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Memento Mori Seitenansicht

Chicart Bailly zugeschriebenum 1520

Bode-Museum, Staatliche Museen zu Berlin

Bode-Museum, Staatliche Museen zu Berlin
Berlin, Deutschland

Bei dieser Skulptur aus Elfenbein steht auf der einen Seite eine junge Frau, nackt bis auf ein Paar Schuhe und eine Haube samt Kopftuch, dessen Ende sie vor ihrem Bauch hält. Die Blume in ihrer linken Hand stammt wohl aus dem umzäunten Garten, der auf dem aufwendigen Sockel dargestellt ist. Dreht man die Gruppe um 180 Grad, entdeckt man den Tod als ein Skelett, auf dem Würmer und anderes Ungeziefer wimmeln. Der Tod nimmt eine identische Pose ein wie die Frau; schaut man eine der Figuren frontal an, erscheint es, als würden die zwei dasselbe Gewand teilen. Die Gruppe ist ein raffiniertes Beispiel eines Memento Mori (Gedenke, zu sterben), eine Darstellung der Unausweichlichkeit des Todes und Mahnung zugleich, sein Leben sinnvoll und sündenfrei zu gestalten. Offensichtlich tut die dargestellte junge Frau dies nicht: Mit dem rechten Mittelfinger weist sie auf ihre Scham. Direkt unter ihr steht auf dem Sockel ein Narr in einem Kapuzengewand, der mit offenem Mund zu ihr emporschaut; sein linker Fuß ruht auf dem Flechtwerk, und er hält einen Stab, an dem ursprünglich eine Marotte (Puppe) befestigt war. In der spätmittelalterlichen Gesellschaft ist der Narr ein Spaßmacher und zugleich der Tor, der fern von Gott lebt. Unter dem Tod ist ein junger Edelmann zu sehen; er zieht sein Schwert aus der Scheide, als würde er versuchen, sich zu verteidigen, und blickt hoch zum Skelett. Der Größenunterschied macht offensichtlich, dass trotz seiner Tugenden auch er dem Tod nicht entkommen kann. Im Garten befinden sich ebenfalls vier weitere Kreaturen: Der angekettete Affe ist ein Symbol der Triebe; er hat gerade einen Apfel aus einem Korb genommen und beißt hinein, ein Hinweis auf den Sündenfall. Ein gleichfalls negativ belastetes Wesen ist der Teufel, rechts von dem Edelmann. Demgegenüber sind der Hund und der Löwe Symbole von Tugenden beziehungsweise von Treue und von Mut. Das Luxusobjekt wurde im frühen 16. Jahrhundert in Paris geschaffen. Der Künstler wurde in der neuesten Forschung als Chicart Bailly (tätig von etwa 1490 bis 1533) identifiziert. Der Erstbesitzer gehörte vermutlich den oberen Klassen an und war entweder eine adelige Person oder ein Mitglied einer Handelsfamilie. Das Material Elfenbein wurde aus Afrika importiert, war entsprechend teuer und konnte nur von der Elite erworben werden. Ähnliche Darstellungen mit belehrenden Botschaften waren in europäischen Städten aber weit verbreitet. Das Jüngste Gericht am Eingang vieler Kirchen und Kathedralen erinnerte die Gläubigen daran, dass ihre Lebensweise entscheidend sein würde für ihren Eingang ins Paradies oder in die Hölle. Der Totentanz in Nordeuropa machte deutlich, dass der Tod keine Rücksicht auf Alter, Amt oder Reichtum nimmt, während in Südeuropa die Universalität des Lebensendes in großen Fresken mit dem Triumph des Todes zum Ausdruck gebracht wurde. Die antithetische Darstellung der nackten Frau mit dem Tod ist eine deutliche Mahnung, dass ein sorgenloses, unkeusches Leben mit dem ewigen Tod bestraft wird.

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