Alte Weiden am Dorfrand

Wie Anna Gerresheim war Hugo Richter-Lefensdorf als Landschaftsmaler und Porträtist gleichermaßen begabt, künstlerisch jedoch ein anderes Temperament. Aus der Nähe von Waren stammend, hatte er zunächst bei Christian Wilsberg, danach bei Eugen Bracht an der Berliner Kunstakademie studiert. Erwähnenswert ist seine Mitarbeit an einem großen Historienbild, das Eugen Bracht 1885 im Auftrag der Stadt Philadelphia anfertigte. Bracht muss zu dieser Zeit das Potential seines Schülers erkannt und besonders gefördert haben. Nach Ahrenshoop kam Richter-Lefensdorf um 1890. In den eineinhalb Jahrzehnten seines Aufenthaltes dort fand er zu einer außergewöhnlich empfindsamen, symbolhaften Naturinterpretation. Sie mündete zuweilen in ein sprühendes Feuerwerk der Farben. Zwar gibt es von Richter-Lefensdorf auch heiter wirkende Ansichten des sommerlichen Ahrenshoop, aufschlussreicher aber sind jene Bilder, die die tragische Seite seines Temperaments hervorkehren. Mit nervösem Pinselstrich und in verstörender, suggestiver Eindringlichkeit schrieb er seine Motive auf die Leinwand. Das kurz vor der Jahrhundertwende entstandenen Bild „Alte Weiden am Dorfrand“ wirkt wie ein Memento mori. Trotz des expressiven Kolorits liegt die inhaltliche Betonung auf der sterbenden Natur, verkörpert durch einen in sich gekrümmten Weidenbaum. Die kompositorische Dramatik, durch spannungsvoll kontrastierende Formen gesteigert, gönnt dem Auge keine Ruhe, sondern zwingt es, der destruktiven Fantasie des Malers zu folgen. Stilistisch steht ein Gemälde wie dieses zwar der Freilichtmalerei nahe, doch mit der undramatischen „paysage intime” verbindet es nichts mehr. Stattdessen zeigt sich die Empfänglichkeit des Malers für die damals aufkommende schwermütige Landschaftsauffassung des nordeuropäischen Symbolismus.