Archivgeschichte(n)

Die Entwicklung des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen über die Jahrzehnte

By State Archive North Rhine-Westphalia

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen

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Das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, zeigt in dieser Ausstellung Exponate zur eigenen Archivgeschichte. Seit dem 1. Januar 2004 bildet das ehemalige Hauptstaatsarchiv Düsseldorf eine Abteilung des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen. Gemeinsam mit dem ehemaligen Personenstandsarchiv Brühl firmiert es seit Ende 2008 als Abteilung Rheinland des Landesarchivs NRW, die sich seit dem Umzug im Jahr 2014 an ihrem neuen Standort Duisburg befindet.

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Die Geschichte der Abteilung Rheinland reicht mehr als 180 Jahre zurück. Als Königliches Provinzialarchiv 1832 gegründet, verwahrte dieses die Urkunden und Akten der ehemaligen Territorien und Herrschaften sowie der Klöster und Stifte des nördlichen Teils der preußischen Rheinprovinz. Auch nahm es die Akten der Mittel- und Unterbehörden dieses Sprengels auf. Das Provinzialarchiv, später Staatsarchiv, ab 1961 Hauptstaatsarchiv, ist als „Gedächtnis“ der Behörden Teil der öffentlichen Verwaltung.

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Das Personenstandsarchiv Rheinland verwahrt den staatlichen Anteil der Personenstandsüberlieferung, also Kirchenbücher, Zivil- und Personenstandsregister aus den Regierungsbezirken Düsseldorf und Köln. 1954/1955 wurden alle Bestände am früheren Standort Brühl zusammengeführt. Die Entstehung des Personenstandsarchivs reicht jedoch bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurück, als Kirchenbücher und Personenstandszweitbücher aus der Zeit vor 1900 zusammengefasst wurden.

Die Geschichte der
öffentlichen Archivnutzung

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts dienten Archive vor allem der Rechtssicherung der jeweiligen Archivträger. Außenstehende hatten kaum Zugang. Den Grundstein für das moderne Archivwesen legte 1794 ein französisches Gesetz, das allen Bürgern das Recht auf Einsichtnahme in die Archivbestände gewährte. Die Vorbehalte gegenüber der Öffnung der jahrhundertelang verschlossenen „Schatzarchive“, die als Verwahrer der wohl gehüteten Staatsgeheimnisse betrachtet wurden, waren zunächst groß. So vereinfachte der preußische Staatskanzler Karl August Freiherr von Hardenberg zunächst lediglich die Benutzung der Archivalien aus der Zeit vor 1500. Dieses Grenzjahr wurde im Laufe der Zeit dann immer weiter nach hinten verschoben. Die Benutzung blieb jedoch stets von der Gunst der höchsten preußischen Verwaltungsbeamten abhängig. Ein Rechtsanspruch auf Vorlage bestimmter Archivalien bestand nicht. Dies ermöglichte es je nach politischer Lage, bestimmten Nutzerinnen und Nutzern den Zugang zu den Archiven zu versperren. 

Archivnutzung im Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland 

In der Anfangszeit der 1832 gegründeten heutigen Abteilung Rheinland konnte die Akteneinsicht lediglich in einem kleinen „Vorzimmer“ erfolgen. Bei der Einrichtung des Archivgebäudes in der Josephinenstraße 1875 wurde schon ein immerhin 20 m² großer Raum im ersten Stock für die Benutzung eingeplant. Dieser enthielt „drei Tische, vier Stühle und einen Actenständer“. Erst mit Bezug der Neubauten in der Prinz-Georg-Straße im Jahr 1902 sowie in der Mauerstraße 1974 standen den Nutzer*innen größere Lesesäle mit Empfangstheken zur Verfügung. 

Der bisher mit Abstand größte und modernste Benutzersaal des Landesarchivs NRW Abteilung Rheinland wurde schließlich hier, in dem neuen Archivgebäude in der Schifferstraße in Duisburg eingerichtet. 

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Die allmähliche Öffnung der Archive für „jedermann“ ging konsequenterweise auch mit einem Anstieg der Benutzerzahlen in der Abteilung Rheinland des Landesarchivs NRW beziehungsweise ihren Vorgängerinstitutionen einher. Bis in die 1850er Jahre pendelten sich die Benutzungen bei etwa 60 pro Jahr ein, wobei Anfragen durch Behörden hier noch deutlich überwogen. Im Laufe der Zeit wird die Verlagerung von der amtlichen hin zur privaten Archivnutzung deutlich. So standen 1910 335 Privatnutzungen 88 behördlichen Anfragen gegenüber. Natürlich hatte auch die aktuelle politische Lage großen Einfluss. Besonders offensichtlich wird dies mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933. Da das neue Regime aus rassischen Gründen die Ahnenforschung begünstigte, stiegen die Benutzungen von 725 im Jahr 1932 auf 1.510 im Jahr 1935 um mehr als das Doppelte. Trotz des Krieges wurde die Arbeit im Archiv zunächst fortgesetzt, bis sie 1942 wegen des Terrorangriffs auf Düsseldorf eingestellt werden musste.

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Nach Kriegsende normalisierte sich der Benutzerbetrieb schnell und stieg zunächst sogar stark an, da viele Doktoranden ihre kriegsbedingt unterbrochene Arbeit wieder aufnehmen wollten. Heute verzeichnet die Abteilung Rheinland im Schnitt etwa 5.000 persönliche Benutzungen pro Jahr, hinzu kommt noch ca. 3.000 schriftliche Auskünfte jährlich. Mit den Nutzungsmöglichkeiten änderten sich schrittweise auch die Archivräumlichkeiten.

Öffnung der Archive 

Die Öffnung der Archive für die Allgemeinheit vollzog sich schrittweise. So enthält die 1831 veröffentlichte „Instruction zur Verwaltung des Königlichen Provinzial Archivs zu Düsseldorf“, der Vorgängerinstitution des heutigen Landesarchivs, noch sehr restriktive Benutzungsregeln. Nur mit Einwilligung des Oberpräsidenten, des höchsten Verwaltungsbeamten in den preußischen Provinzen, war eine Akteneinsicht möglich.

Die hier ausgestellte Akte (LAV NRW R BR 2093 Nr. 264 fol. 4) zeigt eine solche Benutzungsgenehmigung durch den Oberpräsidenten der Rheinprovinz Ernst von Bodelschwingh. Er gestattet dem Dr. Johann Friedrich Böhmer, Frankfurter Stadtarchivar, -bibliothekar und Begründer der „Regesta Imperii“, die Einsicht in Kaiserurkunden.

Archivgesetze

Bis in die 1980er Jahre gab es in Deutschland keine Archivgesetze. Das „Volkszählungsurteil“ des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1983 etablierte das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Archive benötigten als Konsequenz aus diesem Urteil eine gesetzliche Grundlage, um weiterhin historisch wertvolle Unterlagen mit personenbezogenen Daten archivieren und somit eine geschlossene Überlieferung garantieren zu können. So begann noch im selben Jahr in Nordrhein-Westfalen die Arbeit an einem Archivgesetz. Die hier ausgestellte Akte zeigt eine Seite aus dem „Vorentwurf eines Gesetzes über die Sicherung und Nutzung öffentlichen Archivguts im Lande Nordrhein-Westfalen“ von 1983 (LAV NRW R NW 1240 Nr. 113). Dieser wird hier dem hessischen Gesetzesentwurf zur Rechten vergleichend gegenübergestellt. Aufgeschlagen ist der Paragraph zur Benutzung des öffentlichen Archivguts, in welchem in Absatz 1 das Recht auf Archivnutzung für grundsätzlich „jedermann“ festgelegt wird. 

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Für Nordrhein-Westfalen trat das Archivgesetz 1989 in Kraft und bildet, von einigen Gesetzesnovellierungen abgesehen, den vorläufigen Abschluss der Entwicklung. Es regelt grundsätzlich das Recht auf Archivbenutzung für jedermann. Dies bedeutet jedoch nicht, dass jede Akte sofort nach ihrer Archivierung zugänglich ist. Archivgesetzliche Schutzfristen regeln den Zugang zu den Unterlagen: Für die Nutzung von Archivgut gilt in der Regel eine Schutzfrist von dreißig Jahren nach Entstehung der Unterlagen. In besonderen Fällen (v. a. personenbezogene Unterlagen) können längere Fristen gelten. Die Schutzfristen können für wissenschaftliche Nutzungszwecke unter besonderen Auflagen verkürzt werden.

Wie kommt die Archivalie zum Nutzer? – Eine Reise durch die Geschichte der Erschließung in der Abteilung Rheinland 

Einfache Recherche im Archiv kann heute auch bequem nach dem Google-Prinzip funktionieren: Begriffe in den Suchschlitz eingeben, mögliche Treffer sichten und auswerten. Aber wie kommen diese Treffer zustande? Dafür ist eine der Kernarbeiten in der Archivarbeit verantwortlich: die Erschließung. Dies meint so viel wie „Aufschließen“ der Archivalie und beinhaltet deren Ordnung und Verzeichnung. Erst durch die Erschließung wird das Archivgut auffindbar und damit auch auswertbar. Die frühesten Formen der Erschließung waren jedoch keineswegs dazu gedacht, um außenstehenden Forschern den Weg zu den Quellen zu erleichtern, sondern erfüllten einen praktischen Zweck. Im Mittelalter war das sorgfältige Aufbewahren der Urkunden zunächst ein Instrument zur Sicherung von Besitz- und Rechtstiteln. Schon früh entstanden erste Kopiare, in denen die Urkundeninhalte chronologisch abgeschrieben wurden, um den Rechtsinhalt zu sichern und die Urkunde zu schonen. Die stetig wachsende Zahl an Urkunden erforderte schließlich die Einrichtung einer Systematik, die auch die Wiederauffindbarkeit der originalen Urkunde gewährleistete. Durch die Vergabe einfacher „Signaturen“ und die Ordnung der Urkunden nach Sachbetreffen war eine eindeutige Identifizierung möglich. Solche künstlich hergestellten Einheiten durch erste „Erschließungsinformationen“ der Urkunden gelten als Keimzelle heutiger archivischer Ordnung und Verzeichnung. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich aus solchen Registern das archivische Findbuch, in dem zu jeder Archivalie in strukturierter Form Verzeichnungsinformationen wie Titel, Provenienz (Herkunft), Signatur und Laufzeit (Datierung) aufgenommen wurden. Mit Hilfe dieser Findbücher wird auch heute in den Archivbeständen recherchiert, allerdings zumeist nicht mehr in physischer Buchform, sondern als elektronisches Findbuch. Den Einfluss der Informationstechnik auf die archivische Arbeit, insbesondere auf die Erschließung und Zugänglichmachung der Bestände, ist dabei hoch. Im Landesarchiv wurde die Erschließung besonders durch die Einführung des ersten Moduls des Verwaltungs-, Erschließungs- und Recherchesystems für Archive (V.E.R.A.) im Jahr 2003 erleichtert. Seitdem werden die Erschließungsinformationen digital erzeugt und können so vielfach nutzbar gemacht werden. Die Geschichte der Erschließung in der Abteilung Rheinland reicht damit von mittelalterlichen Registern zur Rechtssicherung der eigenen Territorialrechte bis hin zu einer für das ganze Landesarchiv eingesetzten Erschließungssoftware, die für alle interessierten Nutzerinnen und Nutzer Rechercheergebnisse bereit hält.

Frühe Ordnungsmerkmale auf der Urkunde

Die Rückseite einer Urkunde kann viel erzählen. Hier findet man Hinweise auf den Inhalt, die Datierung oder auch auf den Aufbewahrungsort – kurz: Erschließungsinformationen. Auf den ersten Blick haben diese oft kryptischen Zeichenfolgen kaum Aussagekraft. Geht man ihnen aber auf den Grund, können sie von der Geschichte der Urkunde berichten und geben Ordnungsspuren ihrer jeweiligen Besitzer bis hin zum Landesarchiv preis. Neben der zeitgenössischen Inhaltsangabe, der Jahreszahl der Urkunde, dem Stempel des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf, eines inhaltlichen Vermerks aus der Franzosenzeit, sowie einem frühneuzeitlichen Vermerk über den Aufbewahrungsort, findet man eine Art Signatur. Diese Signatur ist das sichtbare Ergebnis einer ersten Art der Erschließung in Form des nebenstehenden Archivregisters. (LAV NRW R Kranenburg, Urkunden, Nr. 23, 1354 Dezember 5)

Archivregister des Stifts Kranenburg von 1572

In diesem Archivregister von 1572 taucht die Urkunde als Eintrag wieder auf und wird darin erstmals „erschlossen“. Die Signatur „H 8“ auf der Urkundenrückseite lässt sich zusammengesetzt aus dem Ordnungsbuchstaben „H“ und der Nummer „8“ wiederfinden. Neben der eindeutigen Identifizierung der Urkunden nahm der Schreiber eine sachbezogene Ordnung der Urkunden vor und bildete inhaltliche Gruppen, die jeweils mit einem Großbuchstaben gekennzeichnet wurden. Unter „H“ sammelte der Schreiber Urkunden über die Güter sowie die Einkünfte des Stifts. Selbst in dieser frühen Zeit weist er zudem auf fehlende Signaturen hin und macht deren Verbleib transparent. Dabei nutzt er wie selbstverständlich die Signaturen zur eindeutigen Bezeichnung der Urkunden:

Insgesamt stellt dieses Archivregister für die internen Zwecke eines flächenmäßig überschaubaren Stifts wie Kranenburg bereits eine recht differenzierte Erschließungstechnik dar.

LAV NRW Kranenburg, Stift, Rep. u. Hs. Nr. 1, fol. 90r

Archivisches Findbuch zum Stift Kranenburg 

Im Gegensatz zum Archivregister von 1572 wird die Urkunde „H 8“ in diesem zweiten Teil des Findbucheintrags bereits in einen größeren Ordnungszusammenhang gestellt und für ein breiteres Publikum zugänglich gemacht. Dabei sind die Urkunden nicht mehr nach inhaltlichen Kriterien geordnet (Pertinenzprinzip), sondern der Entstehungszusammenhang und die Herkunft der Unterlagen ist maßgebend für die Ordnung der Bestände (Provenienzprinzip). Der Wechsel dieser Prinzipien erfolgte im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf ab 1902 mit dem Umzug in ein größeres Archivgebäude.

Diese Art der Erschließung erfüllte aber keinen rechtssichernden Zweck mehr, da das Stift 1802 durch die Franzosen säkularisiert wurde, sondern diente als Find- und Erschließungsmittel für die Nutzer und Mitarbeiter des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf.

LAV NRW R Findbuch 121.33.1, Stift Kranenburg-Zyfflich, fol. 27r (ca. 1955-1965)

Archivische Erschließung Heute

Die Urkunde ist in der Erschließungstechnik der Gegenwart angekommen. In der Verzeichnungsmaske auf der rechten Seite sieht man die aufgenommenen Informationen zur einzelnen Urkunde mit Regest (Inhaltsangabe), Angabe der Sprache sowie dem Hinweis auf einen Rückvermerk. Mittig wird ihre Einordnung in den Bestand bzw. in das Findbuch angezeigt, während die linke Spalte die Verortung des Bestandes in die Gesamtordnung aller Bestände (Tektonik) des Landesarchivs NRW, Abteilung Rheinland darstellt. Durch den Einsatz von Erschließungssoftware sind auf diese Weise alle Erschließungsinformationen miteinander vernetzt und übergreifend recherchierbar. Unsere Urkunde aus dem kleinen Gebiet im nordwestlichsten Zipfel von NRW ist somit im Laufe der Geschichte zum Bestandteil eines riesigen Datennetzes nahezu aller staatlich überlieferten Archivalien aus dem Rheinland seit Beginn der Schriftlichkeit geworden.

Die Bestände der Abteilung Rheinland des Landesarchivs NRW 

Die Bestände der Abteilung Rheinland umfassen annähernd 90 Regalkilometer und reichen zeitlich vom frühen Mittelalter bis in die Gegenwart. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden zunächst die Archive der ehemals selbstständigen Landesherrschaften wie z. B. Kurköln, Jülich-Berg oder Kleve-Mark in einem Provinzialarchiv zentralisiert. Archivwürdige Unterlagen der Verwaltungs-, Finanz- und Justizbehörden werden von Beginn der preußischen Herrschaft (1815) an bis zur Gegenwart archiviert. Mit der Gründung des Landes NRW wurde die Abteilung Rheinland mit dem Sitz des damaligen Hauptstaatsarchivs in Düsseldorf auch für die Überlieferung der obersten Landesbehörden zuständig. 

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Auch das Personenstandsarchiv Rheinland ist Teil der Abteilung Rheinland. Schwerpunkt der Überlieferung sind hier die Zweitschriften der Zivil- und Personenstandsregister, sowie Duplikate von Kirchenbüchern. In Ergänzung zum staatlichen Schriftgut, werden nichtstaatliche Unterlagen wie z.B. Nachlässe, Vereins- und Verbandsschriftgut von der Abteilung Rheinland archiviert. Zudem gibt es nichtschriftliche Unterlagen wie z. B. Fotos, Filme, Luftbilder, Karten und Pläne.

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Die Abteilung Rheinland ist regional für die heutigen Regierungsbezirke Düsseldorf und Köln zuständig. Die Überlieferung der obersten Behörden bezieht sich auf ganz NRW. Vom anfallenden Schriftgut der Verwaltung wird insgesamt nur ein kleiner Teil pro Jahr übernommen. Durch Bewertung werden archivwürdige Unterlagen ausgewählt, die für die Ewigkeit aufbewahrt werden sollen. Durch die Erschließung werden die Bestände der Forschung und interessierten Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung gestellt. Mit dem Umzug der Abteilung Rheinland nach Duisburg sind die Bestände erstmals in einem Archivgebäude zentralisiert. In der Vergangenheit gab es mehrere Außenmagazine und Evakuierungen des Archivguts zu Kriegszeiten. Mit zunehmender Digitalisierung der Verwaltung steht auch die Abteilung Rheinland vor neuen Herausforderungen. Bereits heute entstehen in den Behörden und Einrichtungen elektronische Unterlagen. Die analogen Papierbestände werden zunehmend durch die Archivierung von elektronischen Akten, Fachverfahren, Datenbanken und Webseiten in einem digitalen Archiv ergänzt.

Elektronische Unterlagen 

Das digitale Zeitalter hat zu einer Umgestaltung der Informationsverarbeitung und Schriftgutverwaltung in den Behörden geführt, die sich auch auf die Arbeit des Landesarchivs einschneidend auswirkt. Elektronische Systeme unterstützen nahezu alle Arbeitsvorgänge in Justiz und Verwaltung. Die Informationen, die auf diesem Wege entstehen, werden in analoger Form vielfach überhaupt nicht mehr vorgehalten. Sie mittel- wie langfristig zu sichern und zugänglich zu halten ist für Behörden wie Archive gleichermaßen eine Herausforderung – andernfalls droht der modernen Informationsgesellschaft ein Gedächtnisverlust von erheblichem Ausmaß. Gängige Formate und Datenträger, wie der hier ausgestellte USB-Stick, haben eine begrenzte Lebensdauer und eignen sich nicht zur dauerhaften Erhaltung.

Im Rahmen des spartenübergreifenden Lösungsverbunds Digitales Archiv NRW setzt das Landesarchiv NRW ein serverbasiertes Archivierungssystem für elektronische Unterlagen ein, das dem internationalen OAIS-Standard entspricht und laufend weiterentwickelt wird.

Archivbau – Eine Kunst für sich

Laut einer seit Jahren im Internet kursierenden, aber unwahren Geschichte versinkt die Bibliothek der Universität Indiana jedes Jahr 3 cm im Boden, weil der Architekt vergessen hatte, das Gewicht der Bücher bei der Planung einzuberechnen. Solche Fehlplanungen hat es in der Geschichte der Abteilung Rheinland nicht gegeben, jedoch standen die Archivarinnen und Archivare mehrmals vor der Herausforderung, einen Archivbau zu planen und die Bestände umzuziehen. Der Umzug eines Archivs stellt einen hohen organisatorischen Aufwand dar. Es darf kein Archivgut im alten Gebäude vergessen werden, und auch die Einlagerung in das neue Magazin muss sehr sorgfältig vonstatten gehen. Eine an den falschen Platz gelegte Archivale findet man möglicherweise nie wieder. Daher ist es mit einer Kiste, Truhe oder einem Schrank, in denen im Mittelalter die Landesherren ihre Urkunden verwahrten, längst nicht mehr getan.

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Eine wesentliche Herausforderung ist die Statik von Archivbauten. Archivgut ist schwer und bedarf eines stabilen Magazingebäudes, bei vielen Archiven lastet auf einem Quadratmeter Magazinfläche das Gewicht von mehreren hundert Kilogramm. Aber die Archivalien fordern einem Zweckbau noch viel mehr ab: Das fängt bei der Suche nach einem geeigneten Standort an, der möglichst sicher vor Hochwasser und anderen potentiellen Gefahren sein sollte. Der Magazinbau selbst muss ein stabiles und für die dauerhafte Lagerung von Archivgut geeignetes Klima gewährleisten. UV-Licht, Wasserleitungen und brennbare Materialien im Magazinbereich sind bei der Planung zu vermeiden. All diese Faktoren machen Archivbau zu einem Unterfangen, das genaue Planung und die Zusammenarbeit von Archivar*innen, Architekt*innen und Ingenieur*innen voraussetzt.

1822 – Von verderblicher Feuchtigkeit und modernden Archivalien

Als 1832 das Preußische Provinzialarchiv gegründet wurde, gab es keinen Bau für dessen Unterbringung. Stattdessen lagerten die Archivalien im damaligen Regierungsgebäude der Bezirksregierung Düsseldorf, einem ehemaligen Kloster. Die Lagerbedingungen waren dort nicht optimal.

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In der hier vorliegenden Akte (LAV NRW R BR 2093 Nr. 344, Blatt 1r) berichtet der erste Leiter des Provizialarchivs, Theodor Joseph Lacomblet (1789-1866) der Regierung Düsseldorf bereits 1822 von der „verderblichen Feuchtigkeit und der daraus entsprungenen modernden Lage der Archivalien“ und bittet um andere Räume. Diese werden ihm auch innerhalb des Gebäudes gewährt, jedoch ersetzte dies keinen geeigneten Zweckbau. Dieser sollte erst 1875 entstehen.

1875 – Der erste Zweckbau 

Bedingt durch den erhöhten Raumbedarf der Katasterverwaltung ab 1860 wurde der Umzug des Archivs in einen Neubau beschlossen. Dieser entstand in der Josephinenstr. 8 auf einem Hinterhof des heutigen Justizministeriums und wurde 1875 bezogen. Der Bau ist 20 m breit und geht 40 m in die Tiefe und hatte weitreichende Sicherheitsmaßnahmen für das Magazin: Gewölbte Decken und asphaltierte Magazinräume schützten vor Feuer. Auch der Schutz vor Dieben war gut: In jeder Etage des zweistöckigen Gebäudes gab es nur eine Zugangstür zum Magazin, was eine gute Zugangskontrolle ermöglichte. (Foto: Lukas W. Petzolt (2016))

1902 – Kriminelle Umzugshelfer 

Nach nicht mal einem Jahrzehnt im Dienst waren die Kapazitäten des Gebäudes an der Josephinenstraße bereits erschöpft, da immer mehr Behörden das Archiv zur Abgabe ihrer Akten nutzten. Da der Bau von 1875 aber nicht erweitert werden konnte, musste ein Neubau her, welcher an der Ecke Prinz-Georg-Straße/ Stockkampstraße in Düsseldorf errichtet und 1902 bezogen wurde.

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In der hier ausgestellten Akte (LAV NRW R BR 2093 Nr. 352, Blatt 4r) ordnet die Bezirksregierung für den Umzug an, „die erforderliche Anzahl an Gefangenen zur Verfügung zu stellen“. Die wertvollen Archivalien für den Umzug Gefangenen anzuvertrauen ist dabei kein einmaliges Vorgehen. Auch in der jüngeren Vergangenheit, beim Bezug des Technischen Zentrums in Münster, bediente man sich der Muskelkraft inhaftierter Straftäter.

1975 – Kennedydamm oder Mauerstraße? 

Nachdem das Gebäude an der Prinz-Georg-Straße bereits in den 1930er Jahren an seine Kapazitätsgrenzen geriet, wurde schnell der Bedarf eines Neubaus offensichtlich. Auch war das alte Gebäude nur für 10 Mitarbeiter*innen ausgelegt. Der 2. Weltkrieg vereitelte zunächst alle Neubau-Pläne. Nach dem Krieg musste sich das Hauptstaatsarchiv mit Außenmagazinen behelfen: So wurde 1961 Schloss Kalkum bei Düsseldorf zu einem Zweigarchiv ausgebaut. Zeitgleich plante man einen Neubau. Der Neubau entstand zwischen 1972 und 1974 in der Nähe an der Mauerstraße. Er wurde 1975 bezogen und bot Platz für 55 Regalkilometer. Nach dem Auszug der Abteilung Rheinland 2014 nutzt seit 2015 das Historische Archiv der Stadt Köln provisorisch das Archivgebäude an der Mauerstraße.

Archivtechnik

Unter dem Begriff „Archivtechnik“ versteht man alle technischen Vorkehrungen und Maßnahmen, die für eine sachgerechte Aufbereitung, Lagerung, Sicherung und Benutzung von Archivalien erforderlich oder zweckmäßig sind. Das Landesarchiv NRW ist durch das Archivgesetz NRW verpflichtet, Schriftgut durch die Ergreifung geeigneter Maßnahmen zu erhalten und zu schützen.

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Speziell die Bestandserhaltung hat im Laufe der Jahre eine erhebliche Entwicklung durchlaufen. Sie passte sich immer wieder dem technischen Wandel an. Bis zum Zweiten Weltkrieg konzentrierte sich die Abteilung Rheinland überwiegend auf die Restaurierung von Einzelstücken. Als im Rahmen der kriegsbedingten Auslagerung von Archivalien der Kahn „Main 68“ im Hafen von Hannover bombardiert wurde, ausbrannte und versank, musste sich die Restaurierung zwangsläufig mit dem Massenproblem „Kahnakte“ befassen. Mitte der 1970er Jahre erkannte man auch in der Politik den Wert der „Kahnakten“ und stellte größere finanzielle Mittel zu deren Restaurierung bereit. Eine Vielzahl an Kahnakten konnte tatsächlich restauriert werden und ist heute wieder für die Benutzung zugänglich.

Etwa zeitgleich wurde es möglich, den Beruf des Restaurators/ der Restauratorin im Rahmen eines Hochschulstudiums zu erlernen, was die fortschreitende Professionalisierung dieses Tätigkeitsfeldes hervorhebt. Eine weitere Professionalisierung erfuhr die Bestandserhaltung im Landesarchiv 2005 mit der Einrichtung des Technischen Zentrums (TZ) in Münster-Coerde. Das TZ kümmert sich zentral für das gesamte Landesarchiv um die Grundsätze der Bestandserhaltung.

Restauratorische Arbeiten werden sowohl im TZ, als auch an den einzelnen Standorten des Landesarchivs durchgeführt. In Münster-Coerde hat seit 2005 auch das IT-Zentrum des Landesarchivs seinen Sitz.

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Zur Archivtechnik zählen auch die verschiedenen Möglichkeiten zur Reproduktion von Archivgut, u. a. die Herstellung von Reprografien auf Mikrofilmen oder Mikrofiches, die bis heute im Lesesaal genutzt werden. Seit den 1950er Jahren werden Archivalien der Abteilung Rheinland auch im Rahmen der Bundessicherungsverfilmung zum Erhalt von Kulturgut auf Mikrofilm vervielfältigt. Der zukunftsweisende Weg liegt in der Digitalisierung: Schon seit vielen Jahren wird im Landesarchiv NRW Archivgut digitalisiert. Nutzerinnen und Nutzer können die Digitalisate über PC-Arbeitsplätze im Lesesaal einsehen, bzw. zum Teil auch über das Internetportal „Archive in NRW“ bequem von zu Hause nutzen. Digitalisate bieten dabei neben der Nutzerfreundlichkeit auch einen nachhaltigen Schutz vor Schäden am Archivgut.

Kahnakten

Die sogenannten „Kahnakten“ befanden sich im Zuge der kriegsbedingten Auslagerung von Archivalien auf dem Lastkahn „Main 68“, die 1945 im Hafen von Hannover bombardiert wurde und mitsamt seiner Ladung versank.

Hier ist eine noch nicht restaurierte und identifizierte Kahnakte aus den Beständen der Abteilung Rheinland zu sehen.

Das Archiv in der Öffentlichkeit

Um das Archivgut allen Interessierten zugänglich zu machen, gehört es zur Tradition der Abteilung Rheinland, die hier verwahrten Akten der Behörden und Institutionen aus vielen Jahrhunderten in Ausstellungen, Führungen, Vortragsreihen und Publikationen historisch aufzuarbeiten. In neuerer Zeit reihen sich auch digitale Projekte in diese Liste ein. Die erste Veröffentlichung über einen Teil des Archivguts fertigte der erste Leiter des Preußischen Provinzialarchivs in Düsseldorf, Theodor Joseph Lacomblet, an.

Frühe Publikationen

Theodor Joseph Lacomblet war der Gründer und erste Leiter des preußischen Provinzialarchivs in Düsseldorf, der Vorgängerinstitution der heutigen Abteilung Rheinland des Landesarchivs NRW. In seinem Urkundenbuch sind die in der Regel lateinischen Texte der Urkunden des Archivs abgedruckt. Darüber steht jeweils eine kurze Zusammenfassung des Inhalts (Regest) in Deutsch. Lacomblets vierbändiges Werk ist die erste Veröffentlichung über das Archivgut des heutigen Landesarchivs.

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Mindestens seit den 1930er Jahren wurden Führungen für Schulklassen und Studierendengruppen durchgeführt. Heutzutage öffnet das Archiv auch zu besonderen Kulturevents wie dem Tag der Archive oder der Extraschicht seine Tore und gewährt den Besucherinnen und Besuchern einen Blick in die Archivmagazine.

Archivführungen

Bereits seit den 1940er Jahren wurden Schulklassen durch das Archiv geführt. Dabei prüften die damaligen Archivar*innen das Wissen der Besucher über mittelalterliche und frühneuzeitliche Geschichte und nicht immer fiel das Urteil so gut aus, wie hier bei der Unterprima (Jahrgangsstufe 12) des Düsseldorfer St. Ursula Gymnasiums.

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Darüber hinaus veranstaltet die Abteilung Rheinland seit etwa fünfzig Jahren regelmäßig Ausstellungen oder beteiligt sich an solchen und gibt dazu Ausstellungskataloge heraus. Seit 1947 veröffentlicht das Landesarchiv die Zeitschrift „Archivar“, die führende deutsche Fachzeitschrift für das Archivwesen.

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Doch das Landesarchiv ist nicht nur traditionsbewusst, sondern weiß auch die moderne Technologie zu nutzen. Im Internet auf www.lav.nrw.de kann man die Bestände der Abteilungen des Landesarchivs durchsuchen und Digitalisate der Archivalien einsehen. Neuigkeiten über das Landesarchiv und seine Abteilungen finden Interessierte darüber hinaus auf Facebook und Instagram (@landesarchivnrw).

Credits: Story

Alle verwendeten Bilder stammen aus dem Landesarchiv Nordrhein-Westfalen.

Credits: All media
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