Das kleine Gemälde, das sich beim Tode Klimts 1918 in dessen Atelier fand, zählt zu den letzten Arbeiten des Künstlers. Es ist ein großartiges Beispiel für elementaren bildnerischen Ausdruck, voller Spontaneität und Spannung zugleich. Es handelt sich um ein unvollendetes, nicht abgeschlossenes Werk, doch ist es gerade dieser Umstand, der den besonderen Reiz des Gemäldes ausmacht und es aus dem Gros der Frauenbildnisse Klimts heraushebt.
Klimts Frauenkopf ist ein Bild von großer Zeitlosigkeit und Lebendigkeit, konzentriert auf die wesentlichen Anliegen eines Porträts. Sicherheit und Vehemenz der Zeichnung korrespondieren mit den wenigen, konzentriert gesetzten Farbpartien um das Gesicht. Das „Unfertige“ des Bildes, das für ungeübte Betrachter eventuell ein Manko darstellt, erweist sich als Plus an Ausdruckssteigerung. Die zentrale Komposition stützt sich auf das enorme zeichnerische Können von Klimt. Zwischen der Partie des Gesichts und den vehementen zeichnerischen Umrisslinien besteht ein großes Spannungsverhältnis. Bezogen auf eine gewisse Kühle und Distanziertheit lässt sich diese Aussage auf die innere Befindlichkeit der unbekannten, geheimnisvoll wirkenden Porträtierten und die offensichtlich gegebene Selbstsicherheit einer modernen Frau übertragen.
Text: Peter Baum