Aufdecken, bitte!
Egal ob Poker oder Quartett, Black Jack oder Uno. Kartenspiele machen Spaß und bringen Menschen zusammen. Aber kennt ihr das Hundertdichterspiel? Oder habt ihr schonmal mit Spielkarten eine Sprache gelernt?
Das Deutsche Spielkartenmuseum in Leinfelden-Echterdingen, eine Zweigstelle des Landesmuseums Württemberg, verwahrt seit 40 Jahren wertvolle Kartenspiele aus der ganzen Welt. Aus der über 30.000 Spiele umfassenden Sammlung stellen wir euch vier Karten-Sets vor, die ihr sicher noch nicht kennt.
Los geht’s!
Vier Kartenspiele, die ihr sicher noch nicht kennt (2022/2022)Landesmuseum Württemberg
1. Das Hundertdichterspiel
Diese Spielkarten entstanden im Japan der Edo-Periode, also zwischen 1603 und 1868. Handbemalt und mit Tusche beschriftet, wurden sie rückseitig mit Silberpapier beklebt. Die eine Hälfte der insgesamt 200 Spielkarten zeigt jeweils ein Portrait und den Namen von insgesamt hundert verschiedenen Poet*innen sowie den Anfang eines Gedichts.
Auf der anderen Kartenhälfte stehen die jeweiligen Gedicht-Fortsetzungen.
Die Auswahl stammt aus einer traditionellen Gedicht-Sammlung (Ogura Hyakunin Isshu), die im 13. Jahrhundert zusammengetragen wurde. Beliebt ist dieses Kartenspiel bis heute.
Bildung und Schnelligkeit sind gefragt: Jede Runde beginnt mit dem Vortragen eines Gedichts aus der ersten Kartenhälfte, den Lesekarten. Die sogenannten Feldkarten mit den Gedicht-Fortsetzungen liegen ausgebreitet vor den Spieler*innen. Ziel ist es, sich als erste*r die Feldkarte mit dem richtigen Ende des Gedichts zu schnappen.
Über Jahrhunderte waren Kartenspiele in Japan Zeitvertreib von Adel und Gelehrten. Heute wird das Hundertdichterspiel in allen Bevölkerungsgruppen gespielt. Es gibt auch offizielle Wettkämpfe. Manche Spieler*innen erkennen die Gedichte nach nur wenigen Silben.
鳥文斎栄之画 「畧六花撰」|Matching Shells (Kaiawase), from the series Modern Parodies of the Six Poetic Immortals (Yatsushi rokkasen) (ca. 1796–98) von Chōbunsai EishiThe Metropolitan Museum of Art
Die japanischen Papier-Kartenspiele (karuta) entstanden nach ersten Handelskontakten mit Europa im 16. Jahrhundert. Das Spielprinzip des Hundertdichterspiels ist dem rund 500 Jahre älteren japanischen Muschelspiel (kai-awase) entlehnt, das auf dieser Grafik dargestellt ist:
Zwei Muschel-Teile, die innen bemalt oder beschriftet sind, werden zu einer (Sinn-) Einheit zusammengefügt.
Auch außerhalb Japans sind solche Zusammensetzspiele wie zum Beispiel Quartett oder Memory beliebt.
2. Die Klosterkarten
Dieses Kartenspiel aus Deutschland wurde um 1550 gedruckt und ist weltweit einmalig: Hier wird nämlich mit Mönchen, Nonnen, Priestern und Kardinälen als Farbzeichen gespielt.
Schon die ersten europäischen Kartenspiele haben vier verschiedene Symbole, auch Farbzeichen oder einfach Farben genannt. Am bekanntesten sind heute die „französischen“ Farben Herz, Karo, Pik und Kreuz. Die eigentliche Einfärbung der Zeichen, zum Beispiel Rot oder Schwarz, ist nicht für alle Spielregeln wichtig.
Auch das zeigt unser Kloster-Kartenspiel, dessen Symbole überhaupt nicht eingefärbt sind.
Im 16. Jahrhundert waren Spielkarten in ganz Europa verbreitet. Manche Fürsten und Bischöfe waren deshalb besorgt: Kartenspiele um Geldeinsätze und unter Alkohol-Einfluss endeten häufig in Streit und Schlägereien, verschuldete Spieler*innen rutschten in Armut und Kriminalität. Insbesondere die katholische Kirche fürchtete den moralischen Verfall.
Prediger wie Johannes Capistranus (1386–1456) prangerten Spiele als Eitelkeit und Todsünde an. Wie auf diesem Holzschnitt sichtbar kam es sogar zu Spieleverbrennungen. Kartenspielen schien mit einem Leben als Priester oder im Kloster nicht vereinbar.
Spielkarten mit Nonnen und Mönchen? Wer denkt sich denn sowas aus? Vielleicht waren hier clevere Klosterbewohner*innen am Werk: Statt mit „unmoralischen“ Farbzeichen spielten sie einfach mit eigenen.
Denkbar wäre aber auch, dass die Karten von Anhänger*innen der Reformation benutzt wurden. Wie diese Medaille, die je nach Perspektive mal einen Kardinal, mal einen Narren zeigt, könnte man auch unsere Spielkarten als Satire auf den katholischen Klerus verstehen.
Wer aber wirklich hinter den mysteriösen Spielkarten steckt, wissen wir letzten Endes nicht.
Spottmedaille auf die katholische Kirche Spottmedaille auf die katholische KircheLandesmuseum Württemberg
3. Die Augsburger Händler*innen-Karten
Diese Karten aus dem 18. Jahrhundert wurden in Augsburg gedruckt. Neben den „deutschen“ Farbzeichen Schelle, Herz, Eichel und Laub sowie Zahlen von Sechs bis Zehn und dem König zeigen sie die Werte Ober, Unter und Sau (Daus). Mit diesen Karten wird in einigen Regionen Deutschlands heute noch gespielt: Sie ersetzen Dame, Bube und Ass. Ins Auge stechen aber vor allem die Abbildungen verschiedener Händler*innen, denen man im 18. Jahrhundert in Augsburg und Umgebung begegnen konnte.
Spielkarten mit Augsburger Händler*innen (18. Jahrhundert)Landesmuseum Württemberg
Angeboten werden Produkte aus Landwirtschaft und Handwerk: Sauerkraut, Kornblumen, aber auch Holzwannen und Leitern.
Unter dem jeweiligen Bild steht, was die Händler*innen rufen, wenn sie ihre Waren anpreisen – und zwar im schwäbischen Dialekt, der noch heute in Augsburg gesprochen wird.
Spielkarten mit Augsburger Händler*innen (18. Jahrhundert)Landesmuseum Württemberg
Dieser schwer bepackte Mann ruft: „Kohla, Kohla“. Darunter steht eine französische Übersetzung: „des Charbons“ – Kohle. In den Bündeln auf seinem Rücken transportiert der Mann also Kohlen in die Stadt.
Handeltreibende von Nah und Fern besuchten Augsburg im 18. Jahrhundert. Nicht alle werden den schwäbischen Dialekt verstanden haben. Französisch konnten dagegen viele Menschen in ganz Europa verstehen oder sprechen.
Waren diese Spielkarten eine Vokabel-Hilfe, die man zum Beispiel bei einem solchen Straßenhändler kaufen konnte? Vielleicht handelt es sich auch um ein Souvenir, das Besucher*innen als Andenken an Augsburg mit nach Hause nahmen.
In jedem Fall erwarben sie mit diesem Kartenspiel auch eine Erinnerung an das Schwäbische, die für zukünftige Aufenthalte sehr nützlich sein konnte.
4. Die Tarotkarten der Niki de Saint Phalle
Als bedeutende Künstlerin der Moderne ist Niki de Saint Phalle vor allem für ihre Skulpturen bekannt. Inspiriert von den Figurenkarten des Tarots entwickelte die in Frankreich geborene Künstlerin eigene, farbenfrohe Designs für ein Tarotkarten-Spiel. Dabei reflektiert de Saint Phalle jahrhundertealte Darstellungstypen der einzelnen Tarotkarten.
Dieses Kartenspiel stammt aus dem Jahr ihres Todes 2002.
Spielkarten werden seit Jahrhunderten zum Wahrsagen verwendet. Das italienische Kartenspiel tarocchi aus dem 15. Jahrhundert ist da keine Ausnahme. Das Wahrsagen mit Tarot-Karten wurde allerdings erst ab dem 18. Jahrhundert ein weit verbreitetes Phänomen.
Der Theologe und Freimaurer Antoine Court de Gébelin (1719–1784) forschte zur verloren gegangenen Bedeutung der Figurenkarten des Tarot-Spiels. Mit seinen Studien bereitete er den Boden für die spirituelle Beschäftigung mit Tarot-Karten. Heute gelten sie als DIE Karten für Wahrsagung und Traumdeutung schlechthin.
Einen ganzen Landschaftsgarten mit riesigen, teilweise begehbaren Tarot-Skulpturen begann Niki de Saint Phalle ab den 1970er Jahren im italienischen Garavicchio zu bauen. Sie bezog sogar eine Wohnung, die sie in der überlebensgroßen Figur der Kaiserin einrichtete. Seit 1998 kann der Garten im Heimatland des Tarots besichtigt werden.
Ihr Verhältnis zu Spielkarten erläutert Niki de Saint Phalle in einem Buch über ihre Tarot-Entwürfe:
„Das Leben ist wie ein Kartenspiel; wir werden geboren, ohne die Regeln zu kennen, aber jeder von uns muss mit dem Blatt spielen, das er bekommt“.
Seit wann gibt es Spielkarten?
In China soll es bereits im 7. Jahrhundert Spielkarten gegeben haben. In Europa hören wir erstmals im 14. Jahrhundert von ihnen. In ihrer Anfangszeit waren Kartenspiele wohl überall auf der Welt ein Zeitvertreib von Adel und Gelehrten. Die Mitte der Gesellschaft erreichten Spielkarten in Europa erst mithilfe der Drucktechnik. Diese im Holzschnittverfahren hergestellten Spielkarten wurden in einer Kirche bei Muri (Schweiz) gefunden. Sie zeigen, dass Spielkarten durch ihre vielfache Herstellung im Druckverfahren längst nicht mehr nur in Adelskreisen verbreitet waren.
Wo gibt es überall Spielkarten?
Kartenspiele gibt es auf jedem Kontinent und in jedem Land auf der Welt. Viele Spielkarten erzählen Geschichten des Kulturtransfers, manche auch des Kolonialismus.
Ein Beispiel ist diese Karte aus dem indischen Spiel „Dashavatara Ganjifa“: Sie zeigt den hinduistischen Gott Vishnu und hat eine traditionell runde Form. Das verwendete Farbzeichen ist jedoch „Französisch“ (Pik).
Warum gibt es Kartenspiele?
Man könnte auch fragen: Warum spielen Menschen? Ist Spielen nicht eine sinnlose, zweckfreie Beschäftigung? Zumindest nicht, wenn es um Geselligkeit geht: Spielkarten bringen Menschen jeden Alters, teilweise sogar über Sprachbarrieren hinweg zusammen. Gemeinsames Spielen kann das Kennenlernen erleichtern oder den Zusammenhalt einer Gruppe stärken.
Auch wenn Kartenspiele früher ein Phänomen höfischer Feste oder gelehrter Kreise waren, sind sie heute überall in der Gesellschaft verbreitet und bringen Unterhaltung in das Leben vieler Menschen.
Konzept/Text: Judith Thomann
Redaktion/Umsetzung: Anna Gnyp
Englische Übersetzung: Marcus Berendsen
Fotos und Film: Hendrik Zwietasch und Jonathan Leliveldt
Deutsches Spielkartenmuseum Leinfelden-Echterdingen: https://www.leinfelden-echterdingen.de/Startseite/Kultur/Spielkartenmuseum.html
Verein zur Förderung des Deutschen Spielkartenmuseums Leinfelden-Echterdingen e.V.: https://www.foerderverein-spielkartenmuseum.de/
Copyright Tarotkarten Niki de Saint Phalle: Niki Charitable Art Foundation / Deutsches Spielkartenmuseum Leinfelden-Echterdingen
Interessiert am Thema „Visual arts“?
Mit Ihrem personalisierten Culture Weekly erhalten Sie Updates
Fertig!
Sie erhalten Ihr erstes Culture Weekly diese Woche.