Jean-François Thomas de Thomon. Zeichnungen für Sankt Petersburg

Sankt Petersburg, Reithalle, Haupt- und Seitenaufriss sowie Grundriss (ca. 1800) von Jean-François Thomas de Thomon, Giacomo Quarenghi (Architekt)Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Die Ausstellung ist eine Kooperation der Tchoban Foundation mit der Kunstbibliothek – Staatliche Museen zu Berlin und basiert auf Leihgaben der Sammlung der Kunstbibliothek.

Blick in den Ausstellungssaal 1 (2020)Originalquelle: Tchoban Foundation, Kunstbibliothek, Isabel Robson

Sankt Petersburg wurde 1703 von Zar Peter dem Großen als das „Fenster nach Europa“ gegründet und verdankt sein architektonisches und städtebauliches Erscheinungsbild nicht zuletzt namhaften Baumeistern und Stadtplanern aus dem Ausland, vor allem aus dem westlichen Europa, die in der jungen russischen Hauptstadt tätig waren. Die Bedeutung dieser Architekten für die Entwicklung Sankt Petersburgs und ihr Einfluss auf die russische Kultur im Allgemeinen waren so groß, dass für ihre Werke von russischen Wissenschaftlern ein spezieller Begriff geschaffen wurde – Rossika.

Raumansicht Saal 1 (2020)Originalquelle: Tchoban Foundation, Kunstbibliothek, Isabel Robson

Die Ausstellung gewährt einen Einblick in das Schaffen dieser Künstler Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts, einer Zeit beginnender politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen, die Historiker als ‚Beginn des langen 19. Jahrhunderts‘ (Eric Hobsbawm) und ‚Sattelzeit‘ (Reinhart Koselleck) beschrieben haben. Es war eine Epoche, die für die politische und gesellschaftliche Entwicklung und für die Begriffsbildung der Moderne eine Schlüsselrolle spielte.

Detail Saal 1 (2020)Originalquelle: Tchoban Foundation, Kunstbibliothek, Isabel Robson

In der Architektur und Baukunst entstand damals in der Nachfolge des Barocks der Neoklassizismus, der in Europa oft als ‚Empire‘ und in Russland als ‚alexandrinischer Klassizismus‘ bezeichnet wird. Das Russische Reich strebte eine Vormachtstellung in Europa an und erhob neben dem Britischen Imperium und dem napoleonischen Frankreich ebenfalls einen imperialen Anspruch, der auch in der Baukunst seinen Ausdruck finden sollte.

Ansicht "Recueil des plans et façades des principaux monumens construits à Saint Pétersbourg et dans les différentes provinces de l'Empire de Russie" (Petersburg 1806)Originalquelle: Tchoban Foundation, Kunstbibliothek, Isabel Robson

Der französische Architekt Jean-François Thomas de Thomon (1760–1813), von dem der überwiegende Teil der Zeichnungen der Ausstellung stammt, traf in Sankt Petersburg mit seinem neoklassizistischen Stil den Nerv dieser Zeit.

Raumansicht Saal 1 (2020)Originalquelle: Tchoban Foundation, Kunstbibliothek, Isabel Robson

Thomas de Thomon, in Paris geboren unter dem bürgerlichen Namen Jean-François Thomas, studierte ab 1777 an der Académie royale d’architecture in Paris, reiste einige Jahre durch Italien und verließ 1790 als überzeugter Royalist die von der Revolution erschütterte Heimat.

Sankt Petersburg, Anitschkow-Palais, Kabinettblock sowie Grundriss Erdgeschoss und erstes Obergeschoss (1805) von Jean-François Thomas de Thomon, Giacomo Quarenghi (Architekt)Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Diese Zeichnung Thomons zeigt eine Ansicht sowie den Grundriss des Erdgeschosses und ersten Obergeschosses des Anitschkow-Palais in St. Petersburg. Das Gebäude existiert heute noch.

Raumansicht Saal 1 (2020)Originalquelle: Tchoban Foundation, Kunstbibliothek, Isabel Robson

Thomon ging zunächst nach Wien und dann weiter über Riga nach Sankt Petersburg, wo er – mit zeichnerischem Talent gesegnet und dem notwendigen Ehrgeiz ausgestattet – seine prominentesten Werke schuf. Thomon verstand es, seinen Namen und seine Biografie so anzupassen und sich auf dem Gesellschaftsparkett so geschickt zu bewegen, dass er Zugang zu den hohen Adelskreisen Russlands bis zum Zarenhof und somit zu bedeutenden und gut dotierten Aufträgen fand.

Sankt Petersburg, Kasaner Kathedrale, Aufriss Hauptfassade (1801) von Jean-François Thomas de Thomon, Andrej N. Woronichin (Architekt)Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Die Petersburger Akademie der Künste verlieh Thomon bereits 1800 für seine hervorragenden zeichnerischen Fähigkeiten und Arbeiten den Titel eines Akademikers. Er erhielt eine Professur an der Akademie und zeichnete Pläne der im Bau befindlichen Kasaner Kathedrale. Die drei Zeichnungen von ihm dazu sind Teile einer Serie von 34 großformatigen Zeichnungen, welche die Kunstbibliothek 1974 aus Privatbesitz erwerben konnte.

Detail Saal 1 (2020)Originalquelle: Tchoban Foundation, Kunstbibliothek, Isabel Robson

Sankt Petersburg, Börse, zwei Querschnitte (1804) von Jean-François Thomas de ThomonKunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Zu seinen berühmtesten Projekten zählen das Große Theater (Bolschoi-Theater) und die Gestaltung der Ostspitze der Wassiljewski-Insel mit der Börse, deren Querschnitte diese Zeichnung zeigt.

Blick in den Ausstellungssaal 2 (2020)Originalquelle: Tchoban Foundation, Kunstbibliothek, Isabel Robson

Bei den präsentierten Zeichnungen Thomas de Thomons handelt es sich vermutlich um ein Präsentationsalbum, das der Architekt für einen adeligen Auftraggeber anfertigte.

Raumansicht Saal 2 (2020)Originalquelle: Tchoban Foundation, Kunstbibliothek, Isabel Robson

Thomon bildete jedoch nicht nur seine eigenen Entwürfe, sondern auch bedeutende Bauwerke seiner Kollegen, Giacomo Quarenghi (1744–1817), Luigi Rusca (1758–1822), Andrei N. Woronichin (1759–1814) und Andrejan D. Sacharow (1761–1811) ab. Da viele Originalpläne seiner Kollegen heute nicht mehr erhalten sind, stellen die Zeichnungen von Thomas de Thomon neben ihrer künstlerischen Qualität eine wichtige architekturhistorische Quelle dar.

Zarskoje Selo, ionische Galerie, sog. Cameron-Galerie, Ansicht (um 1795) von Giacomo QuarenghiKunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Die sogennante Cameron-Galerie wurde von Thomons Kollegen Giacomo Quarenghi gezeichnet und steht heute noch in Zarskoje Selo.

Raumansicht Saal 2 (2020)Originalquelle: Tchoban Foundation, Kunstbibliothek, Isabel Robson

Sankt Petersburg, Kriegsschule, Aufriss sowie Grundriss Erdgeschoss und erstes Obergeschoss (um 1800) von Jean-François Thomas de Thomon, Luigi Rusca (Architekt)Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Thomons Arbeiten sind keine Architekturprojektzeichnungen im üblichen Sinne: In malerischer Inszenierung stellt Thomas de Thomon die Gebäude, aber auch deren Schnitte in die bewegte Moorlandschaft am Finnischen Meerbusen der Ostsee. Man spürt gleichsam die tief liegenden Wolken vom Meer kommend, das durch sie fallende Sonnenlicht bezaubert den Betrachter. Die dargestellte Lichtstimmung und die Farben der Gebäude sind noch heute erlebbar.

Ansicht Sankt Petersburg, Grandes Ecuries de la Cour, Marstall, Aufriss der Fassade (um 1800) von Thomon, Thomas de Thomon, Luigi Rusca (Architekt)Originalquelle: Tchoban Foundation, Kunstbibliothek, Isabel Robson

Thomas de Thomon wurde 1813 durch die Folgen eines Unfalls auf der Baustelle des Bolschoi-Theaters früh aus dem Leben gerissen. Jean-François Thomas de Thomon und sein Umkreis haben eine der bis heute lebendigsten europäischen Städte geprägt. Ihre Bauten sind identitätsstiftend für das kulturelle Erbe Europas.

Ausstellungsplakat (2020)Originalquelle: Tchoban Foundation, Kunstbibliothek, Isabel Robson

Mitwirkende: Geschichte

Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin und Tchoban Foundation. Museum für Architekturzeichnung
Berlin, Germany

Ausstellungskonzeption und Katalog: Nadejda Bartels (Tchoban Foundation) und Elke Blauert (Staatliche Museen zu Berlin)
Text: Nadejda Bartels
Redaktion und Umsetzung: Justine Tutmann
© Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / Foto: Dietmar Katz
Raumansichten: © Isabel Robson
www.smb.museum.de; www.tchoban-foundation.de

Anlässlich der Ausstellung ist ein Katalog erschienen:
Nadejda Bartels und Elke Blauert (Hg.): Jean-François Thomas de Thomon. Zeichnungen für Sankt Petersburg aus der Sammlung der Kunstbibliothek – Staatliche Museen zu Berlin, Berlin 2020

Quelle: Alle Medien
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