Die Kunstbibliothek und ihre Lipperheidesche Kostümbibliothek

Franz Freiherr von Lipperheide (1905) von Franz DefreggerKunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Das Porträt im schweren Goldrahmen präsentiert Franz Freiherr von Lipperheide (1835–1906), gemalt von dem österreichischen Genre- und Historienmaler Franz Defregger. Es hängt heute im Studiensaal der Kunstbibliothek in Berlin und erinnert an den Stifter der Lipperheideschen Kostümbibliothek. Franz von Lipperheide konnte am Ende seines Lebens auf einen fulminanten wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg zurückblicken. Als machtbewusster Verleger, vor allem von Modezeitungen, gehörte er zur neuen Elite des Kaiserreiches. Sein überaus großes Vermögen erlaubte ihm, seine Sammelleidenschaft auszuleben – es sollte die zu seiner Zeit weltweit bedeutendste Sammlung der Kostüm- und Modegeschichte werden.

Exlibris von Franz von Lipperheide (1894) von Karl RickeltKunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Der selbstbewusste Wahlspruch „Nil temere, nil timide“ (Nichts unbesonnen, nichts furchtsam) im Bücherzeichen seiner Bibliothek charakterisiert auch den Besitzer. 1862 war Franz Lipperheide nach einer Buchhändlerlehre in Hamm und Leipzig „mit vierzehn Talern in der Tasche nach Berlin gekommen“ und hatte mit der Gründung der Verlagsbuchhandlung "Franz Lipperheide und Co." den Grundstein seines Erfolgs gelegt.

Carte de Visite von Frieda Lipperheide (1875) von AdèleKunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Seine erste Frau Frieda war die wichtigste Mitarbeiterin in der Firma und bis zu ihrem frühen Tod 1896 die unverzichtbare Redaktionsleiterin der Zeitschrift "Modenwelt, illustrirte Zeitung für Toilette und Handarbeiten", Bestseller des Verlages. Frieda Lipperheide war die kreative Blattmacherin und Seele der Redaktion, ihr Ehemann Franz hingegen der Finanzmanager.

Modenwelt (1865) von Franz Freiherr von Lipperheide (Hg.)Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Die "Modenwelt" wurde zur auflagenstärksten Modezeitschrift ihrer Zeit mit Lokalausgaben in 12 Ländern. Der außerordentliche wirtschaftliche Erfolg des Verlages ermöglichte dem Verleger 1873 den Erwerb eines großen Wohn- und Geschäftshauses in der Potsdamerstraße 38 (heute Hausnummer 96) in Berlin, das auch die umfangreichen Sammlungen des Paares aufnahm.

Studiensaal der Lipperheideschen Kostümbibliothek (1907) von Fotograf unbekanntKunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Im Sommer 1892 entschied sich das Ehepaar Lipperheide, ihre „Sammlung für Kostümwissenschaft“ der Bibliothek des Berliner Kunstgewerbemuseums (heute Kunstbibliothek) zu schenken. Die Sammlung umfasste im Jahr 1896 folgende Bestände: 686 Ölbilder, Kostümportraits des 16.-19. Jahrhunderts, und 200 Miniatur-Bildnisse; 2.750 Handzeichnungen und 23.750 Kupferstiche, Holzschnitte und Lithographien sowie 2.580 Photographien; 45 Handschriften und weit über 4.000 Bücher, Almanache und Zeitschriften. 1899 wurde die systematisch aufgebaute Forschungsbibliothek übergeben.

Studiensaal der Lipperheideschen Kostümbibliothek (1907) von Fotograf unbekanntKunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

In der Schenkungsurkunde war die geschlossene Erhaltung von Bibliothek, grafischer Sammlung und Gemäldesammlung festgeschrieben. Im Frühjahr 1906 erhielt die Lipperheidesche Kostümbibliothek repräsentative Räume: ein mehrteiliger Studiensaal mit einer integrierten Präsentation von Gemälden, Grafiken und Bücherschränken. Aus heutiger Sicht ein erstaunlich innovatives Konzept, in dem die im Lesesaal präsentierten Kunstwerke in Kombination mit der wissenschaftlichen Literatur eine neuartige Forschungsinfrastruktur bilden.

Titelblatt Trachtenbuch (1577) von Hans WeigelKunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

International herausragende Bestände finden sich insbesondere im Themenbereich der Trachtenbücher und Reiseberichte.

Detail Titelblatt Trachtenbuch (1577) von Hans WeigelKunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Das Titelblatt des Trachtenbuchs von Hans Weigel aus dem Jahr 1577 zeigt einen nackten Europäer mit Stoffballen und Schere, der sich einem Bewohner Asiens, Amerikas und Afrikas zuwendet. Mit dem Sündenfall setzt die Erkenntnis des Menschen ein, dass er nackt ist. Dieser Verlust der Unbefangenheit veranlasst den Menschen jedoch sich zu kleiden und kennzeichnet damit den Beginn der Modegeschichte.

Trachten des christlichen Mittelalters (1840/1854)Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Ein anderes Vorlagenwerk zu Trachten verfasste Jacob Heinrich von Hefner-Alteneck dreihundert Jahre später. Ganz im Geist der Romantik trug der Künstler und Kunsthistoriker die Kleiderformen des Mittelalters zusammen. Es ist die Zeit des Historismus, in der die Kostümforschung als eigenständige Disziplin im Sinne einer modernen Wissenschaft beginnt.

Trachtenbuch "Omnium fere gentium nostrae aetatis habitus" (1563) von Ferdinando BertelliKunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Mit Beginn der Frühen Neuzeit ließen Entdeckungsreisen und transnationale Handelsbeziehungen das Interesse an Bekleidungsformen unterschiedlicher Kulturen wachsen. Die Bilder der Kostüme prägten dabei die Stereotypen in der Vorstellung des Anderen. So erfreuten sich Figuren wie die „afrikanische Braut“ aus dem Trachtenbuch von Ferdinando Bertelli großer Beliebtheit und wurden vielfach kopiert.

Titelblatt Trachtenbuch (1580) von Künstler unbekanntKunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

In der Sammlung von Lipperheide finden sich auch Handschriften, wie zum Beispiel das Trachtenbuch von 1580 mit der sorgfältigen Zeichnung einer venezianischen Braut.

Vier Bucher von de Raisz und Schiffart in die Turckey (1576) von Nicolas de NicolayKunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Der französische Geograf Nicolas de Nicolay brach 1551 ins Osmanische Reich auf. Sein erstmals 1567 mit 61 Bildtafeln veröffentlichter Reisebericht erschien in der Folge in mehreren Editionen und Sprachen, von denen die Lipperheidesche Kostümbibliothek einige rare Ausgaben besitzt. Die Bildmotive prägten lange Zeit die europäische Vorstellung von der äußeren Erscheinung eines Menschen des Orients, wie zum Beispiel das Bild des arabischen Kaufmanns.

Trachtenbuch "Omnium poene Gentivm Imagines" (1577) von Abraham de BruynKunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Den imperialen Herrschaftsanspruch, der sich mit diesen Bildern verband, zeigt auch das allegorische Titelblatt des Trachtenbuchs von Abraham de Bruyn, der in seiner Darstellung fast 50 Figuren aus dem Reisebericht von Nicolas de Nicolay übernahm.

Nürnbergische Kleider Arten (1669) von Johann Kramer (Drucker)Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Ein Beispiel für die Darstellung regionaltypischer Kleidung ist das Buch des Nürnberger Verlegers Johann Kramer. Zu sehen sind zwei Frauen mit markanter Kopfbedeckung: ein hoher, breitkrempiger Sommerhut und eine sogenannte Flitterhaube.

Detail: Nürnbergische Kleider Arten (1669) von Johann Kramer (Drucker)Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Die Nürnberger Kleiderordnungen regelten die Ausführung der Flitterhauben je nach Standeszugehörigkeit. Charakteristisches Merkmal dieser Hauben ist ihr umlaufender Besatz mit goldfarbenen Metallplättchen. Allein dem ersten Stand war es erlaubt, diese Haube nicht mit fest, sondern lose befestigten Plättchen zu tragen. In diesem Fall wurden sie an drahtumwickelten Stiften eingehängt und sorgten so für einen besonders klingenden Auftritt. Bräute trugen sie zur Hochzeit und einige Tage danach, woher sich der Begriff »Flitterwochen« ableitet.

Beschreibung der Erbhuldigung der niederösterreichischen Stände für Karl VI. (1712) von Johann Baptist Mair von MairsfeldKunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Neben den Büchern zur Geschichte der europäischen und außereuropäischen Kleidungskultur umfasst die Sammlung auch Schriften zu Anlässen wie Hochzeiten, Volksfesten oder Turnieren. Einen besonderen Schwerpunkt bilden die Staatszeremonien und fürstlichen Feiern unterschiedlicher Länder. Der Kupferstich des Festbanketts zeigt die Repräsentanten der drei niederösterreichischen Stände an einer langen, üppig gedeckten Tafel in einem prunkvollen Saal der Wiener Hofburg.

Assemblage nouveau des Manouvries habilles (1730) von Martin EngelbrechtKunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Martin Engelbrechts „Assemblage“ widmet sich in ebenso humorvoller wie origineller Form der Darstellung von Berufsgruppen, wie Weber, Färber, Schneider, Kürschner, Ledergerber, Gürtler, Bortenmacher, Schuster, Strumpfstricker, Perücken-, Hut-, Handschuh- und Taschenmacher.

Stickmuster (1725) von Margaretha HelmKunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Einen weiteren Schwerpunkt der Sammlung bilden die Stickerei und die Spitzenherstellung. Ein Beispiel ist Margaretha Helms dreibändige "Kunst- und Fleiss-übende Nadel-Ergötzungen", die um 1725 von Johann Christoph Weigel herausgebracht wurden. 103 Kupferstichtafeln zeigen Stickmuster für Handschuhe, Vorstecker, Schuhe, Tischdecken oder Buchumschläge in Weißstickerei, mit farbigem Seidengarn oder metallenen Fäden.

Journal des Luxus und der Moden (1795) von Friedrich Justin Bertuch / Georg Melchior Kraus (Hg.)Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Modejournale und Fachzeitschriften vom 18. Jahrhundert bis heute bilden einen Schwerpunkt der Lipperheideschen Kostümbibliothek. Die erste zum Thema Mode in Deutschland erschienene Zeitschrift Journal des Luxus und der Moden, von 1786 bis 1827 in Weimar, findet sich ebenso wie die 1794-1803 in London erschienene Gallery of Fashion.

Gallery of Fashion (1796) von Nikolaus Wilhelm Heideloff (Hg.)Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Ist der Beginn der Bekleidungsgeschichte auch auf das engste mit der Vertreibung aus dem Paradies verbunden, so sind es doch paradiesische Verhältnisse, die sich den Studierenden, Lehrenden und Forschenden aus dem akademischen Feld, Journalisten, Modedesignern und Kostümbildnern zu Forschungs- und Inspirationszwecken im Studiensaal der Sammlung bieten.

Mitwirkende: Geschichte

Text: Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz / Britta Bommert and Joachim Brand, Franz von Lipperheide und seine „Sammlung für Kostümwissenschaft“, in: Imprimatur Bd. 26, München 2019, Seite 39-62.
Redaktion: Michael Lailach
Umsetzung: Justine Tutmann
© Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Foto: Dietmar Katz, Harald Rudolf, Anna Russ
www.smb.museum

Quelle: Alle Medien
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