Von "Archäologisches Museum Hamburg"
Archäologisches Museum Hamburg Stadtmuseum Harburg|Helms-Museum
Obwohl viele archäologische Spuren beim Bau der modernen Metropole zerstört worden sind, birgt Hamburgs Boden selbst unter dem Asphalt noch manche Überraschung. Dazu zählt die Entdeckung der historisch bezeugten Hammaburg.
HAMBURG
VOR DER HAMMABURG
Der Bereich der Hamburger Altstadt wurde seit der Jungsteinzeit immer wieder sporadisch aufgesucht. Spuren einer dauerhaften Besiedlung in Form von Hausgrundrissen, Abfallgruben oder Grabanlagen konnten bislang nicht aufgedeckt werden. So blieb es bisher bei vereinzelten Funden von Steinwerkzeugen und Gefäßscherben. Aus dem weiteren Hamburger Stadtgebiet kennt man hingegen aus allen vorgeschichtlichen Epochen seit dem Ende der Eiszeit zahlreiche Siedlungen und Gräberfelder.
DIE BURG IN DER HAM
Der Name Hammaburg entstammt dem Altsächsischen, einer Vorform des heutigen Plattdeutsch. Ham steht dabei für eine umzäunte Wiese oder eine abgegrenzte Bucht in einer Niederung, die Hammaburg ist also wörtlich die Wiesen- oder Buchtburg. Die erste ringförmige Befestigung des 8. Jahrhunderts, die Hammaburg I, ist demnach von Beginn an von den sächsischen Bewohnern des Ortes als Burg bezeichnet worden. Gleichzeitig bezieht sich der Name aber auch auf den gesamten Ort. Hammaburg meint folglich stets die Einheit aus Burg und zugehöriger Siedlung, also das frühe Hamburg.
AUSGRABUNGEN AUF DEM DOMPLATZ
Bei Ausgrabungen auf dem Domplatz wurden in den 1980er Jahren zwei konzentrische Gräben entdeckt, die man einer Wehranlage zuordnete. Spuren der Innenbebauung und einer zusätzlichen Sicherung durch Wall oder Palisade fanden sich nicht. 14C-Daten und typische Keramikscherben sprachen für eine Errichtung im 7. Jahrhundert und eine Einplanierung um 800. Damit schien die Anlage deutlich zu alt für die historisch überlieferte Hammaburg des 9. Jahrhunderts. Neue Grabungsergebnisse aus den Jahren 2005/06 zeigen aber, dass der innere Graben älter ist als der äußere, also zwei aufeinanderfolgende Befestigungswerke vorliegen. Das ältere wurde im 8. Jahrhundert errichtet und um 800 eingeebnet. Diese als Hammaburg I zu bezeichnende Wehranlage dürfte einst den Hof eines Angehörigen der sächsischen Führungselite umschlossen haben und von einigen Wirtschafts- und Wohngebäuden umgeben gewesen sein. Sie lag verkehrsgeografisch ideal auf einem Geestsporn im Mündungsdreieck zwischen Alster und Elbe.
SACHSENS
WEG INS FRANKENREICH - Die Sachsenkriege 772-804
Seit dem 6. Jahrhundert kam es immer wieder zu bewaffneten Konflikten zwischen Sachsen und Franken. Sie erreichten ihren Höhepunkt unter Karl dem Großen, dessen Expansionspolitik auch Sachsen in den Blick nahm, legitimiert durch die gleichzeitige christliche Mission im heidnischen Sachsen. Die Sachsenkriege begannen 772 mit der Zerstörung des sächsischen Hauptheiligtums Irminsul und endeten nach vielen blutigen Kämpfen und Rückschlägen erst 804 mit der endgültigen Eroberung Nordelbiens. Zwar lag die Nordostgrenze des Fränkischen Reichs an der Elbe, doch fungierte die Region nördlich davon bis an die Eider und die Trave als Pufferzone gegen die Wikinger. Sie wurde zunächst den verbündeten slawischen Obodriten überlassen, dann aber 810 doch vollständig in das fränkische Herrschaftsgebiet einbezogen. Parallel zur militärischen Unterwerfung und politischen Integration Sachsens wurde eine kirchliche Infrastruktur zur nachhaltigen Missionierung des Nordens aufgebaut.
HAT KARL
DER GROSSE HAMMABURG GEGRÜNDET?
Hamburg hat als stolze historische Hansestadt ein ausgeprägtes Traditionsbewusstseinund ein Geschichtsbild, das durch zahlreiche scheinbar unumstößliche Eckpunktevorgezeichnet ist. Dabei mischen sich Fakten und Fiktionen zur Gründungslegende Hamburgs. So galt die Gründung der Stadt durch Karl den Großen lange Zeit alsTatsache. Zwischen dem Kaiser und der Hammaburg gibt es jedoch keine nachweisliche Verbindung. Die Hammaburg entstand als sächsische Befestigung lange vor der Unterwerfung Sachsens durchKarl den Großen. Erst sein Sohn, Ludwig der Fromme, machte Hammaburg zum Hauptort Nordelbiens.
DIE HAMMABURG II
Im Jahr 817 scheiterte ein Großangriff der mit den Slawen verbündeten dänischen Wikinger auf die Burg Esesfelth. In der Folge wurde die fränkische Reichsgrenze an die Elbe zurückverlegt und mit der Hammaburg sowie der schriftlich überlieferten, aber bislang nicht genau lokalisierten Burg Delbende befestigt. Delbende wurde 822 errichtet, daher ist anzunehmen, dass in dieser Zeit zwischen 817 und 822 auch die kleine spätsächsische Hammaburg I aus dem 8. Jahrhundert zur fast doppelt so großen Befestigung Hammaburg II ausgebaut worden ist. Rein archäologisch ist der Ausbau von Hammaburg I zu Hammaburg II nur recht unpräzise „um 800“ zu datieren. In Verbindung mit der historischen Überlieferung dürften diese Vorgänge aber nach 817 stattgefunden haben. Die Hammaburg hatte nun die Gestalt, mit der sie später erstmals schriftlich erwähnt werden sollte.
845: DER WIKINGERÜBERFALL
845 kam es zur Katastrophe, als Wikinger Hammaburg überfielen. In dramatischer Ausschmückung schildert Rimbert in der Vita Anskarii den überraschenden Überfall der Seeräuber, die unzureichende Verteidigung, die Übermacht der Angreifer, die Flucht der Bevölkerung und die Plünderung, die nach drei Tagen mit Brandschatzung und Zerstörung endete. Ist der Wikingerüberfall auch archäologisch nachweisbar? Bei einer Brandschatzung wäre ein Brandhorizont zu erwarten, der sich auf das gesamte Siedlungsgebiet erstrecken müsste. Bei den Ausgrabungen fanden sich aber nur wenige Brandspuren wie Holzkohleschüttungen, Lehmbrandreste und feuergeschwärzte Steine, die von den Feuerstellen der Wohnhäuser stammen dürften. Als Nachweis eines furchtbaren Brandes, wie Rimbert ihn beschreibt, reichen sie nicht aus. Die Verwüstung muss dennoch verheerend gewesen sein: Nach dem Überfall wurde die Befestigung einplaniert, der Graben der Hammaburg wurde zugeschüttet.
HAMMABURG OHNE BURG
Nach der Schleifung der Hammaburg infolge des Wikingerüberfalls 845 wurde das brachliegende Burgareal mit Wohnbauten aufgesiedelt. Die archäologisch nachgewiesenen Siedlungsspuren sind allerdings spärlich. Mit Ausnahme eines Wandbohlenhauses mit Dielenboden und eines Grubenhauses sind Hausreste lediglich durch vereinzelte Pfostensetzungen und Herdstellen dokumentiert. Die geborgenen Keramikscherben aus den Siedlungsschichten umfassen sowohl lokal hergestellte Töpfe als auch importierte Gefäße slawischer Keramik sowie mit Muschelgrus gemagerte Kugeltöpfe aus dem Nordseeküstengebiet. Auch in Abwesenheit des Grafen Bernhard, dessen Burg zerstört war, und des Missionars Ansgar, dessen Kirche niedergebrannt war, schlug das Herz Hammaburgs also weiter. Der Ort blieb Drehscheibe für den überregionalen Handel.
RÄTSEL
HAMMABURG GELÖST?
Nach Ausgrabungen auf dem Domplatz in der Nachkriegszeit galt die Hammaburg als entdeckt. Erst 2002 ließ eine Neubewertung der Funde vermuten, dass die Befestigungsanlage deutlich jünger zu datieren ist und aus dem 10. Jahrhundert stammt. Eine erneute Wende brachte die Auswertung der letzten großen Grabungskampagne 2005/06: Die altbekannte Wallanlage hatte zwei Vorgänger, eine aus sächsischer Zeit aus dem 8. Jahrhundert und eine weitere aus dem 9. Jahrhundert, die die historische Hammaburg sein muss.
BAUBOOM
IN HAMMABURG
Die überraschende Ernennung zum Erzbistum führte zu einem bislang beispiellosen Bauboom in Hammaburg. Lag die Burg selbst seit dem Wikingerüberfall 845 auch darnieder, so wurde auf dem einstigen Burgareal und in seinem Umfeld dennoch weiterhin gesiedelt. Um 900 aber wurde eine neue, noch mächtigere Befestigung aus Wall und Graben errichtet, die Hammaburg III. Gleichzeitig begann man, das Flussufer unterhalb der Hammaburg künstlich aufzuschütten. Es wurde mit gestaffelt angelegten Flechtwerkfaschinen und kaiartigen Holzeinbauten befestigt. Parallel zum Ufer errichtete man zahlreiche kleine Flechtwand- und Blockhäuser. Erstmals dehnte sich nun die Besiedlung sogar auf das gegenüberliegende Ufer der sogenannten Reichenstraßeninsel aus, wo ein Ufermarkt neben dicht beieinanderstehenden Flechtwandhäusern entstand: Der älteste Hamburger Hafen nahm hier zu beiden Seiten des Ufers Gestalt an.
ADAM VON
BREMEN – DER CHRONIST
Adam von Bremen wurde um 1066 nach Bremen berufen; dort leitete er die Klosterschule. Um 1075 verfasste er sein Hauptwerk, die Hamburgische Kirchengeschichte. Sie zählt zu den faszinierendsten Chroniken der hochmittelalterlichen Geschichtsschreibung und enthält historische, geografische und ethnologische Beschreibungen. Adam schöpfte aus vielen Quellen wie Biografien, Wunderberichten und Urkunden. Daraus schuf er eine Chronik, deren Zweckbestimmung darin lag, den Führungsanspruch des Erzbistums Hamburg-Bremen für den gesamten Norden zu untermauern. Dazu gehörte auch wieder die Fiktion einer frühen Gründung des Erzbistums bereits durch Ansgar. Dadurch sollten Bestrebungen des Papstes und der skandinavischen Könige abgewehrt werden, eigene Bistümer zu errichten und sich so dem Einfluss Hamburgs zu entziehen. Genau dies passierte aber letztendlich mit der Neugründung des Erzbistums Lund im Jahr 1104.
VON DER
HAMMABURG ZUM HEIDENWALL
Im frühen 11. Jahrhundert wurde nach Schleifung der Hammaburg III die Befestigung nicht wiederaufgebaut. Auf dem Gelände entstand ein hölzerner Dom. Zeitgleich wurde der sogenannte Heidenwall gemeinsam durch Erzbischof Unwan (1013–1029) und Herzog Bernhard II. (1011–1059) errichtet. Der mächtige Abschnittswall mit einem vorgelagerten Graben, der von der Alster im Norden bis zur Elbe im Süden reichte, sollte Hammaburg an seiner alten Schwachstelle, der offenen Ostflanke, künftig vor heidnischen Angreifern schützen. Der Heidenwall behielt seine Verteidigungsfunktion bis zur vollständigen Einhegung der Stadt durch eine steinerne Stadtmauer um 1260. Überreste von Wall und Graben fanden sich 1938 in der Baugrube des Pressehauses und zuletzt 1962/65 bei der Ausgrabung der Bischofsburg am Speersort.
DIE
BISCHOFSBURG – HAMMABURGS TOR ZUR WELT?
Der Chronist Adam von Bremen berichtet um 1075, dass sich Bischof Bezelin Alebrand eine Residenz aus Stein errichtet habe. Sie war der erste steinerne Profanbau in Hamburg.Als 1962 am Speersort das Fundament eines gewaltigen Steinturms entdeckt wurde, hat man es umgehend zur historischen Bischofsburg erklärt. Jüngste Ausgrabungen zeigen aber, dass der Turm erst im 12. Jahrhundert erbaut worden ist und den Rest des ältesten Hamburger Stadttores darstellt.
STADTWERDUNG,
STADTMAUER, STADTSIEGEL
Die Lithografie von Peter Suhr zeigt das im 13. Jahrhundert errichtete Steintor. Im Hintergrund über der Durchfahrt die Kirchtürme von St. Jacobi und St. Petri. Entsprechend kann man sich für das 12. Jahrhundert die Situation am Bischofsturm als Stadttor am Durchlass durch den Heidenwall vorstellen. Das Hamburger Landeswappen zeigt letztlich idealtypisch genau dieses Motiv: Ein zweitürmiges Stadttor, überragt vom Kirchturm des Mariendoms.
Schluss
Der Domplatz ist einer der historisch bedeutendsten Orte Hamburgs. Archäologische Ausgrabungen erbrachten zahlreiche Spuren seiner wechselvollen Geschichte. Hier liegt die Keimzelle der Hansestadt: die Hammaburg. Die heutige Gestaltung des Domplatzes thematisiert dessen bedeutende Geschichte in mehrfacher Hinsicht. Eine wallartige Stahlskulptur folgt mit einem Durchmesser von 140 m der Kontur der mittelalterlichen Domburg. Den Grundriss des einstigen Mariendomes markiert ein Raster aus quadratischen weißen Sitzelementen.
DIREKTOR & LANDESARCHÄOLOGE
RAINER-MARIA WEISS
AUTOREN
Jochen Brandt, Elke Först, Yvonne Krause, Lisa Hansen, Michael Merkel, Ingo Petri, Rainer-Maria Weiss
REDAKTION
Michael Merkel
SCHLUSSREDAKTION
Kathrin Mertens
ÜBERSETZUNG
Marlene Hofmann
SCHLUSSREDAKTION ÜBERSETZUNG
Jeffrey Lucas
FOTOS
Archäologisches Museum Hamburg Stadtmuseum Harburg|Helms-Museum,Thorsten Weise, Matthias Friedel (Luftbildfotografie)
KURATOR DER AUSSTELLUNG
Ingo Petri