IGGI - Ingenieur-Geist und Geistes-Ingenieure (2023) von Deutsches MuseumDeutsches Museum
IGGI – Ingenieur-Geist und Geistes-Ingenieure
Hier erfährst du alles über das Projekt IGGI, an dessen Beispiel wir den Ablauf historischer Forschung darstellen.
Zeichnungen "Donna Diode!" (2023) von Foto: Dinah PfauDeutsches Museum
Das Projekt IGGI
Eine Geschichte der Künstlichen Intelligenz in Deutschland in fünf Teilgebieten.
Das Projekt IGGI (Laufzeit: 2019-2023) untersuchte, wie sich die KI-Forschung in der Bundesrepublik entwickelte. Die Forschung zur Künstlichen Intelligenz beschränkte sich nie auf eine Disziplin oder einen Anwendungsbereich. Daher wählten wir fünf Teilbereiche der KI aus, die wir individuell bearbeiteten und näher untersuchten. In unserem Projekt nutzten wir vielfältiges Archivmaterial und Gespräche mit Zeitzeug*innen.
Rudolf Seising forscht zum Teilgebiet „Automatisches Beweisen“ (1960-1990), Helen Piel forscht zum Teilgebiet „Kognitionswissenschaft“ (1980-1990), Florian Müller forscht zum Teilgebiet „Sprachverarbeitung“ (1960-1990), Jakob Tschandl forscht zum Teilgebiet „Expertensysteme“ (1975-2000), Dinah Pfau forscht zum Teilgebiet „Bildverarbeitung“ (1960-1980)
Übersicht der Kategorien der historischen Forschung (2023) von Deutsches MuseumDeutsches Museum
Anhand der hier dargestellten acht Schlagworte, die unsere Arbeit charakterisieren, veranschaulichen wir in dieser Online-Ausstellung, wie historische Forschung funktioniert.
Symbolbild Vernetzen (2023) von Foto: Jakob TschandlDeutsches Museum
Vernetzen
Ein wichtiger Teil wissenschaftlichen Arbeitens besteht darin, sich mit der nationalen und internationalen Community der Wissenschafts- und Technikhistoriker*innen auszutauschen. Dieser Austausch findet vor allem auf Tagungen und Konferenzen statt.
Bei Vorträgen von anderen Wissenschaftler*innen informierten wir uns über den aktuellen Forschungsstand und aktuelle Perspektiven und Fragestellungen im Fach. So konnten wir Impulse für unsere eigene Arbeit aufnehmen.
Mit eigenen Vorträgen machten wir einerseits auf unsere Arbeit aufmerksam und erhielten andererseits ganz konkretes Feedback für unsere Forschung.
Darüber hinaus organisierten wir eigene Tagungen, bei denen wir ganz gezielt Personen zusammenbrachten, die zu ähnlichen Fragestellungen forschten. Damit ermöglichten wir einen Austausch, der thematisch genau auf uns zugeschnitten war.
Symbolbild Treffen (2023) von Deutsches MuseumDeutsches Museum
Treffen
Da es sich bei der Geschichte der KI in der Bundesrepublik Deutschland um ein zeitgeschichtliches Thema handelt, leben noch viele der Akteur*innen. Mit vielen von ihnen standen wir in Kontakt.
Wir nahmen an Treffen von ehemaligen KI-Wissenschaftler*innen teil. Hier ein coronabedingtes Online-Treffen der ehemaligen Mitarbeiter*innen der Forschungsgruppe für Künstliche Intelligenz an der Technischen Universität München.
DFKI-Besuch (2023) von Foto: Rudolf SeisingDeutsches Museum
Außerdem standen wir in Kontakt mit der aktuellen KI-Community, etwa bei einem Besuch des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) an seinen Standorten in Kaiserslautern und Saarbrücken.
Mit der von uns mitorganisierten Tagung „Was war KI?“ luden wir die KI-Community zu uns ein. Damit brachten wir die damaligen Akteur*innen nochmals in eine gemeinsame Diskussion – untereinander und mit uns Historiker*innen.
Symbolbild Recherche (2023) von Foto: Jakob TschandlDeutsches Museum
Suchen
Woher bekommen wir Historiker*innen unsere Informationen?
Zunächst verschafften wir uns einen Überblick über den gegenwärtigen Stand der Forschung. In Bibliotheken fanden wir die dafür nötige geschichtswissenschaftliche und darüber hinaus auch technische Fachliteratur aus unserem Untersuchungszeitraum (1960-2000).
Neben den Bibliotheken sind Archive wichtige Informationsquellen für Historiker*innen. Hier werden viele Unterlagen, wie zum Beispiel Verwaltungsakten und Korrespondenzen, über lange Zeit aufbewahrt. Häufig konnten wir diese Akten abfotografieren und später in Ruhe durcharbeiten. Wir besuchten unter anderem das Bundesarchiv Koblenz, das Militärarchiv Freiburg, das Archiv der DFG-Geschäftsstelle, das Archiv der Gesellschaft für Informatik und verschiedene Universitätsarchive.
Die Arbeit in Archiven bringt auch Herausforderungen für Historiker*innen mit sich. Nach dem deutschen Bundesarchivgesetz sind Akten 30 Jahre nach ihrer Erstellung durch eine Schutzfrist gesperrt und dürfen ohne spezielle Genehmigung nicht eingesehen werden. Da sich unsere Forschung mitunter auf die 1990er Jahre bezog, war dieses mehrmonatige Freigabeverfahren bei uns mehrfach notwendig. Trotz aller Sorgfalt durch die Archive sind Unterlagen zudem manchmal beschädigt oder nicht lesbar. Insbesondere Unterlagen auf Thermopapier, etwa Tele-Faxe, sind beim Ablauf der Schutzfrist beinah unlesbar. Einst in anderen Medien fixierte Bestände können zudem fehlerhaft oder beschädigt sein – das ist besonders dann ein Problem, wenn die Originale entsorgt worden sind. Außerdem müssen die Archive eine Auswahl treffen, welche Unterlagen aufbewahrt werden sollen. Deshalb wurden manchmal Dokumente entsorgt, die für unsere Arbeit wichtig gewesen wären.
Für unsere Forschung fanden wir meist Verwaltungsakten, die sich auf frühe Forschungsprojekte zur Künstlichen Intelligenz und den damit zusammenhängenden Institutionen bezogen. Oft handelte es sich dabei um Dokumente, die mit der Schreibmaschine verfasst wurden, seltener auch um handschriftliche Dokumente.
Unsere Quellen waren nicht nur textbasiert. Videos auf VHS-Kassetten und Filmrollen, Fotos und Dias können ebenso wichtige Informationen enthalten. Dazu kommen Daten auf Disketten und anderen Datenträgern, sogenannte „born digital“ Materialien. Dies stellt Historiker*innen vor besondere Herausforderungen, weil diese Daten leicht beschädigt werden können. Außerdem ist häufig ein großer Aufwand erforderlich, um überhaupt auf diese Daten zugreifen zu können, da hierfür historische Abspielgeräte zur Verfügung stehen müssen.
Bei elektronischen Datenträgern kommt hinzu, dass ein Zugriff die Daten verändert, beispielsweise durch das Öffnen von einer Datei. Dadurch geht der historische Zustand verloren.
3D Modell Pyramide (2023) von Deutsches MuseumDeutsches Museum
Physisches Objekt: Nixdorf-Pyramide
Auf der Pyramide sind der Aufbau eines Expertensystems der Firma Nixdorf und die dazugehörigen angebotenen Dienstleistungen in deutscher und englischer Sprache dargestellt.
Auch physische Objekte können eine wichtige Quelle für uns sein. Ein Beispiel hierfür ist diese Pyramide, die unser Zeitzeuge Harald Damskis uns freundlicherweise überlassen hat. Die Plastikpyramide wurde in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre von der Nixdorf AG als Werbematerial genutzt, um auf die hauseigenen Softwareprodukte aufmerksam zu machen.
Seit den 1950er Jahren wird Computertechnik in der wissenschaftlichen Praxis eingesetzt, beispielsweise für Messungen, Berechnungen und das Verfassen von Texten. Nicht zuletzt deswegen ist diese Technik ein wichtiger Untersuchungsgegenstand für Historiker*innen. Da sich Soft- und Hardware ständig verändert haben, ergeben sich damit neue Herausforderungen: Wie können wir die Wechselwirkungen der damaligen Geräte mit den Praktiken des wissenschaftlichen Arbeitens und deren Ergebnissen nachvollziehen?
Zum Entdecken tippen
Sichern
Zusätzlich zu den öffentlich zugänglichen Quellen sammelten wir private Vor- und Nachlässe, die wir in unserem Projektarchiv sicherten. Damit retteten wir diese Unterlagen vor dem Verschwinden.
In Gesprächen mit den Zeitzeug*innen verdeutlichten wir, dass deren private Forschungsunterlagen aus den Untersuchungszeiträumen für uns von großem Interesse sind. Einige Male kamen wir leider zu spät und die Unterlagen waren bereits entsorgt. Erfolgreich waren wir in diesem Fall mit Christian Freksa, der uns während des Gesprächs Unterlagen zusicherte.
Auch Hans-Hellmut Nagel hat uns seine umfangreichen Unterlagen zur Verfügung gestellt. Hier sind wir bei der Durchsicht des Bestands an der Universität Karlsruhe.
Wir haben Unterlagen persönlich in Hamburg, Karlsruhe, Saarbrücken und Bremen abgeholt und mit einem Transporter des Deutschen Museums nach München gebracht.
Dabei kamen eine Menge Kartons an Unterlagen zusammen. Alleine bei unserer Fahrt nach Saarbrücken zu Jörg Siekmann waren es ungefähr 50 Stück. In Summe sicherten wir ungefähr 600 Aktenordner an Unterlagen, dazu kommen noch mehrere Kisten mit Dias, Videokassetten und Filmrollen.
Anschließend wurden sämtliche Akten von unserer Kollegin Amelie Mittlmeier inventarisiert. Sie werden langfristig dem Archiv des Deutschen Museums zur Aufbewahrung übergeben. Damit stehen die von uns gesicherten Akten neben den Nachlässen von Konrad Zuse, Otto Hahn und Joseph von Fraunhofer.
Symbolbild Zuhören (2023) von Foto: Rudolf SeisingDeutsches Museum
Zuhören
Bei zeithistorischer Forschung, wie wir sie betreiben, besteht die Möglichkeit, direkt die Perspektiven der frühen und aktuellen KI-Akteur*innen einzufangen.
Mit Hilfe der Oral-History-Methode konnten wir so neue Quellen für unsere Arbeit schaffen. Anders als bei Interviews mit einem festen Fragenkatalog können Zeitzeug*innen frei heraus erzählen und ihre Sicht darstellen.
Diese Gespräche haben wir häufig im Museum geführt und aufgezeichnet. Manchmal wurden wir von den Zeitzeug*innen auch eingeladen, die Aufnahmen bei ihnen zu Hause durchzuführen. Insgesamt haben wir über 40 Gespräche geführt.
Die Gespräche haben wir mit zwei Videokameras und mit einem Audioaufnahmegerät aufgezeichnet. Die verschiedenen Video- und Tonspuren wurden anschließend in mühevoller Kleinarbeit durch unsere Kollegin Tabitha Goricki-Eickel geschnitten. Die Tonspur vom Audioaufnahmegerät wurde mit dem Video synchronisiert.
Mit Hilfe der beiden Kameras haben wir zwei Perspektiven von jedem Gespräch aufgezeichnet. Eine Totale (linkes Bild) zeichnete die gesamte Gesprächssituation auf, damit diese wissenschaftlich nachvollzogen werden kann. Eine Porträtaufnahme (rechtes Bild) hielt auch nonverbale Kommunikation – bspw. Gestik und Mimik – genauer fest. Diese Zusatzinformationen halfen bei späteren Auswertungen der Gespräche.
TWAICE
Vorführung der Expertensystem-Shell „TWAICE“ durch Bernhard Mescheder, August 2021
Diese Methode bot uns auch die einzigartige Möglichkeit, Vorführungen von historischer Software in Aktion erleben und aufzeichnen zu können, wie hier mit Bernhard Mescheder.
Die aufgezeichneten Gespräche wurden zur Aufbewahrung an das Archiv des Deutschen Museum übergeben. Damit haben auch andere Historiker*innen die Möglichkeit, diese Quellen zu nutzen.
Symbolbild Auswerten (2023) von Foto: Jakob TschandlDeutsches Museum
Auswerten
Nachdem alle Quellen gesammelt wurden, mussten diese ausgewertet werden.
Den Großteil unserer Arbeitszeit verbrachten wir damit, hunderttausende Seiten an Fachliteratur und gedruckten Quellen sowie Stunden an Videomaterial zu sichten und wichtige Informationen hieraus zu bündeln. Die Auswertung fand größtenteils im Büro am Computer statt.
Symbolbild Interpretieren (2023) von Deutsches MuseumDeutsches Museum
Interpretieren
Eine wichtige Aufgabe von Historiker*innen besteht darin, Ergebnisse der Auswertung miteinander ins Verhältnis zu setzen und historisch einzuordnen.
Historiker*innen beschreiben nicht nur, was wann geschah, wir interpretieren Quellen aus der Vergangenheit. Dabei arbeiten wir mit theoretischen Konzepten. Diese sind für uns wie eine Lupe, durch die wir auf die Zeugnisse blicken, die für uns als Spuren zur Erforschung historischer Prozesse dienen. Auf der Basis von Theorien wählen wir aus der Fülle des Quellenmaterials aus und lenken den Fokus auf bestimmte Aspekte. Dabei entwickeln wir mit den von uns empirisch aus den Quellen heraus gesammelten Erkenntnissen die Theorien weiter.
Veröffentlichungen der IGGI-Projektgruppe (2023) von Deutsches MuseumDeutsches Museum
Erzählen
Ein wichtiger Teil unserer Arbeit bestand abschließend darin, unsere Forschungsergebnisse darzustellen und zu veröffentlichen.
Eine wichtige Zielgruppe für unsere Veröffentlichungen ist die historische Fachgemeinschaft. Um diese zu erreichen, schrieben wir Artikel für Fachzeitschriften und veröffentlichten Monografien und Sammelbände. Stand Ende 2023 befinden sich fünf Monografien zu den jeweiligen Teilgebieten des IGGI-Projektes in Vorbereitung zur Veröffentlichung.
Daneben teilten wir die Ergebnisse unserer Arbeit mit der allgemeinen Öffentlichkeit: Wir hielten Vorträge an der Volkshochschule Rosenheim und kooperierten mit Bildungsangeboten des Deutschen Museums. Außerdem veröffentlichten wir Texte über populärwissenschaftliche Kanäle, etwa im Magazin „Kultur und Technik“, das vom Deutschen Museum herausgegeben wird. Auch diese Online-Ausstellung ist Teil unserer Wissenschaftskommunikation.
Forschungsgruppe IGGI