Von "Landesmuseum Württemberg"
Landesstelle für Alltagskultur Baden-Württemberg
Wandern, Hiking oder Trekking? Hauptsache Outdoor!
Das scheint das Motto vieler Menschen zu sein, die in ihrer Freizeit die Wanderstiefel schnüren. Wandern liegt im Trend, das zeigen nicht nur zahlreiche touristische Angebote in Wanderregionen. Auch diverse Outdoor-Messen und Festivals, Wandermagazine und Social-Media-Kanäle junger Influencer*innen sind Ausdruck eines Imagewandels, weg von „Heimattümelei“ und Seniorenhobby hin zur angesagten Lifestyleaktivität.
Wandern als Methode
Das Erleben von Naturräumen und das Entdecken einer Region mit ihren Sehenswürdigkeiten und Menschen ist für viele ein wichtiger Aspekt beim Wandern. Aus ähnlichen Beweggründen zog es Ende des 19. Jahrhunderts Forscher, wie Wilhelm Heinrich Riehl (1823-1897) oder den auf dem Foto abgebildeten Karl Bohnenberger (1863-1951), hinaus aus ihren Amtsstuben. Für sie war das Wandern eine Forschungsmethode, mit der sie „Land und Leute“ erkunden wollten. Ihre Sammlungen und Beobachtungen wurden zu Fundamenten der sich damals als Fach formierenden Volkskunde.
Das Wandern ist des Müllers Lust?
Das Wandern hat sich erst im Laufe der Jahrhunderte von einer notwendigen Fortbewegungsart hin zu einer beliebten Freizeitaktivität entwickelt. Bis zum Beginn der Industrialisierung war der Transport von Gütern und Menschen zeitaufwendig und teuer und Reisen daher ein Luxus.
Man wanderte entweder aus religiös-moralischen Gründen an Pilger- und Wallfahrtsorte oder weil es notwendigerweise zum Arbeits- und Alltagsleben gehörte, wie zum Beispiel für Dienstboten auf Bauernhöfen. Sie erhielten am 2. Februar (Mariä Lichtmess) ihren Jahreslohn.
Da viele von ihnen an diesem Tag auch ein neues Dienstverhältnis eingingen, war dies der „Wandertag der Dienstmädchen“, an dem sie zu ihren neuen Arbeitgebern zogen.
Wanderst Du schon oder spazierst Du nur?
Die Bedeutung von "Wandern" hat sich im Laufe der Zeit verändert. Zudem ist es vom individuellen Empfinden abhängig, ab wann man von einer Wanderung spricht. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie definierte in einem Forschungsbericht aus dem Jahr 2010 wandern als „Gehen in der Landschaft“. Eine Freizeitaktivität mit einer Dauer von mehr als einer Stunde, mit entsprechender Planung und Ausrüstung, bei der spezifische Infrastruktur genutzt wird.
Zur Entdeckung der Wanderregionen
Für die Entwicklung der Wanderregionen spielte der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur im Laufe des 19. Jahrhunderts eine entscheidende Rolle. Mit dem bis 1880 erfolgten Bau der Eisenbahnhauptstrecken eröffneten sich neue Möglichkeiten, schneller in die Wanderlandschaften zu gelangen.
Parallel zum sich verdichtenden Eisenbahnnetz entwickelte sich das mehrheitlich bürgerlich geprägte Wandervereinswesen rasant.
Gründungsmitglieder und Förderer des Schwäbischen Albvereins im Jubiläumsjahr 1913 (1913)Originalquelle: Schwäbischer Albverein
Angetrieben wurde die touristische Erschließung der Mittelgebirgsregionen meist durch lokale Akteure, wie Bürgermeister, Pfarrer, Lehrer und v.a. Gastwirte.
Die vermeintliche Rückständigkeit der Regionen avancierte dabei zum Kapital des frühen Tourismus, indem Landschaftsbilder umgedeutet wurden. Was vorher als abweisend empfunden wurde, galt nun als einladend, schöner Landstrich.
Wandern in Baiersbronn (1960–1980)Originalquelle: Landesfilmsammlung Baden-Württemberg
Grüße aus Baiersbronn
Wege in die Natur
„Wer schlug den Weg in Fels und Stein? Es war der Schwäbische Albverein!“ Die Herkunft dieser Losung ist leider nicht belegt, aber sie verdeutlicht eine der wichtigsten Aktivitäten von Wandervereinen: Sie machten und machen Naturlandschaften zugänglich und „möblieren“ diese mit Wanderwegen, Hütten und Aussichtstürmen. Auch wenn es oftmals suggeriert wird, finden Wandertourist*innen heute keine unberührte Wildnis mehr vor.
Warum wanderst Du?
Bei einer Umfrage unter Wanderguides des Schwäbischen Albvereins wurden die Ergebnisse einer repräsentativen Studie zum deutschen Wandermarkt aus dem Jahr 2014 bestätigt. Hier gaben 75% der Befragten das Naturerlebnis als wichtigsten Wandergrund an, während sich 30% wünschten, „den Kopf frei zu bekommen“. Weitere Motive für eine Wanderung sind das Gewinnen von neuen Eindrücken sowie Selbstreflexion und Selbstfindung.
Into the wild
Den Menschen heute wird oft unterstellt von der Natur distanziert zu sein und gleichzeitig ein starkes Bedürfnis nach ihr zu empfinden. Naturräume sind für die meisten ästhetisch aufgeladene Flächen, die Erholung und Rückzugsmöglichkeiten vor den Anforderungen des Stadtlebens bieten. Der Gegensatz von „urwüchsiger Natur“ und „vom Menschen gemachten Landschaften“ sowie damit verbundener Wertvorstellungen sind in unserem kulturellen Gedächtnis tief verankert. Sie wurden geprägt im Zeitalter der Romantik, als Maler, Dichter und Denker das Idealbild einer unberührten, wilden und schönen Natur entwarfen.
Gemeinsam, zweisam oder einsam?
Die beachtliche Zahl an Wandervereinen und Wandergruppen zeigt die Bedeutung sozialer Motive beim Wandern. Hier stehen Kontakt, Kommunikation und Gemeinschaftlichkeit oftmals im Vordergrund. Mitglieder von Wald- und Bergvereinen, Wandertreffs, Naturfreunde, Pfadfinder und „Wandervögel“ propagier(t)en und popularisierten den zweckfreien Gang in die Natur. So erreichte das Wandern als Freizeitaktivität vor 100 Jahren schließlich die Mitte und Breite der Gesellschaft. Das Foto zeigt Mitglieder des Arbeiterwandervereins „Naturfreunde“ aus Stuttgart-Rohracker während einer Rast ca. 1922-25.
Postkarte Kurpark Schramberg (Schwarzwald) (Anfang 20. Jh.)Landesmuseum Württemberg
Seh-Sucht Panorama
Aussichtspunkte, Türme und Berggipfel zählen zu den beliebtesten Wanderderzielen, da sie eine freie und weite Sicht in die Umgebung ermöglichen. Hat man das Ziel erreicht, kann man hier den Blick schweifen lassen und die durchwanderte Landschaft überschauen.
Die meisten Menschen empfinden diese Weite als befreiend, da es den psychischen Erholungsfaktor eines „anderswo seins“, weg vom gewohnten Alltag, verstärkt.
Auch in der Kunst ist das Panorama ein populäres Sujet, das sich in unzähligen Gemälden wiederfindet.
Trophäen
Anstecknadeln oder Stocknägel sind kleine Plaketten aus Blech, die als Souvenirs an Hut oder Stock befestigt werden. Sie erinnern an Ereignisse, zeigen Orte, an denen man schon gewesen ist oder Wanderrouten, die man schon beschritten hat. Sie fungieren als Beweis für eine touristische Erfahrung und machen Wanderhut und Wanderstock zu Trophäen und persönlichen Erinnerungsträgern.
Funktionen von Kleidung
Zwei Aspekte galt es bei der Auswahl von Wanderkluft im 19. Jh. zu beachten. Zum einen sollten Kleidung und Ausrüstung natürlich zweckmäßig sein, zum anderen war es wichtig, sich mit der Kleidung auch von „Landstreichern“ abzuheben. Wie auch bei anderer Kleidung, geht es bei Wanderkleidung nicht allein um Funktionalität, vielmehr will man mit seiner Kleidung auch etwas darstellen. Sie ist nach außen hin getragenes Distinktions- und Zugehörigkeitsmerkmal.Auch bei der Jugendbewegung der Wandervögel war Wandern nicht nur eine körperliche Betätigung, sondern Ausdruck ihres Lebensstils und innerer Überzeugung. Auf gemeinsamen Wanderungen bestärkten sie ihre Verbundenheit und grenzten sich gegenüber Erwachsenen mit ihrer speziellen Kleidung ab.
Wanderstöcke (Ende 19. – Anfang 21. Jahrhundert)Landesmuseum Württemberg
Urban Outdoor
Während man in den Anfangstagen der Wanderbewegung unter funktionellen Gesichtspunkten suchte, was sich von der Alltagskleidung auch für die Bedürfnisse des Wanderns eignete, trägt man heute die für die Erfordernisse der Natur entwickelte Funktionskleidung in urbanen Räumen.
Dieser sich langsam entwickelnde Trend lässt sich seit dem Beginn des neuen Jahrtausends beobachten. Trendforscher*innen beschreiben „Urban Outdoor“ als ein Lebensgefühl von Menschen, die eher in städtischen Regionen wohnen, sich aber zugleich mit der Natur verbunden fühlen.
Wandern – so geht´s?
Wandern kann jeder und jede und wie es geht, dazu gibt es online zahlreiche Tipps und Ratschläge. Als erfolgreich gilt, wer durchgehalten, sein (Wander-)Ziel erreicht hat und dies auch beweisen kann. Heute übernehmen Selfies oder Postings in sozialen Medien diese Aufgabe. Eine andere Möglichkeit bietet die Imagekampagne des Landes Baden-Württemberg mit ihren Aufklebern. Immer häufiger sind sie zu finden, von Tourist*innen und Wanderern an den entlegensten Plätzen der Welt angebracht: „Nett hier. Aber waren Sie schon mal in Baden-Württemberg?“ So kann man heute auch sagen: Ich hab‘s geschafft und bin dort gewesen!
Konzept/Text: Sabine Zinn-Thomas und Angelika Merk (Landesstelle für Alltagskultur)
Redaktion & Umsetzung: Anna Gnyp (Digitale Museumspraxis & IT)
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