebd., S. 287).
Glatt wie ein stiller See legt sich das Blau des Flusses Anio um eine kleine baumbestandene Insel – im Hintergrund erblickt man Badende –, und ehe sich die beiden Arme auf tieferem Niveau wieder vereinigen, bilden sie zwei kleine Wasserfälle. Der schattige Vordergrund setzt erst in einiger Entfernung vom Betrachter an; ein umgestürzter Baum grenzt ihn nach vorn ab. Immer wieder suchte Koch leicht erhöhte Standpunkte, die einen freien Blick in die reich entfaltete Ferne erlaubten und durch die eine Überschneidung von Motiven möglichst vermieden werden konnten. Gemächlich überquert der Blick das Flußtal und gewinnt über hügeliges, besiedeltes Gelände die Höhe der Sabiner Berge, wo sich der Fels unter dem lapislazuliblauen Himmel von der Vegetation verabschiedet. Keine Luftperspektive verschleiert die Klarheit der Linien, doch nicht nur an diesen werden die Dimensionen des Raumes erlebt: Sie sind auch hörbar, denn auf dem kleinen Plateau links spielt ein Hirt den Dudelsack. Über das Wasser hinweg leitet der Klang seines Instruments schräg durch das Bild nach vorn, und als genaue Fortsetzung dieser Schräge tritt die Hirtenfamilie mit dem Esel aus dem Schatten hervor.
Diese Gruppe wiederholt sich unter anderem in der »Landschaft bei Ronciglione« (1815, Hamburger Kunsthalle). Die biblische Reminiszenz ist deutlich: Durch die Campagna-Landschaft zieht eine säkularisierte heilige Familie auf ihrem Weg nach Ägypten. Koch, der einstige Jakobinerfreund, mißtraute zwar den Priestern, nicht aber dem Christentum; und wie in seiner Hirtenfamilie das Neue Testament nachklingt, so darf man in der vielteiligen Landschaft, die Stufe für Stufe aus Idylle und Mühsal menschlichen Lebens zur zeitlosen Erhabenheit der Berge hinleitet, ein Resümee der göttlichen Schöpfung erkennen. In diesem Zusammenhang deutet die entwurzelte Eiche vorn symbolisch auf die Gefährdungen des Diesseits hin – und zugleich der Gegenwart, die mit ihren Nutzbauten und Uferbefestigungen, mit rauchenden Schornsteinen im Bilde präsent ist und sich zwanglos in das ›ideale‹ Ganze einordnet. Nur solch ein umfassendes System aus Natur und Menschenleben, jenseits der konventionellen Einteilung der Kunstgattungen – Historienmalerei, Landschaftsmalerei, Genremalerei – konnte nach Kochs wiederholt vorgetragener Ansicht die bloße Nachahmung der Natur überwinden. | Claude Keisch
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