Clubtopia

Nachhaltigkeit und Ökobilanz im Club-Kontext

Clubcommission

Text: Laura Aha

Rave clean, save green Demo (2013) von Clubcommission Berlin e.V.Clubcommission

Clubs und Festivals Experimentierfelder für alternative Gesellschaftsformen – deshalb spielt das Thema Nachhaltigkeit auch im Feierkontext eine immer größere Rolle. Über die Vorbildfunktion von Clubkultur, Corona als Zäsur und die Frage, wie man hedonistisch an Morgen denken kann.

Der Schlüsselmoment für Sarah Bergmann war, als sie über den Campingplatz von Ferropolis lief, nachdem alle Besucher*innen abgereist waren: Abgeknickte Pavillons, umherflatternde Zeltplanen und Müllberge so weit das Augen reicht. „Da dachte ich mir: Das geht so nicht. Wir müssen unsere Verantwortung anders wahrnehmen.“ Seit 2018 arbeitet sie daher als Guest Relation Manager im Bereich Awareness und Sustainability für Goodlive GmbH, die unter anderem die Festivals Melt, splash!, Full Force und Lollapalooza organisieren.

Müllpfand, Greencamping, Meat Free Friday, Food Sharing, CO2-Kompensation – auf der Website des Melt-Festivals stehen bereits viele gute Ansätze für nachhaltiges Feiern. Mit [FAIR]OPOLIS hat Sarah Bergmann zudem auf dem Campingplatz einen Bereich geschaffen, auf dem Kreative und NGOs für das Thema sensibilisieren. Denn das wird höchste Zeit: „Musikfestivals haben den CO2-Fußabdruck einer Kleinstadt“ heißt es auf der Seite des Festivals. Und auch Clubs stehen in der Bilanz kaum besser da.


Ein kleiner Musikclub verbraucht so viel Strom wie 33 Haushalte jährlich in Deutschland und produziert damit etwa 30 Tonnen CO2 – ohne die Emissionen aus Heizungswärme, Abfall, Wasser und Mobilität. So steht es im Green Club Guide, einem Leitfaden, der als „virtueller Klimaberater“ Veranstaltenden Handlungsempfehlungen geben und Feiernde zum Umdenken bewegen will. Herausgegeben wurde er von Clubtopia, einem Zusammenschluss der Berliner Clubcommission mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Berlin, Clubmob.Berlin und dem Verein clubliebe, die sich selbst als „Freunde der musikalischen Weltrettung“ verstehen.

Future Party Lab im SchwuZ (2020) von clubliebe e.V./Marcus BläsingClubcommission

An Morgen denken – aber wie?

Wie diese musikalische Weltrettung aussehen kann, dafür hat Clubtopia verschiedene Ansatzpunkte: An runden Tischen wird ein Code of Conduct für nachhaltige Clubs erarbeitet, über Online-Schulungen, wie das „Green Club Training“, Wissen vermittelt. Im Future Party Lab vernetzen sich Veranstaltende mit Raver*innen und entwickeln im Ideenwettbewerb kreative Zukunftslösungen. Zudem bietet Clubtopia eine kostenlose Energieberatung an, um herauszufinden: An welchen Stellschrauben müssen Clubbetreibende drehen, um Umweltsünden zu vermeiden?

„,Umweltsünde’ ist ein Wort, dass ich ungern benutze“, stellt Konstanze Meyer, Projektleiterin von Clubtopia, klar. „Clubs machen nichts, was wir nicht in unserem Alltag auch falsch machen. Sie sind nicht besonders ,sündhaft’. Trotzdem müssen sie etwas tun.“ Ein Club, der sich in Berlin seit Längerem mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzt, ist das SchwuZ. Bereits beim Umzug in die ehemalige Neuköllner Kindl-Brauerei haben die Betreiber*innen in eine neue Lüftungsanlage investiert, durch wasserlose Pissoirs wird Wasser eingespart, der Club achtet auf Müllvermeidung, nutzt nachhaltige Reinigungsmittel und stromsparende LEDs zur Beleuchtung. Der größte Hebel sei jedoch die Umstellung auf „richtigen“ Ökostrom gewesen, sagt SchwuZ-Geschäftsführer Marcel Weber: „,Richtig’ betone ich, weil es wenige zertifizierte Ökostromanbieter in Deutschland gibt, die zu hundert Prozent regenerativ sind. Durch die Umstellung des Stromanbieters, konnten wir die größte Menge an CO2 einsparen.“


Ökologie, Ökonomie, Soziales und Kultur – das sind laut Green Club Guide die vier Ebenen der Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit impliziert aber auch „Langfristigkeit“ – eine Perspektive, die an der realen Situation vieler Clubs aktuell leider vorbeigeht. „Das ist tatsächlich oft die größte Hürde“, weiß Konstanze Meyer. „Die Motivation, was zu machen, ist bei vielen Clubs hoch. Aber sie haben oft kurze Mietverträge und können dadurch kaum langfristige Investitionen tätigen.“

Um das zu ändern, brachte die Clubcommission das Thema 2020 sogar bis in den Bundestag. Zentrales Anliegen: Die Anerkennung von Clubs als Kulturstätten. Auch wenn 2020 mit der Senkung der Umsatzsteuer auf sieben Prozent immerhin steuerrechtlich eine Gleichstellung von Clubs mit Kulturstätten erreicht wurde und die Berliner Clubs formell als solche gewürdigt wurden, blieb die erhoffte Baurechtsreform vorerst aus – und der Handlungsrahmen für nachhaltige Investitionen damit weiterhin eingeschränkt. Trotzdem darf das keine Ausrede sein, findet Konstanze Meyer: „Man kann mit bereits Vorhandenem viel machen: Wo stehen die Kühlschränke, wann schalte ich sie ab, wie voll mache ich sie? ,Der Letzte macht das Licht aus’ klingt banal – aber das sind Faktoren, da muss man noch gar nichts investieren.“

Ventilator (2018) von clubliebe e.V./BUND Berlin e.V.Clubcommission

Sarah Bergmann hat ebenfalls kostenlose Maßnahme gefunden: „Wir arbeiten mit NGOs zusammen, die nach dem Festival Verwertbares aufsammeln, um es zu spenden oder zu verleihen. Wir haben keine Mehrkosten, weniger Müll und tun Gutes.“ Trotzdem weiß sie, dass es echte Nachhaltigkeit nicht umsonst gibt – und sich die Investitionen oft erst nach Jahren amortisieren, eventuell sogar nie. Zudem liegt die Verantwortung nicht nur bei den Veranstaltenden allein.

Bei der Analyse der CO2-Bilanz Festivals sei klar geworden, dass der Faktor „Mobilität“ knapp 78 Prozent aller Emissionen ausmacht. Hier brauche es ein Umdenken bei den Besucher*innen – aber auch hinsichtlich des Bookings. Lösungsansätze für grüneres Touren gibt es im Green Touring Guide. Booker*innen sollten aber auch ihrerseits Verantwortung übernehmen, findet Marcel Weber vom SchwuZ. „Wir setzen auf lokales Booking, kombiniert mit den internationalen Menschen, die ohnehin in Berlin leben. Damit kann man ein wunderbares Programm machen – und die lokale queere Szene fördern.“


Nachhaltig und sozial: Clubkultur als Pionierin

Nachhaltigkeit hat für Marcel Weber auch eine soziale Dimension: Als einer der wenigen Clubs in Berlin beteiligt sich das SchwuZ am berlinpass, der Menschen mit wenig Einkommen vergünstigte Eintrittspreise gewährt. Faire Getränkepreise sind ebenso wichtig wie die Unterstützung queerer Beratungsangebote oder die Ausgabe von Freikarten an Geflüchtetenunterkünfte, damit alle partizipieren können. „Auch das ist ein Nachhaltigkeitsaspekt, der uns wichtig ist“, sagt Weber. Die Annahme, dass Hedonismus und Nachhaltigkeit nicht zusammengehen, kann er nicht bestätigen.

Lastenrad (2019) von clubliebe e.V./BUND Berlin e.V.Clubcommission

„Clubgäste sind oft Menschen, die sich mit nachhaltigen Werten identifizieren und sich wünschen, dass Clubs ihr eigenes Handeln verändern“, beobachtet Konstanze Meyer von Clubtopia. Umgekehrt sieht Sarah Bergmann das Potenzial, Festivalbesucher*innen vor Ort für das Thema zu sensibilisieren und weiterzubilden: „Wenn Feiernde sehen, dass sie sich nachhaltig verhalten können und keine Abstriche beim Spaß machen müssen, sind sie eher gewillt mitzumachen.“ Wichtig sei, dass man die Menschen abhole, wo sie stehen.

So gab es beim splash! Edutainment-Formate mit NGOs für ein jüngeres Publikum. Beim Full Force wurde die Initiative Sea Shepherd eingeladen, von der viele Metalfans ohnehin T-Shirts tragen. „Wenn die NGOs zum Publikum passen, findet das auch Anklang. Man muss das Thema zielgruppengerecht aufbereiten“, betont Bergmann. Wenn sich Clubs und Festivals ihres politischen Potenzials bewusst werden, knüpfen sie letztlich an die Wurzeln in der queeren Subkultur an, aus der sie ursprünglich mal hervorgegangen sind, findet Marcel Weber.

„Ich glaube, dass der Kampf um Anerkennung und Gleichstellung genauso wichtig ist wie der Kampf um Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Das ist ja intersektional. Es braucht die, die diese Haltung an den Tag legen, auch wenn es noch nicht populär oder ,Mainstream’ ist. Wir trampeln daher den Pfad vor und hoffen, dass andere folgen.“

Klimakrise im Hausflur: Selbstverantwortung und Organisation



Konstanze Meyer wünscht sich deshalb, dass die Politik stärker Verantwortung übernimmt und nachhaltige Projekte im Clubbereich fördert. Klassische Umweltsiegel oder Auflagen sieht sie dafür hingegen kritisch. „Gäste würde nicht in den Club gehen, weil da draufsteht ,Green Club’. Siegel haben den Nachteil, dass sie teilweise zu starr sind und wenig auf Besonderheiten in den einzelnen Clubs eingehen.“ Meyer glaubt, dass das Prinzip der Selbstverpflichtung in der Clubszene ausreicht, weil es hier ohnehin ein hohes Bewusstsein für soziale Themen gibt. Auch für Marcel Weber ist das eher eine Frage der Selbstverantwortung. Aktuell arbeitet er an einem Code of Conduct zum Thema – gemeinsam mit anderen Clubbetreibenden.

Bühnenbeleuchtung konventionell (2018) von clubliebe e.V./BUND Berlin e.V.Clubcommission

Dezentrale Vernetzung und Wissensaustausch hält auch Sarah Bergmann für eine wirksame Strategie fernab der Politik. Sie plädiert für eine „Freiwilligen-Union der Veranstaltenden“: „Ich glaube, dass es mittlerweile nicht mehr unbedingt des wirtschaftlichen Anreizes bedarf, sondern es eine Frage der sozialen Verantwortung ist. Wir leben in 2020, wir sehen was vorgeht mit globaler Erwärmung. Ich finde es rückständig, wenn man als großer Veranstalter nichts in diese Richtung tut. Klar geht es in erster Linie um Spaß und Musik. Aber das clashed nicht mit nachhaltigen Werten.“

Für Clubs wie das SchwuZ ist die staatliche Förderung hingegen durchaus ein überlebenswichtiger Faktor – gerade in der Pandemie, die gezeigt hat, wie schnell der marktliberale Kapitalismus in Krisenzeiten die Schwächsten wegfegt, wenn der Staat nicht eingreift.

Trotz aller Rückschläge für die Szene, zieht Marcel Weber daher auch etwas Positives aus der Krise: „Corona hat gezeigt, welche Veränderungen in sehr kurzer Zeit möglich sind, wenn die Notwendigkeit von der Mehrheit der Gesellschaft erkannt wird.“ In den staatlichen Förderungen sieht er eine Chance, jetzt in nachhaltige Verbesserungen zu investieren.

Konstanze Meyer sieht durch Corona immerhin das Potenzial buchstäblich „nachhaltiger“ Veränderung für die Szene – je nachdem, wie lange die Pandemie noch andauert. Obwohl es für viele Clubs nach wie vor um das nackte Überleben gehe, sei viel Kapazität frei geworden, um über Zukunftsfragen nachzudenken. Mit der Onlineschulung „Green Club Training“ bietet Clubtopia daher jetzt bereits Weiterbildungsmöglichkeiten zum Thema an. Meyers Eindruck: „Bei vielen besteht der Wunsch, dass es nicht unter den üblichen Vorzeichen weitergeht, wenn die Clubs wieder aufmachen.“

Auch Marcel Weber setzt Hoffnung in die Zeit „nach Corona“: „Wir erleben in großen Teilen eine viel achtsamere, sensiblere Gesellschaft. Die Chance, diesen Moment für das Thema Nachhaltigkeit zu nutzen, ist klar gegeben. Die Pandemie wird irgendwann vorüber sein. Die Klimakatastrophe steht aber praktisch schon im Hausflur. Das wird uns die nächsten Jahrzehnte beschäftigen.“

Quelle: Alle Medien
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