Flüsse aus Eis – künstliche Gletscher gegen den Klimawandel

Mit einer genialen Erfindung hat Chewang Norphel den Kampf gegen den Wassermangel aufgenommen.

Von "Unsung"

Fotografien: Mahesh Bhat. Text: Anita Pratap

Chewang Norphel at Phey Village, near Leh, Ladakh. December 2004 von Mahesh BhatUnsung

Chewang Norphel

Zwischen zerklüfteten Gipfeln und buddhistischen Klöstern, eingebettet in die Himalajalandschaft Nordindiens, liegt die Region Ladakh. Die hoch gelegenen Pässe, die nach Ladakh führen, sind jedes Jahr vorübergehend zugeschneit und die Einwohner von der Außenwelt abgeschnitten. Die Süßwasserreserven im Himalaja gehören zu den größten der Erde, existieren allerdings hauptsächlich in Form von Schnee und Eis. Zwar speisen uralte Gletscher die Region mit Wasser, aber das meiste fließt in den Fluss Indus ab. Zurück bleibt eine Region, die trotz reicher natürlicher Süßwasserressourcen unter Trockenheit leidet.

Der mittlerweile 83-jährige Chewang Norphel setzte sich zum Ziel, diese Ressourcen besser zu nutzen, und entwickelte eine außergewöhnliche Lösung: künstliche Gletscher.

Chewang Norphel von Mahesh BhatUnsung

Chewang Norphel wurde 1936 als Sohn tibetischer Eltern in Skarra geboren. Das Dorf liegt 2,5 Kilometer von Leh, dem Hauptort der Region Ladakh, entfernt.

Alle 100 Familien seines Dorfs waren Selbstversorger und bauten Weizen, Gerste, Senf und Erbsen an, um sich und ihr Vieh zu ernähren.

Als Kind hütete Norphel Kühe und Yaks, während sein Vater den harten, kargen Boden bearbeitete.

Ladakh liegt mitten in den Bergen des Himalaja zwischen Pakistan und China. Es ist ein weiter, beeindruckender Landstrich mit reicher Geschichte, rauer Schönheit und einem vielfältigen kulturellen und buddhistischen Erbe.

Aber die Schönheit dieses Paradieses ist bedroht: nicht etwa durch seine Abgeschiedenheit oder die Kälte des Winters, sondern durch Trockenheit.

So paradox es klingt: Ladakh leidet unter Mangel – mitten im Überfluss. Durch die Schneeschmelze entstehen Millionen Liter an Wasser. Weil es aber zu spät im Jahr in die Gebirgsbäche strömt, kann der größte Teil nicht genutzt werden.

Leh, Ladakh von Mahesh BhatUnsung

Im Winter wächst nichts in Ladakh. Es ist schlicht zu kalt. Das Land kann nur in der extrem kurzen Wärmeperiode von Frühling bis Sommer bestellt werden.

Der Frühling beginnt im April, doch die Gletscher des Himalaja fangen nicht vor Juni an, die Gebirgsbäche mit Wasser zu füllen.

Stream flows in the middle of winter, Leh von Mahesh BhatUnsung

Den gesamten Winter hindurch schmelzen die Gletscher unter der Kraft der Sonne – selbst bei -15° Celsius.

Weil es so schnell hinabströmt, gefriert das Schmelzwasser nicht. Es trifft auf den Indus und fließt mit ihm davon.

Changla valley in September 2005, before the formation of artificial glacier von Mahesh BhatUnsung

Das Changla-Reservoir befindet sich in etwa 4.800 Metern Höhe.

Es wurde angelegt, um den Fluss des Schmelzwassers aus den Gletschern zu steuern.

Chewang Norphel entwickelte dazu ein unkompliziertes System aus Umleitungskanälen in Höhen von ca. 3.500 bis 4.500 Metern.

Einfache Dämme aus Stein und ein wenig Mörtel, umspannt von einem Drahtnetz, stauen das Wasser auf.

Das auf diese Weise aufgefangene Wasser wird dann langsam durch enge Kanäle abgeleitet und gefriert durch die geringere Fließgeschwindigkeit wieder.

Hier zu sehen im September 2005.

Changla Valley in February 2006 von Mahesh BhatUnsung

Der künstliche Changla-Gletscher im Februar 2006.

Der Winter ging gerade zu Ende.

Der künstliche Gletscher gilt als das höchstgelegene Wassereinzugsprojekt der Welt.

Spalding family in Sakthi Village, Ladakh von Mahesh BhatUnsung

Die Familie Spalding im Dorf Sakthi stromabwärts des künstlichen Changla-Gletschers.

Er versorgt die Dorfbewohner im Sommer mit Schmelzwasser.

Phutse artificial glacier von Mahesh BhatUnsung

Phutse war der erste Gletscher in Chewang Norphels Projekt.

Er ist der größte der künstlichen Gletscher. Bis zu seiner Fertigstellung dauerte es mehrere Monate.

A government school in Phu Valley, Ladakh von Mahesh BhatUnsung

Eine staatliche Grundschule im Phu-Tal in der Nähe des Phutse-Gletschers.

Von dem künstlichen Gletscher profitieren neben den Menschen in Phu auch noch weitere Dörfer.

Sharnu Village von Mahesh BhatUnsung

Ein Blick auf die schroffe Berglandschaft der Region Sharnu.

Ihr Durst wird ebenfalls vom künstlichen Phutse gestillt.

Chewang Norphel von Mahesh BhatUnsung

Chewang Norphel in der scheinbar kargen Landschaft von Ladakh.

Damit noch mehr Menschen von seinem Projekt profitieren und im Sommer eine bessere Ernte erzielen, will er jedem Dorf in Ladakh zu einem künstlichen Gletscher verhelfen.

Zing' - a reservoir von Mahesh BhatUnsung

Norphel braucht keine Studien, um vom Klimawandel überzeugt zu sein.

Er sieht mit eigenen Augen und wachsender Beunruhigung, wie die Gletscher des Himalaja schrumpfen und sich jedes Jahr etwas weiter von seinem Dorf zurückziehen.

Stok mountain range von Mahesh BhatUnsung

In seiner Kindheit bedeckte der Stok-Gletscher die Hälfte der Bergkette am Horizont. Jetzt ist das Eis bis zum Bergkamm zurückgewichen.

Chewang Norphel bestärkt dies, noch mehr künstliche Gletscher zu schaffen.

River Sindhu von Mahesh BhatUnsung

Am besten in allen 112 Dörfern von Leh. Damit das ganze Wasser nicht jeden Herbst ungenutzt in den mächtigen Indus fließt.

Norphel weist darauf hin, dass Indien im Konflikt mit Pakistan täglich 20 Mio. Rupien* (ca. 250.000 €) für seine Truppen auf dem Siachengletscher ausgibt.

Mit dem Geld eines einzigen Tages könnte man in Ladakh 50 künstliche Gletscher anlegen.

* Manche Schätzungen gehen von bis zu 50 Mio. Rupien (ca. 600.000 €) pro Tag aus.

Zing' - a reservoir von Mahesh BhatUnsung

Trotz seiner Leistungen bleibt Chewang Norphel bescheiden.

Für sein Projekt wurde ihm viel Anerkennung zuteil und er erhielt renommierte nationale und internationale Auszeichnungen.

Chewang Norphel at Phey Village, near Leh, Ladakh. December 2004 von Mahesh BhatUnsung

Was hat seiner Meinung nach zum Erfolg seiner Arbeit beigetragen? Mit einem Lächeln sagt er:

"Die Menschen. Man muss sie davon überzeugen, diese Vision zu teilen, und sie an diesem Traum teilhaben lassen.

Alleine erreicht man nichts."

Mitwirkende: Geschichte

Fotos: Mahesh Bhat.
Text: Anita Pratap

Weitere Informationen finden Sie hier: Projekt "Unsung"

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Quelle: Alle Medien
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