Der römische Konsul Boethius ließ anlässlich seines Amtsantritts 487 n. Chr. Diptychen aus Elfenbein als Geschenke für seine Unterstützer anfertigen. Eines hat überlebt. Es zeigt den thronenden und stehenden Konsul in seiner Amtskleidung im Relief. Es befindet sich im Museo Santa Giulia in Brescia.
Museo di Santa Giulia
Seit 1998 beherbergt das Benediktinerkloster San Salvatore – Santa Giulia das Museum der Stadt Brescia.
Das Kloster wurde um die Mitte des 8. Jahrhunderts vom letzten Langobardenkönig Desiderius und seiner Gattin Ansa gegründet und hatte bis zum 18. Jahrhundert eine große religiöse, politische und wirtschaftliche Bedeutung für Brescia und die Region.
Das Museum bewahrt drei außergewöhnliche spätantike Diptychen, das der Lampadii (396 n. Chr.) und das des Boethius, sowie das so genannte Querini Diptychon, das ebenfalls aus dem 5. Jahrhundert stammt.
Das Boethius Diptychon
Das Boethius Diptychon wurde im 7. Jahrhundert in der westkirchlichen Liturgie wiederverwendet und dafür auf den Innenseiten mit Gemälden und Memorial-Inschriften versehen.
Boethius Diptychon, Innenseiten (487 / 7. und 8. Jh.)Zentralinstitut für Kunstgeschichte
Seit dem 18. Jahrhundert beschäftigten sich die Gelehrten mit dem Diptychon und seinen mittelalterlichen Inschriften und Bildern. Dennoch war das Diptychon bis 2019 nie Gegenstand einer kunsttechnischen Untersuchung.
Das Forschungsprojekt
2019 und 2020 untersuchte ein Team aus Restaurator*innen und Kunsthistorikern*innen mit Unterstützung der zuständigen Kuratorin Francesca Morandini das Diptychon erstmalig. Es wurden ausschließlich zerstörungsfreie Methoden eingesetzt.
Methoden
Neben einer mikroskopischen Untersuchung wurden hochauflösende Aufnahmen angefertigt und das Diptychon mit sichtbarem Licht, Ultraviolett-Fluoreszenz und Infrarot-Reflektografie erforscht. Mit Bildanalyse konnten kaum erkennbare Details der Inschriften sichtbar gemacht werden.
Die Außenseiten des Diptychons
Das Diptychon zeigt den Konsul Boethius stehend und sitzend, in einer verzierten Toga, wie er die Spiele anlässlich seiner Amtseinführung eröffnet.
Boethius Diptychon, Außenseiten (487)Zentralinstitut für Kunstgeschichte
Dazu hebt er die rechte Hand mit einem Tuch (mappa).
In der linken Hand hält er ein Szepter mit einem Adler.
Zu seinen Füßen liegen Säcke mit Geld, das verschenkt wird.
Maße (2019)Zentralinstitut für Kunstgeschichte
Das Diptychon ist aus Elfenbein gefertigt.
Seine Größe entspricht der durchschnittlichen Größe von Konsulardiptychen.
Das Material Elfenbein
Die Tafeln wurden vermutlich aus demselben Elefantenzahn geschnitten. Das kostbare Elfenbein wurde so effizient wie möglich genutzt.
Dies zeigen die leicht konkaven Außenkanten der Tafeln, die abgeschrägten Ecken und die angeschnittene Pulpahöhle.
Die Tafeln sind maximal 10 mm dick; durch das Schnitzen des Reliefs sind einige Bereiche bis auf 2 mm gedünnt. Diese erscheinen im Durchlicht transparent.
Auf dem Diptychon sind Spuren verschieden geformter Schnitzeisen erkennbar. Viele Werkzeugspuren des Herstellungsprozesses verschwanden jedoch beim abschließenden Schleifen und Polieren.
Auf dem Diptychon – wie auch auf anderen antiken Elfenbeinobjekten – sind auf den Innenseiten leiterähnliche Spuren sichtbar. Es gibt verschiedene Theorien, welches Werkzeug sie verursacht haben könnte.
Das Scharnier
Die beiden Elfenbeintafeln sind durch ein dreigliedriges Stangenscharnier verbunden. Die Scharniere sind aus Metall gefertigt und die Stange aus Elfenbein.
Der Verschluss
An den Außenkanten sind Teile eines wohl ursprünglichen Verschlusses erkennbar. Ein Metallknopf ist noch vorhanden, während an der anderen Tafel nur ein Loch an das verlorene Gegenstück erinnert.
Polychromie
Wie auch auf anderen Diptychen finden sich in Tiefen Farbreste, die sich jedoch nicht datieren lassen. Die früher gängige Praxis, Abgüsse herzustellen, hat die Farbreste vermutlich dezimiert.
Die Innenseiten des Diptychons
Konsulardiptychen haben auf den Innenseiten Vertiefungen, die ursprünglich vielleicht mit Wachs gefüllt waren, um beschrieben zu werden.
Im Mittelalter wurden die Innenseiten oft beschrieben. Nur bei diesem Diptychon haben sich auch Gemälde erhalten.
Die Auferweckung des Lazarus (7. Jh. und später)Zentralinstitut für Kunstgeschichte
Dargestellt ist links die Erweckung des Lazarus durch Christus, wie sie im Neuen Testament vom Evangelisten Johannes berichtet wird (Joh 11,1-45).
Christus streckt seinen Arm aus und spricht die Worte "Lazarus komm heraus" (Joh 11,43).
Der in ein Leichentuch gewickelte Lazarus steht in seinem Sarkophag.
Das Wunder seiner Erweckung vom Tod hat stattgefunden.
Maria, die Schwester des Lazarus, hat sich aus Dankbarkeit vor Christus auf den Boden geworfen.
Der Mann, der den Sargdeckel umfasst, hält sich die Nase zu, da Lazarus - vier Tage nach seiner Beisetzung - nach Verwesung stinkt, wie der Evangelist berichtet.
Einer der beiden Männer neben dem Mausoleum hat seine Hand erwartungsvoll in die Richtung Christi ausgestreckt. An dieser Stelle kamen in den bisherigen Darstellungen keine Figuren vor. Handelt es sich um die Auftraggeber der Bilder?
Das Bild ist Ausdruck der christlichen Hoffnung auf die Auferstehung nach dem Tod.
Die drei Kirchenväter Hieronymus, Augustinus und Gregorius (7. Jh. und später)Zentralinstitut für Kunstgeschichte
Gegenüber sehen wir in Frontalansicht drei halbfigurige Darstellungen der Kirchenväter.
Dargestellt ist der Kirchenvater Hieronymus (347-420)
Augustinus (354-430)
und Papst Gregor der Große (540-604).
Es gilt als das früheste Bildnis dieses Papstes.
Es ist die erste gemeinsame Verbildlichung der Kirchenväter.
Maltechnik
Zur Untersuchung der Maltechnik kamen bildgebende Verfahren zum Einsatz.
Maria (Schwester des Lazarus), Foto in sichtbarem Licht (7. Jh. und später)Zentralinstitut für Kunstgeschichte
Hochauflösende Fotografie
Maria (Schwester des Lazarus), Digitale BildanalyseZentralinstitut für Kunstgeschichte
Digitale Bildanalyse
Maria (Schwester des Lazarus), InfrarotreflektographieZentralinstitut für Kunstgeschichte
Infrarotreflektografie
Maria (Schwester des Lazarus), VIL FotographieZentralinstitut für Kunstgeschichte
Visible Induced Luminescence (VIL) photography
Maria (Schwester des Lazarus), Foto in sichtbarem Licht (7. Jh. und später)Zentralinstitut für Kunstgeschichte
Hochauflösende Fotografie
Ritzlinien im Elfenbein gaben die Konturen der gemalten Rahmen vor.
Mittels einer detaillierten Unterzeichnung aus orangefarbenen Pinsellinien wurde die Darstellung angelegt.
Die drei Kirchenväter Hieronymus, Augustinus und Gregorius (7. Jh. und später)Zentralinstitut für Kunstgeschichte
Kartierung der Unterzeichnung im Gemälde der Kirchenväter (2020)Zentralinstitut für Kunstgeschichte
Unterzeichnung
Vergoldung
Für die Vergoldung wurde partiell eine weiße Grundierung aufgetragen.
Über den Resten der originalen Vergoldung liegt noch eine weitere Goldschicht.
Pigmente
Die Hintergründe wurden mit einem leuchtend blauen, grobkörnigen Pigment gemalt.
Durch VIL-Aufnahmen ließ sich dieses als Ägyptisch Blau identifizieren. In gealtertem Zustand und durch Eintrag von Schmutz und Überzügen erscheint die blaue Farbschicht heute weniger strahlend, als die Nachstellung zeigt. In Ausbrüchen lässt sich auch am Original die ursprüngliche Leuchtkraft der blauen Farbe erkennen.
Übermalungen
In einer späteren Überarbeitungsphase wurde die Vergoldung überarbeitet und dabei die Malerei mit schwarzen Konturlinien versehen. Dies diente der Akzentuierung von Umrissen und Details.
Rekonstruktion
Auf der Basis der mikroskopischen Untersuchung und Fotografien vom Anfang des 20. Jahrhunderts konnte das ursprüngliche Aussehen der Gemälde näherungsweise durch digitale Retusche rekonstruiert werden.
Die drei Kirchenväter Hieronymus, Augustinus und Gregorius (7. Jh. und später)Zentralinstitut für Kunstgeschichte
Digitale Rekonstruktion der Darstellung der Kirchenväter (2020)Zentralinstitut für Kunstgeschichte
Ursprüngliche Situation
Digitale Rekonstruktion der Darstellung der Kirchenväter (2020)Zentralinstitut für Kunstgeschichte
Während der einzigen Überarbeitung wurden neue Vergoldungen und schwarze Konturen hinzugefügt.
Maltraditionen im Vergleich
Der Vergleich mit der gleichzeitigen Tafelmalerei griechischer Prägung (siehe ISIMAT) zeigt deutliche Unterschiede in Stil, Technik und beim Typus des Heiligen.
Inschriften
Unter den Bildern sind Reste von Inschriften zu erkennen, die stark abgerieben und teilweise nicht mehr lesbar sind.
Mit der digitalen Bildanalyse (image analysis) ließen sich die Phasen der Inschriften unterscheiden. Der größte Teil konnte entziffert und datiert werden. Nun war es auch möglich, Aussagen über die kulturelle Herkunft der Personen zu treffen, deren Namen genannt werden.
Die erste Phase (7. Jahrhundert)
Vermutlich zeitgleich mit den Gemälden wurden die Inschriften angelegt. Zuerst wurde der Titulus QVOS DEO OFFERIMUS („die wir Gott anempfehlen“) geschrieben und die Tafeln in zwei Spalten unterteilt.
Rekonstruktion des Beginns der ersten Phase der Inschriften (7. Jahrhundert) (2020)Zentralinstitut für Kunstgeschichte
Namen der drei dargestellten Kirchenväter
Rekonstruktion der ersten Phase der Inschriften (7. Jahrhundert) (2020)Zentralinstitut für Kunstgeschichte
Es folgen lateinische und griechische Familiennamen
Es handelt sich um die Namen Verstorbener.
Die zweite Phase (Mitte 8. Jahrhundert)
Später wurden die Namen und die mittlere Teilung entfernt, um die Tafeln neu zu beschreiben.
Rekonstruktion der zweiten Phase der Inschriften (8. Jahrhundert) (2020)Zentralinstitut für Kunstgeschichte
Memento
Gedenke, Herr, der Seele aller
rechtgläubigen Bischöfe
und aller Christen, besonders
derjenigen von uns, die (dir) in der Messe anempfohlen wurden.
Das heißt:
(??) Atto Priester
Namen von Lebenden
drei aus griechisch-römischer Tradition,
eine mittelalterliche Namensform,
zwei germanisch-lombardische
und fünf angelsächsische Namen,
darunter vier Frauennamen.
Bei der letztgenannten Gruppe könnte es
sich um Pilger*innen handeln.
Die Publikation
Die Publikation der Forschungsergebnisse ist im Klinger Verlag erschienen und kann über den Buchhandel oder beim Verlag (kontakt@klinger-verlag.de) erworben werden.
Projektpartner
Fondazione Brescia Musei, Museo di Santa Giulia, Brescia
Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München
Untersuchungsteam
Dr. Catharina Blänsdorf, Archäologische Staatssammlung, München
Ronja Emmerich, M. A., Bayerische Staatsgemäldesammlung, München
Elisabeth Fugmann, M. A., vorarlberg museum, Bregenz
Christian Kaiser, M. A., Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP, Holzkirchen
Dr. Francesca Morandini, Fondazione Brescia Musei, Museo di Santa Giulia, Brescia
Nicole Pulichene, PhD, Harvard University
Dr. Esther Wipfler, Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München, Forschungsstelle Realienkunde
In Zusammenarbeit mit
Dr. Giulia Ammannati und Dr. Ilaria Morresi, Scuola Normale Superiore, Pisa
Animationsfilm: Christoph Stählin, Archäologische Staatssammlung, München
Förderer
CONIVNCTA FLORESCIT, München
Deutsches Museum, München
Lehrstuhl für Restaurierung Kunsttechnologie und Konservierungswissenschaft der Technischen Universität München
Archäologische Staatssammlung München
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