Vestibül, Neues Museum, Museumsinsel Berlin (1843/2009) von Friedrich August Stüler / David ChipperfieldNeues Museum, Staatliche Museen zu Berlin
Im Oktober 2009 eröffnete das Neue Museum auf der Museumsinsel Berlin erstmalig wieder seine Pforten. Rund 60 Jahre lang hatte es zuvor als Kriegsruine im Dornröschenschlaf gelegen.
Die Wiedereröffnung des prächtigen Bauwerks fand weltweit Beachtung. Von seinen berühmten Sammlungen und seiner spektakulären Architektur ließen sich seither Tausende Besucherinnen und Besucher faszinieren.
Bildung für alle!
Goldene Buchstaben künden vom Stolz Friedrich Wilhelm IV., als er im Jahr 1855 das Neue Museum auf der Museumsinsel eröffnete: MUSEUM A PATRE BEATISSIMO CONDITUM AMPLIAVIT FILIUS, MDCCCLV / Das vom glücklichsten Vater gegründete Museum hat der Sohn 1855 erweitert.
Blick auf das Neue Museum, 1930 (1843/1855) von Friedrich August StülerNeues Museum, Staatliche Museen zu Berlin
Der glückliche Vater, Friedrich Wilhelm III., hatte nur elf Jahre zuvor den ersten Museumsbau Preußens, das Alte Museum, errichten lassen. Doch reichte der Platz für die hier beheimateten Sammlungen bald nicht mehr aus.
Ein neues Museum musste her und mit ihm ein Plan für die gesamte Spreeinsel, die der preußische König zu einer „Freistätte für Kunst und Wissenschaft“ umzuschaffen suchte.
Mit der Planung wurde Friedrich August Stüler (1800-1865), Architekt und Schüler Friedrich Schinkels, 1841 beauftragt.
Übergang zum Alten Museum, Neues Museum, 1934 (1843/1855) von Friedrich August Stüler u.a.Neues Museum, Staatliche Museen zu Berlin
Stüler machte seine Sache gut. Mit Erfindungsreichtum und Gespür für den Zeitgeist gelang es ihm, dem besonderen Bildungsauftrag des Neuen Museums Ausdruck zu verleihen.
Die Räume des zwischen 1843 und 1855 errichteten Bauwerks füllte Stüler mit Exponaten unterschiedlichster Sammlungen der Königlichen Museen zu Berlin.
Sie stellten ein begehbares Kompendium der Kulturen der Menschheitsgeschichte dar.
Haupttreppenhaus, Neues Museum, Berlin, 1910 (1843/1855) von Friedrich August Stüler u.a.Neues Museum, Staatliche Museen zu Berlin
Bereits in der monumentalen Treppenhalle wurde das Konzept des Museums exemplarisch vorgestellt.
Imposante Fresken von Wilhelm von Kaulbach veranschaulichten die Epochen der Weltgeschichte von der Zerstörung des Turms zu Babel über die großen Denker des Altertums bis hin zur Reformation.
Das oberste Treppenpodest krönte eine Nachbildung der Korenhalle des Erechtheions auf der Athener Akropolis. Weiter unten gaben Gipsabgüsse von Tempelreliefs des Parthenons und des Hephaistontempels in Athen einen Einblick in das Weltbild der Griechen.
Ägyptischer Hof, Neues Museum, Berlin, 1920 (1843/1855) von Friedrich August Stüler u.a.Neues Museum, Staatliche Museen zu Berlin
Auch die Ausstellungssäle des Museums, die Namen wie „Ägyptischer Hof“, „Mittelalterlicher Saal“ oder „Vaterländischer Saal“ erhielten, waren opulent ausgeschmückt.
Ihre dekorativen Wandbilder veranschaulichten die historischen Hintergründe der Exponate. Zudem unterstrichen sie den universalen Anspruch des Museums.
Bogen-Sehnen-Träger im Niobidensaal, Darstellung der Kern (u.r.) und der Kunstform (o. Ausschnitt), Berlin 1862 (1843/1855) von C.E. Weber (Stich)Neues Museum, Staatliche Museen zu Berlin
State of the Art
Auch technisch beeindruckte das Neue Museum die Zeitgenossen. Die
gerade einsetzende Industrialisierung ermöglichte neue Verfahren, die
hier erstmals umfänglich zum Einsatz kamen.
Bauhistorisch bedeutend waren vor allem die innovativen Eisenkonstruktionen, die hinter der schlichten Fassade liegen. So kamen die weitgespannten Decken der Räume ohne tragende Säulen aus, weil gusseiserne Bogensehnenbinder die Last abtrugen. Obwohl die Konstruktion sich oft hinter Verkleidungen verbarg, war das neue Bauen überall spürbar.
Um leichtgewichtige Konstruktionen zu ermöglichen, wurden anstatt schwerer Sandsteinskulpturen leichte, in Zink gegossene und lediglich sandsteinfarbig gefasste Bildwerke versetzt.
Gusseiserne Bogensehnenbinder im Niobidensaal (1850er)Neues Museum, Staatliche Museen zu Berlin
Schnitt durch den Nordflügel, Neues Museum, Museumsinsel Berlin (1843/1855) von C.E. Weber (Stich)Neues Museum, Staatliche Museen zu Berlin
Die zarten Eisenkonstruktionen der Kunstkammersäle in der dritten Etage traten als entmaterialisierte Variante der Bogenstellungen in den unteren Geschossen auf.
Das industriell geprägte Bauen brachte besondere fachliche Anforderungen mit sich. Bei der Errichtung des Neuen Museums wurde daher ein eigener Bauleiter „zur speziellen Führung des Baus“ herangezogen. Carl Wilhelm Hoffmann zählte seinerzeit zu den fähigsten Vertretern der gerade erst im Entstehen begriffenen Berufsgruppe des Bauingenieurs.
Krieg und Zerstörung
Im Zweiten Weltkrieg wurde das Neue Museum zwischen 1943 und 1945 bei Bombenangriffen schwer beschädigt, in einigen Bereichen komplett zerstört. Die im Neuen Museum beheimateten Sammlungen hatte man bereits 1939 ausgelagert und gesichert. Nach Kriegsende wurden sie in Räumlichkeiten der Staatlichen Museen zu Berlin über die gesamte Stadt verteilt. Vom Neuen Museum selbst blieb nur eine Ruine übrig. Jahrzehnte lang Wind und Wetter ausgesetzt, verfiel das Gebäude auch in den Folgejahren immer weiter.
Mit Liebe zum Detail
Erst nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde das Neue Museum im Rahmen des Masterplans Museumsinsel ab 2003 wieder instandgesetzt. Die Arbeit glich einer Herkulesaufgabe. Meisterhaft gelang es dem Architekten David Chipperfield und seinem Team, diese Aufgabe zu bewältigen. Dabei arbeitete das Architekturbüro nach dem gemeinsam mit dem Restaurierungsarchitekten Julian Harrap entwickelten Konzept der ergänzenden Wiederherstellung. Über 200 Spezialisten wurden herangezogen, um aus dem ramponierten Gebäude wieder ein ansehnliches Ganzes zu machen. Den Auftrag hatte das Architekturbüro 1997 als Ergebnis eines geladenen Wettbewerbs erhalten.
Der Reiz des Imperfekten
Unter Beachtung hoher denkmalpflegerischer Auflagen gelang es David Chipperfield und seinem Team, die Museumsruine bravourös in die Architektursprache unserer Zeit einzubetten. Chipperfields Philosophie des „behutsamen Weiterbauens“ respektiert die historische Substanz des Bauwerks und seiner Ausstattung. Statt der Rekonstruktion des Zerstörten entstanden historische Proportionen mit neuen Materialien und schlichten Formen.
Treppenhalle mit historischen Gipsabgüssen, Neues Museum, Museumsinsel Berlin (1843/2009) von Friedrich August Stüler / David Chipperfield u.a.Neues Museum, Staatliche Museen zu Berlin
Wunden des Bauwerks bleiben als Spuren der Geschichte sichtbar.
Die üppige Fülle des späten Klassizismus und Historismus tritt in einen reizvollen Dialog mit der strengen Formensprache Chipperfields.
Zwiesprache mit den Sammlungen
Mit seiner Wiedereröffnung 2009 kehrten auch die Sammlungen in das Neue Museum zurück. Die rund 8.000 qm Ausstellungsfläche teilen sich das Ägyptische Museum und die Papyrussammlung mit dem Museum für Vor- und Frühgeschichte und Teilen der Antikensammlung. In dem als Denkmal des 19. Jahrhunderts erhaltenen Bauwerk finden die Sammlungen reizvolle Vorgaben für ihre Ausstellungskonzepte.
Mythologischer Saal, Neues Museum, Museumsinsel Berlin (1843/2009) von Friedrich August Stüler / David ChipperfieldNeues Museum, Staatliche Museen zu Berlin
So regt etwa die ägyptische Deckenbemalung im Mythologischen Saal das Thema „Ägyptomanie – Ägyptolgie“ an.
Bibliothek der Antike, Neues Museum, Museumsinsel Berlin (1843/2009) von Friedrich August Stüler / David Chipperfield a.o.Neues Museum, Staatliche Museen zu Berlin
Im Niobidensaal hat die „Bibliothek der Antike“ ihren stimmigen Ort.
Über Grenzen und Zeiten hinweg
Seinen Besucherinnen und Besuchern führt das Neue Museum die Entwicklung der vor- und frühzeitlichen Kulturen vom Vorderen Orient bis zum Atlantik, von Nordafrika bis Skandinavien vor Augen. Inhaltlich konzipierte Blickachsen machen den Austausch der Kulturen konkret nachvollziehbar, sammlungsübergreifende Präsentationen verhandeln Themen, die die Menschheit über Jahrtausende hinweg bewegten.
Raum „Reise ins Jenseits“ (Ägyptischer Hof), Neues Museum, Museumsinsel Berlin (1843/2009) von Friedrich August Stüler / David Chipperfield u.a.Neues Museum, Staatliche Museen zu Berlin
Besonders deutlich wird dieses Konzept im Sockelgeschoss des Museums. Das Thema des Ägyptischen Hofs, „Reise ins Jenseits“, erschließt sich den Besuchern über eine stimmige Gesamtkomposition.
Griechischer Hof mit Schievelbein Fries, Neues Museum, Museumsinsel Berlin (1843/2009) von Hermann Schievelbein / Friedrich August Stüler / David Chipperfield a.o.Neues Museum, Staatliche Museen zu Berlin
Das Thema des Griechischen Hofes, „Weltordnung“, ist durch den umlaufenden Schivelbeinfries (1849-51) geprägt. Er stellt die Flucht der Bewohner Pompejis beim Ausbruch des Vesuvs dar.
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Raum „Weltordnung“ (Griechischer Hof), Neues Museum, Museumsinsel Berlin (1843/2009) von Friedrich August Stüler / David ChipperfieldNeues Museum, Staatliche Museen zu Berlin
Im Neuen Museum ist damit eine Idee bereits verwirklicht, die zukünftig vier Häuser der Museumsinsel Berlin erfassen und miteinander verbinden wird: die Archäologische Promenade – eine durchgehende Raumfolge, deren inhaltliches Band die großen Themen der Menschheitsgeschichte sein werden.
Diese bereits bei der Errichtung des Neuen Museums im 19. Jahrhundert verfolgte Idee, ist Teil des Masterplans Museumsinsel, nach dem die Museumsinsel bis 2025/26 saniert wird.
Mit der Wiedereröffnung des Neuen Museums wurde eine wichtige Etappe dieses Plans meisterlich vollendet.
Text: Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Prestel
Konzept / Redaktion: Jutta Dette
© Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
www.smb.museum
Neues Museum