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Lodovico Guicciardini bezeichnete den Künstler 1567 in seiner Beschreibung der Niederlande als »Pietro Brueghel di Breda«, was uns vermuten läßt, daß er aus Breda stammte und daher in der Stadt und nicht auf dem Land aufgewachsen ist. Bruegel dürfte dort zwischen 1525 und 1530 geboren worden sein. Kaiser Karl V. (1500-1558), der die Niederlande regierte, war damals etwa 30 Jahre alt und Philipp II. (1527-1598) gerade zur Welt gekommen. Es war die Zeit, da sich die Niederlande eines ungewöhnlichen Wohlstandes erfreuten. Als Bruegel starb, war das Land von den Söldnern des Herzogs von Alba ausgeplündert, während das Volk zu den Waffen griff, um sich zu verteidigen. Vor dem Hintergrund dieser wechselvollen Geschichte entfaltete sich das Schaffen Bruegels, des bedeutendsten und genialsten Künstlers seiner Zeit. 1551 war Bruegel als freier Meister in die Antwerpener Malerzunft aufgenommen worden. Kurz darauf reiste er nach Italien, wo er sich einige Jahre aufhielt. Es war jedoch nicht die Kunst der Antike oder die der italienischen Maler, sondern die grandiose Szenerie der Alpen, das Tessintal und die Gegend um den St. Gotthard, die bei ihm einen tiefen Eindruck hinterließ und seine Landschaftsgestaltung entscheidend bestimmt hat. 1555 befand sich Bruegel wieder in Antwerpen, wo er für den Verleger Hieronymus Cock Zeichnungen lieferte, die in Stichen Verbreitung erlangten. 1563 hatte Bruegel in Brüssel die Tochter des Malers Pieter Coecke van Aelst geheiratet, der nach dem Bericht von Carel van Mander (1604) sein Lehrmeister gewesen ist. In Antwerpen ließ Bruegel zahlreiche Freunde zurück. Zu ihnen gehörte der Humanist und Geograph Abraham Ortelius (1527-1598), der Bruegel in jene Kreise der durch die Weltanschauung des Erasmus geprägten Katholiken eingeführt hatte, die aus innerster Überzeugung die Intoleranz von Staat und Kirche verurteilten. Der Sinn für Toleranz und Menschlichkeit, der aus den Werken Bruegels spricht und uns heute noch so un - mittelbar berührt, ist im Kreise der Antwerpener Freunde vertieft worden. Doch auch in Brüssel fand Bruegel bald neue Förderer. Zu ihnen zählte kein geringerer als Kardinal Antoine Perrenot de Granvella (1517-1586), der Vertraute Philipps II. von Spanien und Berater der Statthalterin Margarete von Parma. Den Kunstfreunden seiner Zeit galt Bruegel als kongenialer Nachfolger des im Jahre 1516 verstorbenen Hieronymus Bosch. Abraham Ortelius ehrte seinen früh verstorbenen Freund durch einen in Latein abgefaßten Nachruf (um 1573), in dem es heißt: »Von den Manen verehrt, war Pieter Bruegel zweifelsohne der größte Maler seiner Zeit, das würde niemand je zu leugnen wagen, höchstens ein Eifersüchtiger, ein Rivale oder ein Mensch, dem die Kunst dieses Meisters vollkommen fremd ist. Um alles zu sagen, würde ich sogar wiederholen, er sei nicht nur der größte Maler, sondern er sei für sich allein schon die ganze Welt der Bilder. Und dieser Bruegel, den ich preise, hat viele Dinge gemalt, die nicht gemalt werden können, wie einst Plinius sagte, als er von Apelles sprach. In allen seinen Werken trachtet er stets danach, mehr zu verstehen zu geben, als was er uns zur Betrachtung vorlegt.« Im Schaffen Bruegels bezeichnen die Jahre 1559 und 1560 einen deutlichen Einschnitt. Es entstanden die niederländischen Sprichwörter sowie zwei in Wien (Kunsthistorisches Museum) bewahrte Gemälde, der Streit zwischen Fasching und Fasten und die Kinderspiele. Diese ersten großen Bilder stehen am Beginn einer reichen Gemäldeproduktion, die den Ruhm des Künstlers begründete und noch heute die Bewunderung des Betrachters erregt. Die niederländische Sprache zur Zeit Bruegels besaß einen größeren Schatz an Sprichwörtern, als dies heute der Fall ist. Erasmus von Rotterdams »Adagiorum Collectanea«, die berühmte Sammlung lateinischer sprichwörtlicher Redewendungen, ist eines der schönsten Beispiele für die auch von Bruegel geteilte Vorliebe für das Sprichwort, die in seiner Darstellung der niederländischen Sprichwörter wahrhaft enzyklopädisches Ausmaß angenommen hat. Unmittelbar vor der Vollendung dieses Bildes hat Bruegel in einer Zeichnung den »Elck«, das heißt den sprichwörtlichen Vertreter des »Jedermann« dargestellt, der mit der Laterne in der Hand Fässer, Körbe und Säcke durchwühlt. Dabei ist er nur auf seinen Gewinn bedacht, ebenso wie jene Männer, die verbissen an den Enden eines Tuches ziehen. In der Beischrift des nach der Zeichnung gefertigten Stiches heißt es: »Überall auf der Welt sieht jeder sich selbst, und in allen Dingen will er sich selbst finden. Wie könnte einer sich selbst finden, wenn jeder sich selbst sucht? Jeder reißt sich um den Vorteil (das längere Ende), die einen von oben, die andern von unten. Fast niemand kennt sich selbst. Wer das erkennt, wird große Wunder sehen.« Die in diesen Worten ausgedrückte Erkenntnis liefert zweifellos einen der wichtigsten Anhaltspunkte für das Verständnis des Sprichwörterbildes. In diesem Bild sind zum ersten Mal mehr als 100 Sprichwörter und Redewendungen mit einander vereint und in eine Umgebung versetzt, die ebenso real ist wie die durch die Spruchweisheiten in knapper und treffender Form enthüllten Verhaltensweisen des Menschen. Dabei spielen die einzelnen Szenen gleichzeitig nebeneinander, ohne unmittelbar voneinander abhängig zu sein, ganz so, wie es der Zufall im menschlichen Leben mit sich bringen könnte. Ein Dorf an einem Fluß nahe dem Meer bildet die weiträumige Bühne für das scheinbar alltägliche Treiben seiner Bewohner. Ein Bauernhaus, baufällige Hütten, eine steinerne Brücke mit Pranger und Turm, der Dorfplatz im Zentrum des Geschehens und ein Gehöft zwischen Kornfeldern nahe dem Wald bilden die Kulisse für das bunte Treiben. In der Ferne erstreckt sich das offene Meer, überstrahlt von der leuchtenden Sonne eines spätsommerlichen Tages. Durch die subtile Farbgebung sind die verschiedenen Szenen miteinander verknüpft. Kräftige Rot- und Blautöne bilden dabei die Angelpunkte der Komposition. Im Zentrum der Darstellung dominiert das Blau des Mantels, den eine junge Frau in leuchtendrotem Kleid ihrem alten, hinfälligen Mann umhängt. Von dem Motiv des blauen Mantels, einem geläufigen Sinnbild des Betruges, leitet sich eine der alten Benennungen des Bildes ab. Dieselbe Bezeichnung findet sich auch auf einem 1558 in Antwerpen erschienenen Stich, der eine der Anregungen für Bruegels Bild geliefert haben dürfte. In der Beischrift des Stiches heißt es: »Der blaue Mantel wird dies meist genannt, doch als die Torheiten der Welt wäre es besser bekannt.« Die Vorstellung, daß Torheit und Selbstbetrug am Anfang allen Unglücks stehen, hatte in Erasmus von Rotterdams »Lob der Torheit« (1511) greifbaren Ausdruck erlangt. Die andere alte Benennung unseres Bildes als Verkehrte Welt geht auf das Motiv der auf den Kopf gestellten Weltkugel zurück, die Bruegel als auffallendes Wahrzeichen am links im Bild wiedergegebenen Haus darstellte. Dieses Sinnbild macht deutlich, daß wir uns in einer verkehrten Welt befinden. Die Menschen, das heißt die Bildfiguren Bruegels, sind dabei wohl als typische Vertreter der einzelnen Stände, nicht jedoch als Individuen charakterisiert. Gleich seelenlosen Marionetten bewegen sie sich auf der Bühne, ohne an ihrer Umgebung Anteil zu nehmen. Es ist ein Schauspiel, dessen Inszenierung an die von Rabelais 1564 geschilderte Reise des Pantagruel ins Reich der Quintessenz erinnert, deren Untertanen in ihrem wunderlichen Treiben sprichwörtliche Absurditäten verkörpern. Die Schilderung der Ungereimtheit, Sinnwidrigkeit und Narretei im Verhalten der Menschen nimmt auch in der Darstellung Bruegels unter dem Leitmotiv der verkehrten Welt breiten Raum ein. Da wird der Brunnen zugeschüttet, nachdem das Kalb ertrunken ist, oder das Licht mit Körben an den Tag getragen. Andere Sprichwörter enthalten Anspielungen auf die Todsünden. Betrug, Lüge und Heuchelei gehören zu weiteren negativen Eigenschaften der Menschen, die durch die Sprichwörter nachdrücklich belegt werden. Es ist eine Welt, in der man nicht Gott, sondern dem Teufel dient. Selbst die Vertreter des geistlichen Standes bilden da keine Ausnahme, wenn sie dem Herrgott einen Bart aus Flachs umhängen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß Bruegels Bild in Wahrheit eine scharfe Kritik enthält und dabei pessimistisch gestimmt ist. Dennoch handelt es sich um mehr als eine bloße Darlegung des als unabänderlich empfundenen Schauspiels menschlichen Treibens. Bruegel hat vielmehr die Menschen seiner Zeit in die Lage versetzen wollen, die Sinnwidrigkeit ihres Handelns zu erkennen und in ihrer ganzen Tragweite zu begreifen. In dieser Hinsicht hat seine Botschaft auch heute kaum etwas von ihrer Aktualität verloren. | Rainald Grosshans
SIGNATUR / INSCHRIFT: Bez. rechts unten: BRVEGEL • 1559

Details

  • Title: Proverbs
  • Creator: Pieter Bruegel the Elder
  • Date Created: 1559
  • Physical Dimensions: 117,2 x 163,8
  • Type: Picture
  • External Link: Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin
  • Medium: Oak Wood
  • Inv. No.: 1720
  • ISIL-No.: DE-MUS-017018
  • Copyright Image: Photo: © Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie / Image by Google
  • Collection: Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin
  • Artist Dates: 1526/30 - 1569
  • Acquired: 1914 Purchase of English-owned

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