Eine neue Trauermückenart

Von "Leibniz-Gemeinschaft"

Leibniz Gemeinschaft

Im Rahmen der simultanen Ausstellung "8 Objekte, 8 Museen" der Leibniz-Forschungsmuseen stellt das Zoologische Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn seinen bestechendsten Fang vor: eine neue Trauermückenart.

Trauermücke Ctenosciara alexanderkoenigi von Zoologisches Forschungsmuseum Alexander KoenigLeibniz-Gemeinschaft

"Weltneuheit" im Museumsgarten

Eine völlig neue Trauermückenart fanden Wissenschaftler im Park des Museums Koenig mitten in Bonn. Dies ist deshalb ein wirklich spektakulärer Fund, weil in Europa in der Regel neue Arten in Gegenden gefunden werden, die noch relativ unerforscht sind. Die Mücke wurde zufällig bei einem Probelauf einer automatisierten Falle während der Arbeiten am Projekt „German Barcode of Life“ gefangen, das die deutsche Artenvielfalt anhand des genetischen Barcodes erfasst. Die Barcodes aller Pflanzen, Tiere und Pilze in Deutschland werden derzeit erfasst und in einem Datenarchiv gesichert. So erhofft man sich zukünftig zum besseren Schutz der Biodiversität eine schnellere Erfassung der Artenvielfalt. Umso erstaunlicher war, dass sich zusätzlich noch herausstellte, dass die Art ursprünglich aus Neuseeland stammte. Sie muss im Rahmen der sogenannten Globalisierung nach Deutschland eingeschleppt worden sein.

Malaisefalle im Park des Museums von Zoologisches Forschungsmuseum Alexander KoenigLeibniz-Gemeinschaft

Entdeckt wurde die Mücke in einer Malaise-Falle – benannt nach dem schwedischen Entomologen René Malaise (1892–1978). Insekten geraten in den unteren, dunklen Bereich der Falle, versuchen nach oben ins Helle auszuweichen, und gelangen so in ein Fanggefäß, in dem sie in hochprozentigem Alkohol getötet und für die wissenschaftliche Bearbeitung konserviert werden.

Europäische Arten der Gattung Ctenosciara von Zoologisches Forschungsmuseum Alexander KoenigLeibniz-Gemeinschaft

Die auffallend hübsche neue Art (oben rechts) ist mit ihren orangefarbenen, gelben, weißen und braunen Tönen kontrastreich gefärbt und unterscheidet sich so deutlich von den drei anderen bisher bekannten europäischen Trauermückenarten. Ihre taxonomische Beschreibung wurde im April 2016 von Björn Rulik und dem Bürgerwissenschaftler Kai Heller veröffentlicht.

DNA-Sequenzunterschiede von Zoologisches Forschungsmuseum Alexander KoenigLeibniz-Gemeinschaft

Die Besonderheiten der neuen Trauermücke betreffen aber nicht nur ihre äußeren Merkmale – auch an ihrem DNA-Barcode lässt sich ihre Einzigartigkeit ablesen. DNA-Barcoding hat sich als weltweit genutzte Standardmethode zur schnellen und zuverlässigen genetischen Artidentifizierung von Tieren, Pflanzen und Pilzen entwickelt. Bestimmte kurze Genabschnitte – DNA-Barcodes – sind für jede Art einzigartig.

Beispiele der neu entdeckten Arten, Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig, Aus der Sammlung von: Leibniz-Gemeinschaft
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Die Taxonomie erfasst die verwandtschaftlichen Beziehungen von Lebewesen in einem systematischen System. In der Abteilung Arthropoda (Gliedertiere) wurden am Museum Koenig in den letzten zehn Jahren über tausend neue Arten beschrieben. Auf die Ergebnisse der Taxonomie sind Natur- und Umweltschutz, Landwirtschaft, Medizin und Evolutionsforschung angewiesen.

Lagerung von isolierter DNA (Erbinformation) bei ca. 180 Grad Celsius am Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig, Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig, Aus der Sammlung von: Leibniz-Gemeinschaft
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Archiviert und aufbewahrt wird der Fang in der Arthropodensammlung, der DNA-Barcode der Mücke ist in der Gewebe- und DNA-Sammlung („Biobank“) des Museums archiviert.

Alexander Koenig an seinem Schreibtisch von Zoologisches Forschungsmuseum Alexander KoenigLeibniz-Gemeinschaft

Benannt wurde die neue Trauermücke Ctenosciara alexanderkoenigi nach dem Gründer des Museums Alexander Koenig (1858–1940). Er studierte Zoologie in Greifswald und Marburg, promovierte über Vogelläuse und unternahm große Expeditionen. 1929 übereignete er dem preußischen Staat sein aus Privatvermögen aufgebautes Institut.

Trauermücke von Zoologisches Forschungsmuseum Alexander KoenigLeibniz-Gemeinschaft

Vorkommen und Lebensweise

Trauermücken sind weltweit verbreitet und in der Regel 3 bis 5 mm klein. Ihren Namen erhielten sie wegen ihrer dunklen Körperfärbung und den meist dunkel getrübten Flügeln. Allein in Deutschland kommen weit über 400 Arten dieser Familie vor. Die erwachsenen Trauermücken haben eine Lebenserwartung von wenigen Wochen. Für Menschen sind sie nicht gefährlich. Lästig werden sie zum Beispiel bei Massenvorkommen in feuchter Blumenerde, da ihre Larven sich bevorzugt von Pflanzenwurzeln ernähren.

CT Scan der Trauermücke von Zoologisches Forschungsmuseum Alexander KoenigLeibniz-Gemeinschaft

Micro-CT Scan der Trauermücke: Charakteristisch für diese Familie sind neben den langen Fühlern die glockenförmig aufgespaltene Mittelader der Flügeladerung.

Trauermückenlarve von Zoologisches Forschungsmuseum Alexander KoenigLeibniz-Gemeinschaft

Eine weibliche Trauermücke legt bis zu 200 Eier. Die Larven ernähren sich von verrottendem Pflanzenmaterial und Feinwurzeln und spielen eine wichtige Rolle beim Aufschluss von Nährstoffen im Stoffkreislauf. Der Entwicklungszyklus vom Ei zum Imago (ausgewachsenes Tier) umfasst drei Larvenstadien sowie die Verpuppung im Boden und dauert weniger als einen Monat.

Sciara Militaris Heerwurm von Zoologisches Forschungsmuseum Alexander KoenigLeibniz-Gemeinschaft

Der sogenannte Heerwurm besteht aus tausenden Mückenlarven der Trauermückenart Sciara militaris (Nowicki, 1868). Die Larven schließen sich zu einem Strang zusammen und bewegen sich in eine Richtung fort. Dauernd kommen neue Larven dazu und bilden lange Wanderkolonnen.Mit einer Geschwindigkeit von etwas einem halben Meter pro Stunde sind die Tiere nicht sonderlich schnell. Solche "Prozessionen" sind vollkommen harmlos. Um dieses Naturereignis ranken sich zahlreiche Sagen und Mythen.

Australasien von Zoologisches Forschungsmuseum Alexander KoenigLeibniz-Gemeinschaft

Aus der Fremde nach Europa

Die neue Trauermückenart ist ein Neozoon, d.h. eine Art, die durch bewussten oder unbewussten menschlichen Einfluss neue Lebensräume gefunden hat. Genetische Untersuchungen ergaben, dass sie aus Australasien stammt. Vermutlich ist sie mit importierten Pflanzen nach Europa gekommen. Mittlerweile sind vier weitere Individuen aus dem Norden Neuseelands bekannt, die denselben DNA-Barcode aufweisen wie das Tier aus dem Museumspark. Der Bonner Fang war also von doppeltem Interesse: Die Mücke war auch in ihrem Ursprungsgebiet noch nicht bekannt.

Frisch geschlüpftes Weibchen der invasiven Stechmückenart Aedes japonicus (Theobald, 1901) von Zoologisches Forschungsmuseum Alexander KoenigLeibniz-Gemeinschaft

Auch die asiatische Buschmücke (Aedes japonicus, Theobald, 1901) ist ein Neozoon in Deutschland – ursprünglich stammt sie aus Süd-China, Japan und Korea. Der Moskito mit den gemusterten Beinen ist seit 2000 auch in Europa nachgewiesen. Er scheint einheimische Arten zu verdrängen. Eine gebietsfremde Art, die heimische biologische Vielfalt gefährdet, weil ihr z.B. die natürlichen Feinde fehlen, nennt man invasiv (invadere, lat.: eindringen, angreifen, einbrechen).

Die asiatische Buschmücke rückt nach Norden vor, 2012 – 2014 von Zoologisches Forschungsmuseum Alexander KoenigLeibniz-Gemeinschaft

Das Verbreitungsgebiet eines Neozoons kann in sehr kurzer Zeit größer werden. Wie schnell das gehen kann, zeigt diese Karte. Von 2012 bis 2014 ist ein stark zunehmendes Auftreten der asiatischen Buschmücke zu beobachten.

AMMOD, Projektzeichnung von Zoologisches Forschungsmuseum Alexander KoenigLeibniz-Gemeinschaft

Automatisierte Erfassung von Artenvielfalt – eine Vision

Der Kampf gegen den Rückgang der Artenvielfalt leidet darunter, dass wir nicht wissen, wie sich die Tier- und Pflanzenwelt in Raum und Zeit verändert und wie viele Arten es gibt. Denn weder existieren global vernetzte Forschungsprogramme noch eine automatisierte Erfassung der Lebewesen. Um Artenvielfalt zukünftig in Analogie zu Wetterstationen automatisiert zu registrieren, sollen mit dem AMMOD-Projekt (automated multisensor station for monitoring of species diversity) neuartige Techniken zusammengeführt werden.

Tierstimmenerfassung (1) mit Audiorekordern und Auswertung mit Spezialsoftware: Das Museum leitet den Aufbau eines Referenzarchivs für Tierstimmen. Foto- und Filmaufnahmen (2) mit Infrarot-Kameras, die über Bewegungsmelder oder Infrarot-Sensoren ausgelöst werden: Kleine bis mittelgroße Säugetiere und Insekten werden erfasst, ein Mottenscanner registriert nachtaktive Schmetterlinge. Sniffer, Smellscapes, Duftstoffmessung (3): „Künstliche Nasen“ auf Basis der Ionenmobilitätsspektrometrie mit Sensibilität für geringste Duftkonzentrationen sollen z.B. schädliche Pestizide erkennen.

Skyscanner (4): Automatisierte Kameraanalyse-Systeme erfassen fliegende Lebewesen am Himmel und geben Aufschluss über die bevorzugten Routen und Landschaften der Zugvögel. Pollensammler (5) zur Bestimmung der gesamten Vielfalt an Pflanzenpollen via DNA-Barcoding Probenwechsler (6): Das Museum entwickelt die Malaisefalle weiter, um fliegende Insekten über programmierbare Zeitintervalle hinweg zu sammeln und zu konservieren.
Solarbetriebene Steuereinheit und Datentransmitter (7): In dieser autarken Zentralstation werden alle erfassten Daten von den einzelnen Modulen (1-6) via WiFi gesammelt, komprimiert und in das Hauptrechenzentrum verschickt.

Diorama Savanne von Zoologisches Forschungsmuseum Alexander KoenigLeibniz-Gemeinschaft

Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig

Das Museum Koenig steht für innovative Biodiversitätsforschung zum Schutz der Artenvielfalt. Dazu gehören Evolutionsforschung, Taxonomie, Modellierungen und Monitoring. Biodiversität ist eine wichtige Grundlage unseres Lebens. Sie umfasst nicht nur die Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten, Mikroorganismen, Pilze und die genetische Vielfalt innerhalb von Arten, sondern auch die komplexen ökologischen Prozesse und Wechselwirkungen in einer Vielzahl von Lebensräumen auf der Erde.

Gemeiner Engelhai oder Meerengel von Zoologisches Forschungsmuseum Alexander KoenigLeibniz-Gemeinschaft

Gemeinsam mit der Universität Las Palmas de Gran Canaria und der Zoological Society of London arbeitet das Museum Koenig an einem Forschungsprojekt, das sich dem Schutz der Engelhaie, auch Meerengel genannt, widmet. Die Daten der Sichtungen von Engelhaien werden zu immer besseren Prognosen und Simulierungen genutzt. Für diese entwickelt das Museum Koenig immer präzisere Computerprogramme.

Mitwirkende: Geschichte

„8 Objekte, 8 Museen“ ist ein Gemeinschaftsprojekt der Leibniz-Forschungsmuseen und des Leibniz-Instituts für Wissensmedien in Tübingen zum Leibniz-Jahr 2016.

German Barcode of Life (GBOL) - Koordinationsprojekt des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig - Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere zu einer »neuen Trauermückenart«

Alle Dokumente und Fotos sofern nicht anders vermerkt: German Barcode of Life (GBOL) beziehungsweise Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig
Fotografien: Jonas Astrin, Detlef Karbe, Ricosz Szczygiel, Carlos Suarez, Uwe Vaartjes
Schaubilder: Grafik Australasien: public domain Central Intelligence Agency's World Factbook · Abbildung zur Ausbreitung der asiatischen Buschmücke: verändert nach NordNordWest & Lencer mit Daten aus KABS 2015 CC BY-SA 3.0
Videos: Rühr PT & Rulik B (2016): Micro CT Scan Trauermücke Ctenosciara, https://youtu.be/j7xd3BUEzoA [CC BY-SA 4.0]
D3512K84 (2013): Sciara Militaris Heerwurm Trauermückenlarven, https://youtu.be/qmXqe91-cIE [Standard YouTube License]

Text und Objektauswahl: Björn Rulik & Sabine Heine
Öffentlichkeitsarbeit: Sabine Heine & Björn Rulik
3D Visualisierung: Peter T. Rühr
Übersetzung: Hendrik Herlyn

Literatur: Heller K & Rulik B (2016): Ctenosciara alexanderkoenigi sp. n. (Diptera: Sciaridae), an exotic invader in Germany? – Biodiversity Data Journal 4: e6460, http://dx.doi.org/10.3897/BDJ.4.e6460

Quelle: Alle Medien
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