Neues Glas für eine neue Ära

Seit Jahrtausenden bearbeiten, formen und pressen die Menschen Glas. Glasmacher haben lange experimentiert, um die beste Rezeptur und die besten Verarbeitungsprozesse zu finden, und die moderne Chemie hat neue Zusammensetzungen ermöglicht. Die genaue Entstehungsgeschichte von Glas ist nicht bekannt, aber das Material hat zu zahlreichen Erfindungen in der Wissenschaft, Technologie und Kunst beigetragen.

Portrait Inlay of Pharaoh Akhenaten (-17) von UnknownCorning Museum of Glass

Common sodalime glass is made from soda ash (sodium carbonate) and lime (calcium carbonate).

With the rise of modern chemistry, glassmakers developed new glass formulas to create glasses with new, desirable properties.

Harbor Lantern with Dioptric Lens (1852 - 1866) von Brooklyn Flint Glass Works, ManufacturerCorning Museum of Glass

Die Suche nach dem passenden Material

Im 19. Jahrhundert wurden Signallampen zu einer unverzichtbaren Sicherheitsmaßnahme, da Menschen und Waren in Nordamerika weite Strecken per Bahn oder Schiff zurücklegten. Doch durch die extremen Temperaturen sprang und zerbarst das Glas oft, was zu Unfällen führte – die teilweise sogar tödlich endeten.

Engraving of Jenaer Glaswerk in 1900 (1902) von Jenaer Glaswerk Schott & Gen.Originalquelle: View Original

Der Glastechniker Otto Schott (1851-1935) stellte fest, dass Glas durch das Hinzufügen von Bor hitzebeständig wurde, und entwickelte daraufhin das erste robuste, akkurate Thermometer.

Product Information: Technical data on Corning's #7740 glass (1963-06-19) von Corning Glass WorksCorning Museum of Glass

Corning Glass Works stellte diese Thermometer mit einer genialen Methode her, die Arthur Houghton, der Enkel des Firmengründers, aus England übernommen hatte.
In Sodalim-Glas erweichen Natriumatome das Glas, wodurch es leichter zu formen ist. Aber Natrium lässt Glas auch expandieren, wenn es sich erwärmt. Wenn Natriumatome heiß sind, vibrieren sie und dehnen sich stärker aus als die meisten anderen Atome im Glas.
Bei Borosilikatglas erfolgt die Erweichung durch die hinzugefügten Boratome, so dass weniger Natrium benötigt wird. Infolgedessen dehnt sich Borosilikatglas nur um ein Drittel so stark aus wie Sodalimglas.

Engraved Pyrex Teapot with Lid and Underplate (1929/1935) von Corning Glass WorksCorning Museum of Glass

Pyrex

Das Original-Pyrex-Glas ist ein Borosilikatglas. Dieses Glas reagiert nicht so stark auf Temperaturunterschiede wie das herkömmliche Kalk-Natron-Glas. Dadurch ist es weniger anfällig und zerbricht nicht so leicht, wenn es in einem Ofen oder im Labor über einem Bunsenbrenner erhitzt wird oder anschließend auf einer Arbeitsfläche abkühlt.

Lenses, roundels and slides for railroad & traffic signals (1926) von Corning Glass Works, Railroad and Marine DivisionCorning Museum of Glass

Bei Corning entwickelten die Wissenschaftler Eugene Sullivan und William Taylor eine neue Rezeptur, die sie Nonex-Glas (von "non-expansion" – "keine Ausdehnung") nannten. Ihre Erfindung kam vor allem bei Eisenbahnsignalen zum Einsatz. Es wurden jedoch auch schnell zahlreiche Gegenstände aus Borosilikatglas für den Haushalt und die Arbeit im Labor hergestellt.

Bessie and Jesse Littleton, 1910, Aus der Sammlung von: Corning Museum of Glass
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1913 suchte der Corning-Techniker Jesse Littleton nach neuen Einsatzbereichen für das Nonex-Glas. Seiner Frau Bessie war gerade eine neue Auflaufform aus Ton im Ofen zersprungen und sie fragte ihn, ob sich Nonex-Glas nicht auch zum Backen eignen würde.

Pyrex Battery Jar (1950/1970) von Corning Glass Works, ManufacturerCorning Museum of Glass

Jesse Littleton brachte daraufhin zwei abgesägte Glaskrugböden nach Hause, ähnlich wie dieser hier. Damit gelang Bessie ein gleichmäßig durchgebackener Biskuitkuchen, den ihr Mann am nächsten Tag mit auf die Arbeit nahm und mit seinen Kollegen teilte.

Pyrex Baking Dishes (1915/1919) von Corning Glass Works, ManufacturerCorning Museum of Glass

Bessie Littletons Küchenexperiment führte zu einer weiteren Variante in der Rezeptur für temperaturbeständiges Glas. Das neue Glas, das unter dem Namen "Pyrex" auf den Markt kam, wurde zu gläsernen Auflaufformen verarbeitet.

Bake her a Christmas present in a "Pyrex" dish (1933) von Corning Glass WorksCorning Museum of Glass

Durch eine erfolgreiche Marketingkampagne wurde Pyrex zu einer Traditionsmarke. 1919 gab es in den US-amerikanischen Küchen über vier Millionen Pyrex-Auflaufformen in mehr als 100 Designs und Größen.

Warning signals in the line of vision (1927) von Moto Meter Company, Inc.Corning Museum of Glass

Thermometer

In den 1920er-Jahren besaßen immer mehr Amerikaner ein Auto. Mithilfe der auf den Kühlerdeckeln montierten Thermometer konnten die Fahrer eine Überhitzung des Motors erkennen. Das Borosilikatglas war dabei unverzichtbar, da sich mit ihm ein Zersplittern bei größeren Temperaturschwankungen vermeiden ließ.

Corning Glass Works Clinical Thermometer Tubing Ad (1938) von Corning Glass WorksCorning Museum of Glass

Das Thermometer wurde auch schnell fester Bestandteil des Erste-Hilfe-Kastens in modernen Haushalten. Hitzebeständige Borosilikatglas-Thermometer trugen zur Gesundheit der ganzen Familie bei.

Corning Little Joe Tube Tower - Tin Pan Time Machine Project (2016) von The Corning Museum of GlassCorning Museum of Glass

Corning Glass Works produzierte jahrzehntelang Borosilikatglas-Thermometer nach einem ausgeklügelten Verfahren, das Arthur Houghton, Enkel des Gründers von Corning Glass Works, in England aufrecht erhielt.

Pyrex Liquid Measuring Cup (1926) von Corning Glass Works und Main Plant, "A" FactoryCorning Museum of Glass

Design

Lucy Maltby hatte einen Abschluss im neu geschaffenen Fachbereich Hauswirtschaft und leitete eine der Testküchen bei Corning. Dort wurden neue Produkte ausprobiert, Designs überarbeitet, Feedback der Kunden ausgewertet und Innovationen entwickelt. Dabei entstanden Töpfe, Kaffeemaschinen und Messbecher aus Borosilikatglas.

#508 measuring cup (1976-11-16) von Corning Glass WorksCorning Museum of Glass

Im Laufe der Zeit wurde die Form des Messbechers verändert, unter anderem auch sein Griff.

Pyrex ware presents new measuring cups and mix 'n' measure batter bowl (1983) von Corning Glass WorksCorning Museum of Glass

Weitere Tests und Feedback von Kunden führten zu einer radikalen Veränderung und einem neuen Design: Der Griff wurde nur am oberen Rand befestigt, sodass die Messbecher gestapelt werden konnten.

Pyrex laboratory glassware (1931) von Corning Glass Works, Laboratory and Pharmaceutical DivisionCorning Museum of Glass

Laborausrüstung

Pyrex wurde zum Standard für Laborausstattung und in der chemischen Industrie. Dank seiner Robustheit konnten Techniker effiziente Verfahren mit minimalen Ausfallzeiten entwickeln. Laborausrüstung aus Borosilikatglas wie Pyrex oder in Europa Duran hält auch starken Temperaturschwankungen stand, ohne zu zerbrechen.

Organic Chemistry Kit with Original Case (1970/1989) von Corning Inc., ManufacturerCorning Museum of Glass

Da es eine bessere chemische Beständigkeit als Kalk-Natron-Glas hat, kann es mit mehr Chemikalien verwendet und in diversen Bereichen eingesetzt werden.

Worker strips the ladle to remove excess glass (1934)Corning Museum of Glass

Die 5-Meter-Schale

Borosilikatglas erwies sich auch als ideal für ein besonders ambitioniertes Unterfangen: die Konstruktion des größten Teleskops der Welt.

200-inch Disk (1934) von Corning Glass WorksCorning Museum of Glass

Die Schale mit einem Gewicht von 20 Tonnen und einem Durchmesser von 5 Metern ist das größte Stück Gussglas. Sie wird im Hale-Teleskop als Spiegel genutzt. Der erste Herstellungsversuch 1934 schlug fehl, da die Gussform zerbrach, aber der zweite Versuch gelang und inspirierte Techniker und Künstler gleichermaßen.

200-Inch Disk (2011) von The Corning Museum of GlassCorning Museum of Glass

Worker strips the ladle to remove excess glass (1934)Corning Museum of Glass

Zwei Teams füllten sechs Stunden lang mehr als 100 Kellen heißes Glas in die improvisierte Gussform.

Slide of workmen standing in front of 200" disk with one man inside center of disk (1935)Corning Museum of Glass

Sie wurde mit einigen Zwischenstopps nach Kalifornien transportiert. Am Mount Palomar angekommen, wurde die Oberfläche in Form geschliffen, poliert und mit Aluminium beschichtet. Der fertige Spiegel wurde einer der wichtigsten Teile des damals leistungsfähigsten Teleskops.

Eat Your Hat (1985) von Ginny RuffnerCorning Museum of Glass

Glasbläserei mit Borosilikatglas

Künstler beschäftigten sich schon seit Jahrhunderten mit der Glasbläserei, aber sie konnten sich in den bildenden Künsten kaum durchsetzen. Das änderte sich erst mit dem Aufkommen von Borosilikatglas, da sich damit größere und komplexere Werke schaffen ließen. Die meisten Glassorten müssen bei einer konstanten Temperatur verarbeitet werden, da sie andernfalls reißen und zerbrechen. Das schränkt jedoch die Größe und Komplexität einer Skulptur ein. Borosilikatglas ist bei Temperaturschwankungen nicht so anfällig wie andere Arten, sodass Künstler mehrere Komponenten zu großen Werken kombinieren können.

Marie Antoinette Sacrifices the Heart of the Nobility on the Altar of the French Republic (1790 - 1790) von Haly, Pierre, MakerCorning Museum of Glass

Bis zur Erfindung des Borosilikatglases mussten Glasbläser mit dem weichen Kalk-Natron-Glas vorliebnehmen. Die Elemente dieses Werks wurden einzeln hergestellt und sind teilweise sehr detailliert, wie beispielsweise im Fall von Marie-Antoinette.

Blaschka Nr. 216 (1885) von Leopold Blaschka und Rudolf BlaschkaCorning Museum of Glass

Die Kunst und Kunstfertigkeit erreicht ihren Höhepunkt mit den Blaschkas: Vater Leopold (1822–1895) und Sohn Rudolph (1857–1939).

Woven Heaven Tangled Earth (1999 - 1999) von Plum, Susan (American, b. 1944), ArtistCorning Museum of Glass

Zeitgenössische Kunst mit Borosilikatglas

Susan Plum (geb. 1944) webte diese komplexe Skulptur mithilfe eines Handbrenners aus Borosilikatglas von innen nach außen. Inspiriert wurde sie von der kosmologischen Tradition der Maya.

Lišková Anthem of Joy in GlassCorning Museum of Glass

Věra Lišková (1924-1979) gehörte Ende der 1960er-Jahre zu den ersten Künstlern, die Borosilikatglas für größere Skulpturen verwendeten. Die Skulptur ist von Musiknoten inspiriert und stellt die von einem harmonischen Klang ausgelösten Gefühle und Energien dar.

Family Matter (2002 - 2002) von Reynolds, Jill (American, b. 1956), ArtistCorning Museum of Glass

Jill Reynolds (geb. 1955) verwendet Borosilikatglas, da es sich einfacher verbinden lässt als andere Glassorten. Die Buchstaben bestehen aus kleinen Glasfäden und größeren Röhrchen, die mit einer blutroten Flüssigkeit gefüllt sind. Sie bilden Formen, die an die Proteine bei der DNA-Replikation erinnern.

Smallpox Virus and HIV (Human Immunodeficiency Virus) (2010 - 2010) von Jerram, Luke (British, b. 1974), ArtistCorning Museum of Glass

Luke Jerram (geb. 1974) thematisiert das Spannungsfeld zwischen der Ästhetik seiner Glasskulpturen, den tödlichen Viren, die sie darstellen, und den weltweiten Auswirkungen dieser Krankheiten. Da Borosilikatglas auch bei Temperaturschwankungen beständig bleibt, ist es für diese komplexen Skulpturen besonders geeignet.

Eat Your Hat (1985) von Ginny RuffnerCorning Museum of Glass

Ginny Ruffner (geb. 1952) übertrug ihre Kenntnisse des härteren Borosilikatglases, wie es meist für wissenschaftliche Anwendungsbereiche genutzt wurde, auf ihre Kunst. Da es auch bei großen Temperaturunterschieden beständig ist, konnte sie größere Kompositionen schaffen, in der viele separate Elemente miteinander verbunden werden.

Cross-fire series (2015) von Geoffrey MannCorning Museum of Glass

Um den Eindruck von Schallwellen zu vermitteln, die durch Glas strömen, hat Geoffrey Mann (geb. 1980) die einzigartige Fähigkeit des Borosilicatglases genutzt, in einem lokalen Bereich erhitzt und manipuliert zu werden, während der Rest des Objekts bei viel kühlerem Zustand starr bleiben kann. Ursprünglich zu sauberen, symmetrischen Behältern geformt, wurden die Objekte dieser Serie durch selektives Erwärmen und Erweichen bestimmter Bereiche verzerrt, um den Eindruck von Bewegung zu erzielen.

Corning Museum of Glass - Innovation Center (2018-11-10) von Chris WaltersCorning Museum of Glass

Glas entdecken

Im Corning Museum of Glass Innovation Center treffen Sie die Erfinder, deren Ideen die Welt verändert haben. Entdecken Sie, wie uns ihre hart erarbeiteten Erkenntnisse, ihre harte Arbeit oder manchmal ein glücklicher Unfall das Glas gab, das wir als selbstverständlich betrachten.

Mitwirkende: Geschichte

Team der Ausstellung zu Borosilikatglas:
Marv Bolt, Curator of Science and Technology
Jane Cook, Chief Scientist
Jim Galbraith, Chief Librarian
Eric Goldschmidt, Flameworking and Properties of Glass Supervisor
Mandy Kritzeck, Digital Media Producer/Project Manager
Richard Urban, Digital Asset Manager and Strategist
Kris Wetterlund, Director of Education and Interpretation
Kathryn Wieczorek, Science Educator

Quelle: Alle Medien
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