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Die Sammlung historischer Kleidung im Kunstgewerbemuseum
Das 1867 gegründete Kunstgewerbemuseum Berlin ist das älteste Museum seiner Art in Deutschland und bereits in der Frühzeit des Museums konnten bedeutende Erwerbungen auf dem Gebiet der Textilien gemacht werden. Anfang des 20. Jahrhunderts begann man, die Sammlung um historische Kleidung zu erweitern, der größte Teil der Sammlung fiel jedoch den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs zum Opfer. In den 1970er Jahren begann man, die Sammlung wiederaufzubauen. Mit der Erwerbung einer der weltweit bedeutendsten Privatsammlungen historischer Kleidung von Martin Kamer und Wolfgang Ruf im Jahr 2003, dokumentiert die Sammlung des Kunstgewerbemuseums heute mit einzigartigen Objekten 300 Jahre europäische Modegeschichte.
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Die Modegalerie
In der Modegalerie wird eine Auswahl aus dem Bestand vom höfischen Rokoko-Kostüm über die Salonkleider der Belle Époque bis hin zu den Couturier-Modellen der letzten Jahrzehnte gezeigt. Der Besucher erlebt, gleichsam
an großen, beleuchteten Schaufenstern vorbeiflanierend, ein Panorama, das den historischen Wandel der Mode eindrucksvoll vorführt. In Großvitrinen werden rund 130 Kostüme vom 18. Jahrhundert bis heute inszeniert, die von dazu passenden Schuhen und Accessoires begleitet werden. Aber, was passiert hinter den Kulissen?
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Aufbewahrung
Im Depot wird die Kleidung flach liegend und eingeschlagen in säurefreies Papier in Kartons aus säurefreier Pappe aufbewahrt. Jeder Karton ist mit der Inventarnummer eines Objekts beschriftet und darf nur für dieses verwendet werden. Um das Raumklima stabil zu halten und Materialbelastungen zu vermeiden, gibt es kein natürliches Licht und die Temperatur ist kühl. Große Aufmerksamkeit liegt darauf, dass keine Schädlinge, wie Motten oder andere Insekten, in den Raum gelangen. Bevor die Kleidung gelagert wird, muss sie daher entwest werden.
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Um die Fläche im Depot effektiv auszunutzen, werden die gleichen Regale wie in Archiven benutzt. Diese laufen auf Schienen und können mit einem Schwungrad verschoben werden. Flach im Karton verpackt, sind die Kleider gut geschützt und nehmen wenig Raum ein.
Minikleid
um 1968
Kleidungsstücke werden auch von innen ausgepolstert, um Brüche im Material zu verhindern, wie bei diesem Kleid aus Papiervlies mit Motiven nach Andy Warhol.
Galakleid “robe à la française”
Seide: Frankreich; Kleid: England, um 1775
Auch Applikationen werden teilweise einzeln umhüllt, damit sie den darauf liegenden Stoff bei der Lagerung nicht beschädigen.
Inventarkarte des sommerlichen Jackenkleids "Escale" (2003) von UnbekanntKunstgewerbemuseum, Staatliche Museen zu Berlin
Inventarliste und Standortkartei
Die Inventarliste und die Standortkartei sind die wichtigsten Archivdokumente im Museum. Hier sind die Standorte von allen Kleidungsstücken mit Inventarnummer und Beschreibung sowie Informationen zur Provenienz verzeichnet. Wird ein Karton falsch abgelegt oder ein Kleid in den falschen Karton gelegt, müssen sämtliche Regale und Kartons durchsucht werden.
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Restaurierung
In der Restaurierungswerkstatt werden alle textilen Objekte des Museums restauriert und gereinigt, bevor sie in die Ausstellung kommen. Dazu zählen neben Kleidungstücken auch Möbel mit Stoffbezug. Schadhafte Stellen müssen zunächst untersucht und dokumentiert werden. Alle Beschädigungen werden dafür auf einer transparenten Folie eingezeichnet und fotografisch festgehalten. Mit kleinsten gebogenen Nadeln werden die Beschädigungen danach auf einem neuen, unterlegten Gewebe fixiert. Beide Gewebe müssen dabei flach liegen, damit keine Spannungen entstehen. Um jedes Detail genau sehen zu können, wird eine Tageslichtlampe verwendet.
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Das Material
Für die Restaurierung werden weiße Garne und Gewebe aus Naturmaterialien verwendet, die für jedes Textil zunächst im genau passenden Farbton eingefärbt werden müssen. Für historische Textilien werden dazu stabile Chemiefarbstoffe verwendet und denen zur damaligen Zeit gebräuchlichen natürlichen Farbstoffen im Farbton angeglichen.
Seidengewebe mit Spitzovalblüten zwischen Rankenwerk und Tieren, Lampasbindung - Webfehler (14. Jahrhundert) von UnbekanntKunstgewerbemuseum, Staatliche Museen zu Berlin
Arbeiten mit dem Mikroskop
Unter dem Mikroskop kann genau bestimmt werden, ob das Textil in einer Leinwand-, Köper- oder Atlasbindung gewebt wurde, damit Beschädigungen mit einer vergleichbaren Bindung verschlossen werden können. Auch Webfehler und Besonderheiten des verwendeten Materials werden sichtbar, wie bei diesem Seidengewebe aus dem 14. Jahrhundert.
Seidengewebe
Italien, 14. Jahrhundert
Die Form weist das Textil als vordere Hälfte einer Kasel, eines ärmellosen Priestergewands, aus. Da das Muster aus Blüten, Ranken und Tieren bei dieser Verwendung auf dem Kopf steht, ist von einer späteren Zweitverwendung des Stoffs auszugehen.
Seidengewebe mit Spitzovalblüten zwischen Rankenwerk und Tieren, Lampasbindung - Detail (14. Jahrhundert) von UnbekanntKunstgewerbemuseum, Staatliche Museen zu Berlin
Löwenmuster
Eine Besonderheit stellen mit Streifchen aus vergoldetem Darm umwickelte Fäden dar, mit denen die Löwen gewebt wurden.
Seidengewebe mit Spitzovalblüten zwischen Rankenwerk und Tieren, Lampasbindung - Löwenkopf (14. Jahrhundert) von UnbekanntKunstgewerbemuseum, Staatliche Museen zu Berlin
Unter dem Mikroskop lassen sich die schwarz angelaufenen Goldreste gut erkennen.
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Ausstellung
Historische Kleidung gehört zu den anspruchsvollsten Ausstellungsobjekten in einem Museum. Sie ist, ähnlich wie Werke der Graphik und der Fotografie, sehr lichtempfindlich und benötigt für ihre konservatorisch korrekte Präsentation Vitrinen, in denen sie staubgeschützt und bei einem Minimum an Licht präsentiert wird. Die Ausstattung der Vitrinen mit schadstofffreien Materialien unterstützt die sachliche Präsentation der Objekte, deren inhaltliche Aussage im Mittelpunkt steht, und ermöglicht eine konzentrierte Betrachtung und Auseinandersetzung mit jedem Modell. Unterstrichen wird dieser Ansatz durch die Entscheidung, die Kostüme auf neutralen, individuell abgestimmten Büsten zu zeigen.
Figurinengruppe (2013) von Heidi BlöcherKunstgewerbemuseum, Staatliche Museen zu Berlin
Die Figurinen
Um Mode ausstellen zu können, müssen für die aus drei Jahrhunderten stammenden Gewänder geeignete Figurinen konzipiert werden, die kunsthistorischen wie konservatorischen Anforderungen gleichermaßen genügen. Gerade dreidimensionale Textilien wie Kostüme brauchen einen stützenden Träger, um sie in ihrer wesentlichen Form und Funktion zeigen zu können. Eine geeignete Figurine verleiht dem Gewand das nötige Volumen und präsentiert es in der ursprünglich intendierten, dreidimensionalen Form. Die verwendeten Materialien müssen alterungsbeständig sein und dürfen keine schädigenden Substanzen abspalten.
Maß nehmen
Das Volumen der Figurine muss nach den Vorgaben des Kleidungsstückes rekonstruiert werden. Neben den grundlegenden Maßen, wie Brust-, Taillen- und Hüftumfang, geben die Abstände von Abnähern im Kleid und das Verhältnis von Rücken und Brustbreite wesentliche Informationen über die Proportionen des Trägers.
Grundform
Für die Grundform der Figurine werden zunächst Schablonen in Frontal und Seitenansicht des Körpers gezeichnet und die Silhouetten auf 10 cm dicke Polyethylenschaum-Platten übertragen. Durch mittig
zur Körperachse ausgesägte, rechtwinklige Keile…
…können die beiden Zuschnitte kreuzweise ineinandergesteckt und miteinander verklebt werden.
Seitenteile
In den entstandenen seitlichen Zwickeln legt man in einem nächsten Schritt Platten mit gerader Schnittkante an und paust die Konturen der frontalen und seitlichen Silhouette durch.
Die mit der Bandsäge entlang dieser Durchzeichnung zugeschnittenen Keile werden anschließend in den entsprechenden Zwickel geklebt.
Dreidimensionaler Körper
So entsteht ein dreidimensionaler, voluminöser Körper, der zwar schon die erforderliche Silhouette hat, aber dessen Konturen noch zu eckig sind.
In mehreren Schichten sind die Kanten mit einem scharfen Messer abzurunden. Die Figur wird so lange modelliert, bis das Kleidungsstück ohne Spannung darauf sitzt.
Glätten
Ein symmetrisches Arbeiten und ein ständiges Nachmessen sind dabei unverzichtbar. Hat man die richtige Passform erreicht, müssen die beim Zuschneiden mit einem Messer entstandenen Unebenheiten geglättet werden.
Fertigstellung der Figurine
Die Polyethylenschaum-Figurine wird als Positiv-Form benutzt und mindestens 2–3 mm dick mit säure- und chlorfreiem Papier ummantelt. Nach dem Trocknen wird die Papierschicht in der hinteren Mitte aufgeschnitten und von der Positiv-Form abgenommen. Der Schnitt im Rücken muss sorgfältig von außen und innen verklebt werden. Der Halsabschluss kann offen belassen oder mit einer Platte aus säurefreier Pappe geschlossen werden. Mittels einer an der unteren Kante eingefügten Sockelplatte kann die Papierfigurine auf einem Ständer fixiert werden.
Rotes Samtkleid mit Perlstickerei (1805/1810) von UnbekanntKunstgewerbemuseum, Staatliche Museen zu Berlin
Partien, die nicht vom Kostüm bedeckt werden, erhalten einen Überzug aus Acrylspachtelmasse.
Unebenheiten durch die kreuzweise übereinander geklebten Papierstreifen werden damit ausgeglichen. Die matte, strukturlose Oberfläche der Spachtelmasse tritt vollständig hinter der Stofflichkeit des Kostüms zurück.
Rote Stahlreifen-Krinoline (1860 - 1863) von UnbekanntKunstgewerbemuseum, Staatliche Museen zu Berlin
Unterkleider
Bevor jedoch die Kostüme auf die Figurinen aufgebracht werden, sind in einem weiteren Schritt die passenden Unterkleider anzufertigen. Je nach Epoche, aus der das Kostüm stammt, benötigen die Röcke einen stützenden Unterbau, der an der entsprechenden Stelle die nötige Weite gibt.
Krinoline
Eine einfache Form der Herstellung von Reifröcken oder Krinolinen besteht darin, vertikal herabhängende Bänder mit regelmäßig eingewebten Schlaufen an einem Taillenband zu fixieren und Stahlreifen in bestimmten Abständen durch die Schlaufen zu ziehen. Zusätzlich aufgesetzte Rüschen sorgen für einen weicheren Fall der darüber montierten Gewebe.
Unterrock
Über alle Unterkonstruktionen mit Stahlreifen sind zusätzlich Unterröcke zu ziehen, damit die Reifen keine Abdrücke im Kostüm hinterlassen. In ähnlicher Form gilt dasselbe auch für Kleider mit weich fallendem, im diagonalen Fadenlauf zugeschnittenem Gewebe. Durch den diagonalen Fadenlauf ziehen sich die Gewebe unterhalb der Figurine zusammen, so dass sich die Unterkante der Figurine ohne Unterrock deutlich abzeichnet.
Zweiteiliges Promenadenkleid
England, um 1855
Erst nach Abschluss dieser Vorbereitungen können die Kostüme montiert werden.
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Mode des 18. Jahrhunderts
Auf Grund der hohen Lichtempfindlichkeit und dadurch bedingten kurzen Ausstellungsfähigkeit der Textilien ist schon bald ein neues Konzept für einen Wechsel der Kostüme zu erarbeiten. Somit beginnt der nächste Vorbereitungszyklus von der Restaurierung, der Fertigung von Figurinen und Unterkleidern bis hin zur Präsentation der für die nächste Zeitspanne ausgewählten Kostüme.
Text: Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz / Merle Walter / Heidi Blöcher und Christine Waidenschlager in: Mode Kunst Werke, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2014
Konzept / Redaktion / Umsetzung: Merle Walter
© Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz www.smb.museum
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