By Böttcherstraße Museums
Paula Modersohn-Becker Museum & Paula-Modersohn-Becker Stiftung, Bremen
Die Ausbildung
Paula Modersohn-Beckers künstlerischer Werdegang begann in London, wo sie 1892 zu Besuch bei Verwandten war. Die 16-jährige sollte sich dort, wie auch schon in Bremen, in verschiedenen Künsten, Haushaltsführung und Handarbeiten weiterbilden. Darüber hinaus besuchte sie die St. John's Wood Art School. Zunächst lernten die Studierenden, nach Abgüssen und anderen leblosen Gegenständen zu zeichnen.
1893 kehrte Modersohn-Becker nach Bremen zurück und zeichnete weiter. Ihr Lehrer war der damals renommierte Maler Bernhard Wiegandt.
Im Laufe der Künstlerausbildung wurden alle gängigen „trockenen“ und „nassen“ Zeichentechniken – Blei, Kohle, Pastell, Rötel und Kreide sowie Tusche, Aquarell und Gouache – erlernt.
Der erste Akt
Die nächste Ausbildungsstation von Paula Modersohn-Becker war 1896 in Berlin im Verein der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen. 18 Monate lebte sie damals bei Verwandten und zeichnete hier erstmals nach lebendem Modell; für sie und ihre Mitstudentinnen, ein großer Schritt.
„Abends im Akt hatten wir einen famosen Kerl. Zuerst, wie er dastand, bekam ich einen Schreck vor seiner mageren Scheußlichkeit. Als er aber eine Stellung einnahm und plötzlich alle Muskel [sic] anspannte, daß es nur so auf dem Rücken spielte, da ward ich ganz aufgeregt. Ihr Lieben, daß ich das haben darf! Daß ich ganz im Zeichnen leben darf! Es ist zu schön.“
Worpswede
1898 zog die Künstlerin in die Künstlerkolonie Worpswede mit dem Ziel, bei Fritz Mackensen ihrer Malerei ein solides Fundament zu legen. Wie Mackensen orientierte sie sich an der bäuerlichen Motivwelt und profitierte von der ländlichen Bevölkerung, die ihr Modell stehen konnte.
Mutter und Kind
Diese Zeichnung zeigt ein Motiv, das charakteristisch in Paula Modersohn-Beckers Werk werden sollte: Mutter und Kind. Sie orientierte sich dabei an Mackensens Kunstwerk „Der Säugling“. Während jedoch sein künstlerisches Ziel war, den „einfachen Menschen“ heroisch aufzufassen und ihm eine umfassende, allgemeine Würde zu geben, stellte Modersohn-Becker sie ohne viele Details vereinfacht und großflächig dar.
Einfachheit und Größe
Mit den Jahren und unter dem Eindruck von Paris entfernte sich Modersohn-Becker endgültig von der naturalistischen Auffassung der Worpsweder Maler. Die Skizzen weisen einen eigenen Zeichenstil auf, der sich auf Ausdruck konzentriert und die detaillierte Darstellung hinter sich lässt:
»Überhaupt bei intimster Beobachtung die größte Einfachheit anstreben. Das gibt Größe.«
Kinder
Neben der künstlerischen Reduzierung auf das Wesentliche, ist auch das Thema dieser Zeichnung repräsentativ für Paula Modersohn-Becker: Das Motiv des Kindes stand ihr sehr nah; vor allem ihre Kinderdarstellungen inmitten der Worpsweder Natur beeindrucken.
Paris
Paula Modersohn-Becker zog es zum ersten Mal 1900 nach Paris. Weitere Aufenthalte folgten 1903, 1905 und 1906. Während ihrer ersten Besuche belegte sie Kurse an der privaten Académie Colarossi, ab 1905 lernte sie an der ebenfalls privaten Académie Julian.
Wenn Paula Modersohn-Becker in Paris nicht gerade Kurse besuchte oder Zeit in einem Museum verbrachte, war sie mit ihrem Skizzenbuch in der Stadt unterwegs, um die Menschen in knapper Form zu Papier zu bringen. In den Pariser Stadtskizzen zeigt sich vor allem Modersohn-Beckers Lust auf Experimente und Entdeckungen. Staffelungen, Perspektiven und Strukturen stehen dabei im Vordergrund.
Der Louvre
Im Louvre zu arbeiten, gehört in der Künstlermetropole um 1900 zum Standard. Die reichen, Jahrhunderte und Kulturen überspannenden Sammlungen der französischen Hauptstadt boten ausgiebig Gelegenheit, sich mit den alten Meistern sowie außereuropäischen Stilen auseinanderzusetzen.
»Ich gehe jeden Tag in das Louvre, wo eine ungeheure Anzahl Kunstgegenstände aller Zeiten ausgestellt sind, Bilder und Skulpturen von den Ägyptern bis zu unserer Zeit. Da zeichne ich viel.«
Eine unermüdliche Studentin
1906 beschloss Modersohn-Becker zwischenzeitlich, ihren Mann und Worpswede endgültig zu verlassen, um nach Paris zu ziehen. Unterstützt auf ihrem Weg wurde sie vom Dichter Rainer Maria Rilke und Bildhauer Bernhard Hoetger, die beide begeistert von ihrer Kunst waren.
»Das merkwürdigste war, Modersohns Frau an einer ganz eigenen Entwicklung ihrer Malerei zu finden, rücksichtslos und geradeaus malend, Dinge, die sehr worpswedisch sind und die doch nie einer sehen und malen konnte. Und auf diesem ganz eigenen Wege sich mit van Gogh und seiner Richtung seltsam berührend.«
Rilke wollte Modersohn-Becker dazu ermutigen, ihre Gemälde in verschiedenen Pariser Ausstellungen zu zeigen. Hoetger riet ihr, den Besuch von Aktkursen aufzugeben, um ihre souverän eigene Bildsprache auszuarbeiten.
Immer noch unsicher und unzufrieden mit ihrer Kunst, verneinte Paula Modersohn-Becker eine Ausstellung und verfolgte weiterhin die Perfektion ihrer Zeichenpraxis durch den Besuch von Zeichenkursen und Museen. Ihre Bilder blieben ungesehen.
Nachdem sich Paula Modersohn-Becker mit ihrem Mann Otto Modersohn versöhnt hatte, kehrte sie zurück nach Worpswede. Im Herbst 1907 gebar sie eine gemeinsame Tochter - und starb drei Wochen nach der Geburt an einer Embolie.
Bis zuletzt zeichnete sie.
Ungemalte Bilder
Unter den 1328 erhaltenen Blättern der Künstlerin finden sich solche, die so weit ausgearbeitet sind, dass sie an vollendete Gemälde der Künstlerin erinnern – jedoch nie auf Leinwand übertragen wurden.
In der Ausstellung werden einige davon als „ungemalte Bilder" gezeigt.
Von der Idee zum Bild
Paula Modersohn-Becker entwickelte zuletzt ihre Bilder verstärkt in Vorzeichnungen und überprüfte damit den Bildaufbau auf Tragfähigkeit und Ausdruck. Ihre Vorzeichnungen ermöglichen einen Einblick in ihren Werkprozess und spiegeln auch ihr Streben nach "Einfacheit und Größe".
Wir danken der Paula-Modersohn-Becker-Stiftung Bremen, dass wir die Abbildungen der Zeichnungen im Bestand der Stiftung für diese Online-Ausstellung nutzen dürfen. Alle Rechte vorbehalten.
Texte: Amelie Jehlicka, Dr. Henrike Hans & Claudia Klocke (Museen Böttcherstraße)
Informationen zur Sonderausstellung
"Die Zeichnerin Paula Modersohn-Becker"
(13. Mai bis 20. August 2023)
https://www.museen-boettcherstrasse.de/ausstellungen/die-zeichnerin-paula-modersohn-becker/
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