Das verschwundene Museum

Die Verluste der Berliner Gemälde- und Skulpturensammlungen 70 Jahre nach Kriegsende

Der Flakbunker am Zoo um 1945 (2016) von UnbekanntBode-Museum, Staatliche Museen zu Berlin

Erinnerung

In den Flaktürmen im Friedrichshain und am Zoo (hier im Bild) wurden seit 1941 die Schätze der Berliner Museen vor den Luftangriffen in Sicherheit gebracht. Im Friedrichshain befanden sich unter anderem die 1636 kostbarsten Bilder Alter Meister aus der Gemäldegalerie des Kaiser-Friedrich-Museums, dem heutigen Bode-Museums. Im Mai 1945 zerstörten zwei verheerende Brände im Flakbunker Friedrichshain große Teile der dorthin ausgelagerten Berliner Sammlungsbestände. Die Ursachen dieser Brände wurden nie aufgeklärt und sind zum Gegenstand der Legendenbildung geworden.

Ausstellung von Schätzen der Berliner Gemäldegalerie 1948 in der National Gallery of Art in Washington (2016) von UnbekanntBode-Museum, Staatliche Museen zu Berlin

Andere Meisterwerke der Berliner Gemäldegalerie, die von der US-Armee 1945 an ihren Auslagerungsorten in Thüringen beschlagnahmt worden waren, gingen anschließend auf Ausstellungstournee durch die Vereinigten Staaten. Nach einer Zwischenstation in Hessen wurden sie in den 1950er-Jahren zusammen mit anderen Beständen an die Museen der neu gegründeten Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Westen Berlins zurückgegeben. Parallel kehrten von den rund 2,5 Millionen Sammlungsstücken die 1945/46 von der Roten Armee in die Sowjetunion verlagert worden waren, in den Jahren 1955 und 1958 etwa 1,5 Millionen Objekte in die DDR zurück.Die meisten Besucher der Gemäldegalerie werden von der Vielzahl der Meisterwerke an den Wänden beeindruckt sein und kaum ahnen, dass seit 1945 über 430 Bilder der Sammlung als verschollen gelten. Mit den Berliner Verlusten ließe sich ein erstklassiges Museum einrichten. Von Rubens alleine gingen zehn Werke verloren, von Veronese und Van Dyck jeweils fünf, von Caravaggio drei. Viele der vermissten Werken stammen von den bedeutendsten Malern der europäischen Kunstgeschichte einige sind in dieser Ausstellung abgebildet und besprochen.

Die Schule des Pan (1489) von Luca SignorelliBode-Museum, Staatliche Museen zu Berlin

Dieses Bild gehörte zu den Ikonen des Kaiser-Friedrich-Museums. Zum einen wissen wir, dass es für eine der Schlüsselfiguren der Renaissance gemalt wurde, für Lorenzo de' Medici, genannt Il Magnifico, der Prächtige, Herrscher von Florenz. Zum anderen war es ein überaus prachtvolles, rätselhaftes Bild, dessen Bedeutung schwer zu entschlüsseln ist. Es war ein Gemälde, zu dem man hundertmal zurückkommen und jedes Mal etwas Neues entdecken konnte.

Der Gott Pan, mit Bocksbeinen und einer Mondsichel als Hörner, sitzt zwischen Figuren verschiedenen Alters - möglicherweise eine Anspielung auf die Zeit.

Präsentation des Pan von Signorelli im Kaiser-Friedrich-Museum zwischen 1928 und 1933 (2016) von UnbekanntBode-Museum, Staatliche Museen zu Berlin

Wahrscheinlich war die Größe des Bildes der Grund, warum es zerstört wurde. Der Pan von Signorelli war so wichtig, dass er zu den ersten Stücken gehörte, die im März 1945 aus dem Flakbunker Friedrichshain nach Thüringen hätten evakuiert werden sollen. Aber die Förderkörbe im Bergwerk Kaiseroda waren zu klein für solch großformatige Gemälde wie die meisten hier als Reproduktion gezeigten Werke. Glücklicherweise gibt es von diesem Bild eine der wenigen vor dem Krieg angefertigten Farbaufnahmen.

Verkündigung Mariae (1578) von Jacopo Robusti (Tinteretto)Bode-Museum, Staatliche Museen zu Berlin

Die Perspektive und das Portal lenken den Blick des Betrachters durch den Garten in die Ferne. Der sich öffnende Garten bildet ein Gleichnis der Empfängnis Jesu, da der Schoß der Jungfrau in der mittelalterlichen Theologie mit einem "verschlossenen Garten" verglichen wurde.

Im Sammlungsführer des Kaiser-Friedrich-Museums aus dem Jahr 1910 heißt es: "Tinteretto geht bis an die äußerste Grenze, in dem er Kompositionen von äußerster Bewegung und grellen Beleuchtungseffekten mit reckenhaften Gestalten in stärksten Verkürzungen gibt. Bei mancher Übertreibung, Hintansetzung tieferer Empfindungen und Großer Flüchtigkeit ist er doch nicht selten von gewaltiger Wirkung".

Präsentation der Verkündigung von Tinteretto im Kaiser-Friedrich-Museum 1917 (2016) von UnbekanntBode-Museum, Staatliche Museen zu Berlin

Tinteretto wirkt als eher unruhiges Temperament; er hat vieles, wenn nicht alles idiosynkratisch aus der Fantasie heraus gearbeitet. Er war ein hervorragender Zeichner, dessen Inspirationsquellen nicht nur in Venedig lagen. Er hat sich mit den Werken von Michelangelo und vielen anderen Künstlern auseinandergesetzt. Aus diesen verschiedenen Vorbildern hat er sein eigenes Werk hervorgebracht.

Diese Abbildung zeigt die Präsentation der Verkündigung Tinterettos im Kaiser-Friedrich-Museum 1917. Vermutlich ist auch dieses Werke, wie so viele andere 1945 verbrannt.

Moderner Gipsabguss nach Pierattis Aristaios (?), in der Ausstellung "Das verschwundene Museum" (2016) von Pierattis AristaiosBode-Museum, Staatliche Museen zu Berlin

Wilhelm von Bode hielt diese raffinierte Skulptur für ein Frühwerk Michelangelos, für den die Ausführung eines jugendlichen Johannes des Täufers belegt ist. Eine Zuschreibung an einen der Brüder Pieratti wurde aber bereits 1910 vorgeschlagen. Zudem dürfte die Figur, die eine Honigwabe hält, nicht Johannes den Täufer, sondern Aristaios, den griechischen Gott der Imkerei, darstellen.

Saal mit der Kunst der Hochrenaissance im Kaiser-Friedrich-Museum zwischen 1926 und 1933 (2016) von UnbekanntBode-Museum, Staatliche Museen zu Berlin

Volker Krahn (Kurator im Bode-Museum): Der Traum eines jeden Museumskurators ist sicherlich die Erwerbung eines Werks von Michelangelo. 1875 sorgte die Zuschreibung einer Marmorfigur Johannes des Täufers für Schlagzeilen, da dieses Werk, das sich damals in Privatbesitz in Pisa befand, Michelangelo zugeschrieben wurde. Wilhelm von Bode war ebenfalls von dieser Zuschreibung überzeugt. Da es während des Michelangelo-Kongresses 1875 bei einer Abstimmung über eine Autorschaft Michelangelos allerdings auch Gegenstimmen gab, verzichtete die italienische Regierung auf eine mögliche Erwerbung, so dass die Statue aus Italien exportiert und für die Berliner Museen erworben werden konnte. Im 1904 eröffneten Kaiser-Friedrich-Museum, dem heutigen Bode-Museum, fand sie prominente Aufstellung. Dort gab es einen Saal mit den Werken der Florentiner Hochrenaissance, in dem sie an einer Wand zentral präsentiert wurde. Noch zu Bodes Lebzeiten wurde die Autorschaft Michelangelos nicht nur in Frage gestellt, sondern die Figur sogar als ein Werk aus späterer Zeit an gesehen. Heute gilt es als sehr wahrscheinlich, dass sie von dem in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Florenz tätigen Bildhauer Domenico Pieratti geschaffen wurde. Auch als Werk dieses Bildhauers wäre diese seit 1945 verschollene Marmorfigur sicherlich heute noch ein bedeutendes Werk der Berliner Sammlung."

Flussgott und Erdteil (1614) von Peter Paul RubensBode-Museum, Staatliche Museen zu Berlin

Das prachtvolle Gemälde gehörte zu den acht sehr großen Leinwänden von Rubens, die der Gemäldegalerie verloren gingen. Der Sammlungsführer von 1910 hebt die ,,wuchtige Schilderung der wilden Tiere" hervor, in deren Bewältigung Rubens ein Meister war". Selbst in dem Schwarz-Weiß-Foto erkennt man noch die kraftvolle Modellierung der Körper, die prägnante Differenzierung der Oberflächen, das seidige Fell der Raubkatzen und den perlmutternen Schimmer auf der hellen Haut der Frauen. Traditionell galt das Gemälde als Darstellung von Neptun und seiner Geliebten Amphitrite. Indes fällt auf, dass die reichlich vorhandenen Tiere nur wenig mit Wasser und noch weniger mit dem Meer zu tun haben - etwa das Nashorn links, das noch Albrecht Dürers berühmten Holzschnitt von 1515 zum Vorbild hat.

Bei der Vergrößerung des alten Negativs auf das Originalformat des Gemäldes zeigte sich darüber hinaus, dass auf dem Haupt des bärtigen alten Mannes nicht etwa ein Kranz aus Muscheln und Seetang sitzt, sondern aus Blüten und Früchten. Folglich handelt es sich gar nicht um Neptun und seine Geliebte.

Einen weiteren Hinweis zur Lösung des ikonografischen Problems gibt die Amphore unter dem Alten, aus der Wasser hervorquillt: Sie stellt eine Quelle dar, und entsprechend kann es sich bei dem Weißbärtigen nur um einen Flussgott handeln. In Anbetracht seines greisenhaften Alters und insbesondere der exotischen Tiere dürften hier der Nil oder der Ganges gemeint sein.

Da die nackte Frau an der des Mannes weiß ist, wird der Seite Ganges wahrscheinlicher sein, ist sie doch wohl als Personifikation des Erdteils, also Asiens, aufzufassen.

Was in winzigen Reproduktionen über Jahrzehnte als das Herrscherpaar des Meeres durchging, entpuppt sich somit bei Betrachtung in originaler Größe als Darstellung eines der vier großen Flüsse und eines der vier damals bekannten Kontinente. Es bleibt zu vermuten, dass dieses Gemälde ursprünglich zu einer Folge von insgesamt vier großen Leinwänden mit allen Erdteilen gehörte.

Der Rubenssaal im Kaiser-Friedrich-Museum, 1926 (2016) von UnbekanntBode-Museum, Staatliche Museen zu Berlin

Von den hier sichtbaren Gemälden von Rubens und seinen Schülern sind vermutlich alle, bis auf zwei Porträts von Van Dyck, 1945 im Flakbunker Friedrichshain verbrannt.

An den Wänden sieht man Rubens' Marienkrönung, seine Auferweckung des Lazarus, den Flussgott, die büßende Magdalena, und die monumentale Diana auf der Hirschjagd, von Van Dyck die verlorene Beweinung und die beiden erhaltenen Porträts.

Der hl. Matthäus schreibt sein Evangelium mit Hilfe eines Engels (1602) von Michelangelo Merisi (Caravaggio)Bode-Museum, Staatliche Museen zu Berlin

Hoffnung

Nach den erfolgreichen Kooperationsprojekten mit den Staatlichen Museen zu Berlin im Bereich der Archäologie, beispielsweise zu den Merowingern und der Bronzezeit, hat das Staatliche Museum für Bildende Künste A. S. Puschkin eine neues gemeinsames Forschungsprojekt mit Berlin eingeleitet. Ziel der Kooperation ist es, bedeutende Bildwerke von Donatello und anderen Meistern der Renaissance, die sich bis zum Zweiten Weltkrieg im Kaiser-Friedrich-Museum befanden, wieder ans Licht zu bringen. Kuratoren und Restauratoren aus Moskau und Berlin arbeiten zusammen, um diese Werke zu erschließen, zu restaurieren, zu veröffentlichen und auszustellen, damit sie wieder für die Öffentlichkeit zugänglich werden. Im Rahmen eines wissenschaftlichen Symposiums im Bode-Museum präsentierte Vasily Rastorguev, Kurator für Skulptur am Puschkin Museum, am 17. September 2015 rezente Aufnahmen von fünf Werken von Donatello und seinem Umkreis, darunter den bronzenen Johannes den Täufer und das Marmorrelief mit der Geißelung. Diese beiden Bildwerke werden hier als ein Versprechen auf zukünftige Entdeckungen veröffentlicht.

Mitwirkende: Geschichte

Text: Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Julien Chapuis

Konzept: Julien Chapuis

Redaktion / Umsetzung: Malith C. Krishnaratne

© Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz

www.smb.museum
Bode-Museum

Quelle: Alle Medien
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