"„Die Einheit des Glaubens
darf nicht nur proklamiert, sie muß auch gelebt werden.“
Reinold von Thadden-Trieglaff (Quelle: DO 4/1988)"
Der Präsident des DEKT Dr. Reinold von Thadden-Trieglaff begründet vor der DDR-Regierung am 24.11.1953 die Wahl des Tagungsortes Leipzig mit der starken Beteiligung der evangelischen Christen aus der DDR am Kirchentag in Hamburg.
Eröffnungsgottesdienst auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig, 7. Juli 1954 | BArch, Bild 183-25414-0022 / o.Ang.
Im Juli 2014 jährt sich der 6. Deutsche Evangelische Kirchentag zum 60. Mal.
Er wurde vom 7. bis 11. Juli 1954 unter dem Motto „Seid fröhlich in Hoffnung“ (Röm 12,12) in Leipzig durchgeführt und fand somit als einziger gesamtdeutscher Kirchentag auf dem Territorium der DDR statt. Er kann mit 60.000 angemeldeten Dauerteilnehmern und mehr als 500.000 Besuchern der Hauptversammlung, dem Schlussgottesdienst auf der Rosentalwiese, als der größte Deutsche Evangelische Kirchentag bezeichnet werden.
Das Motto „Seid fröhlich in Hoffnung“ (Römer 12,12), „geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet“ greift ein biblisches Thema v.a. der Johannes-Apokalypse auf. Hier geht es um die Eschatologie, der Lehre von den letzten Dingen. 179 Veranstaltungen widmeten sich diesem Thema.
Die Tatsache, dass die Veranstaltungen des 6. DEKT erstmalig nur auf dem Territorium der DDR durchgeführt werden sollten, stellte bereits bei der Vorbereitung die kirchlichen Gremien, die DDR-Regierung, die SED, Sicherheitskräfte und regionale staatliche Institutionen vor einige Herausforderungen. Am 19.3.1954 fiel die Entscheidung zur Durchführung des 6. DEKT durch die DDR-Regierung, obgleich in Kirchenkreisen bekannt war, dass bereits das 2. Deutschlandtreffen der FDJ zu Pfingsten in Leipzig oder Berlin geplant war. Vereinbart wurde, „dass auf den Veranstaltungen nichts geschieht, was im Widerspruch zur Friedenspolitik der Regierung der DDR steht...“.
Die Einladung erfolgte durch die Sächsische Landeskirche. Trotz Regens (Hochwasser) während des gesamten Kirchentages, der kurzen Vorbereitungszeit von 8 Wochen nach Genehmigung und des schwierigen politischen Hintergrundes konnte diese 6. Großveranstaltung der evangelischen Christen in der Stadt Leipzig und den Kirchen der Umgebung stattfinden und für jeden Teilnehmer zu einem bewegenden Erlebnis werden.
Den Vorsitz des DEKT mit Sitz in Fulda übte der Präsident Reinold von Thadden-Trieglaff aus, der mit Freunden nach dem 2. Weltkrieg die Kirchentagsbewegung mit dem volksmissionarischen Anliegen, evangelische Laien in das neue Staatswesen einzubinden, ins Leben gerufen hatte. In seinem Schlusswort auf der Hauptversammlung des 6. DEKT, zu der die Mehrzahl der Teilnehmer von außerhalb nach Leipzig kam, wies von Thadden erneut auf den gesamtdeutschen Charakter des Kirchentages hin.
Nach der festeren Einbindung beider deutscher Staaten in die gegnerischen Bündnissysteme Mitte der 1950er Jahre rückte die deutsche Einheit in weite Ferne.
Die Bedingungen für die Teilnahme von DDR-Bürgern an den nächsten Kirchentagen in Frankfurt 1956, in München 1959 und Berlin 1961 wurden immer schwieriger und die politische Auseinandersetzung nun auch öffentlich. Der Berliner Kirchentag wurde mit mehreren Gottesdiensten in beiden Teilen Berlins eröffnet, jedoch mit fehlendem Raum für Diskussionen.
Nach dem Mauerbau 1961 fanden in der DDR eigene Kirchentage statt.
Somit blieb der 6. DEKT der letzte gesamtdeutsche Kirchentag bis zur deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990.
Aufenthaltsgenehmigung für westdeutsche Delegierte, 24. April 1954 | BArch DO 4/1990
Die Volkspolizei registrierte insgesamt die Teilnahme von 345 Ausländern (v.a. aus den Niederlanden, der Schweiz, Dänemark, den USA, Frankreich, Schweden und England), 9.716 Westdeutschen und 741 Westberlinern. Ca 15.000 Teilnehmer aus dem Westen und 50.000 Dauerteilnehmer (Delegierte der Evangelischen Gemeinde, den Religionsgemeinschaften und der Jungen Gemeinde) aus der DDR wurden erwartet.
Für jeden Teilnehmer des DEKT wurden Teilnehmerkarten ausgestellt. Diese galten für Westdeutsche und Westberliner gleichzeitig als Aufenthaltsgenehmigung in der DDR.
Teilnehmerplakette, 1954 | BArch DO 4/1988
Da man mit Übernachtungen von 50.000 Dauergästen in Leipzig rechnete, wurde die Leipziger Bevölkerung, die in Unterbringungsfragen durch die Leipziger Messen erprobt ist, zur Bereitstellung von Privatunterkünften aufgerufen. Am Ende nahm jeder zweite Haushalt einen Kirchentagsteilnehmer auf.
Unter Mitwirkung der Staatlichen Kommission wurde zwischen dem Quartiernachweis der Stadt Leipzig und dem Vorbereitenden Ausschuss des Kirchentages ein Vertrag zur Quartierwerbung mit der Absicht geschlossen, alle Kirchentagsteilnehmer in Privatquartieren unterzubringen. Für die ausländischen Teilnehmer war vertraglich festgelegt, dass sie in Hotels untergebracht werden sollten. Allerdings wurden nicht einmal 104 Hotelquartiere bezogen, da die Ausländer zum Einzug in von der Kirchenleitung ausgesuchten Privatquartieren angehalten wurden.
Obwohl die DDR-Bevölkerung zu dieser Zeit ihre Lebensmittel noch über Karten bezog, lehnte die DDR-Regierung das Angebot der Verpflegungslieferungen aus der Bundesrepublik ab und übernahm selbst die Verantwortung für die Versorgung.
Die Sicherstellung des Transports der Kirchentagsteilnehmer übernahmen die Deutsche Reichsbahn und die Volkspolizei. Zum Abschluss-Sonntag wurden insgesamt 19.510 Personen in 26 Sonderzügen nach Leipzig befördert. In den Abendstunden brachten 53 Sonderzüge die Kirchentagsteilnehmer in Richtung DDR und Westdeutschland. 12 weitere Sonderzüge brachten die Gäste bis zum 12.7.1954 mittags in ihre Heimatorte zurück.
Die Teilnehmer des Deutschen Evangelischen Kirchentages treffen mit Sonderzügen auf dem Leipziger Hauptbahnhof ein, 7. Juli 1954 | BArch, Bild 183-25414-0002 / o.Ang.
Entwurf für Quartierwerbung und -anmeldung, 12. April 1954 | BArch DO 4/1990
Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des ZK der SED, 5. Mai 1954 | BArch DY 30/J IV 2/3
Das Politbüro des ZK der SED beschäftigte sich von Januar bis Juli 1954 auf vier Sitzungen mit dem 6. DEKT in Leipzig. Die SED lehnte Bitten des Ost-CDU-Parteivorstandes, allen kirchlichen Beschwerden nachzugehen sowie als „einen Akt besonderer Freundlichkeit“ z.B. den Bau einer Kirche in der gerade errichteten Siedlung Stalinstadt (später Eisenhüttenstadt) zu prüfen, ab und beschloss einen Maßnahmenkatalog als Propagandastrategie:
- Beeinflussung der Kirchentagsteilnehmer durch Partei und Massenorganisationen, „damit die humanistischen Ziele der Nationalen Front und der Weltfriedensbewegung durch den Kirchentag Unterstützung finden"
- Organisation einer Großveranstaltung, zu der kirchliche ausländische Persönlichkeiten wie der Dekan von Canterbury durch den Friedensrat zu bitten sind, „einen Appell an die Christen zu richten, aus ihrer christlichen Verantwortung gegen die Anwendung der Atomenergie zu Massenvernichtung-zwecken zu protestieren"
- "Der Friedensrat sorgt dafür, dass die aus Westdeutschland anreisenden Kirchentagsteilnehmer an den Übergangsstellen zur DDR von fortschrittlichen Christen begrüßt werden."
- "Die Schaufenster der HO (Einkaufsläden der Handelsorganisation) und des Konsum sowie der privaten Einzelhändler sollen durch bildliche oder gegenständliche Darstellung die aufsteigende Entwicklung in unserer Republik zum Ausdruck bringen. Zur Zeit des Kirchentages muss in Leipzig ein reiches Warenangebot vorhanden sein. Die zur Auslage kommenden Waren müssen den neuesten Stand unserer Produktion aufzeigen."
(Inhalte aus dem Protokoll der Sitzung des ZK der SED vom 5. Mai 1954)
Des weiteren sollten größere Ausstellungen, Kurzfilme mit wirtschaftspolitischen, kulturellem Inhalt und Kultur-veranstaltungen (u.a. Thomaner- und Kreuzchor) durchgeführt werden.
Die Bildung eines Arbeitskomitees wurde beschlossen. Leipzig sollte für eine Woche für materiellen und geistigen Reichtum in der DDR, für Weltoffenheit, Freude und Stolz der Bevölkerung stehen.
Die SED sorgte auch dafür, dass in der DDR-Presse aus-schließlich Meldungen der staatlichen Presse-Agentur ADN erschienen.
Ausstellung des Kreisfriedensrates für eigene Propagandazwecke, 7. Juli 1954 | BArch, Bild 183-25414-0025 / Illner
Aufbau von Kirchenglocken vor dem Leipziger Hauptbahnhof, 6. Juli 1954 | BArch, Bild 183-25398-0001 / Illner
Auf der Abschlussveranstaltung zum Kirchentag im Leipziger Zentralstadion am 11. Juli 1954 läuteten auf mehren Stahlgerüsten aufgehängte Glocken den Gottesdienst ein. Einer dieser Glockenstühle dient heute noch der evangelischen Friedensgemeinde in Eisenhüttenstadt als Glockenturm mit drei im Jahre 1954 in Apolda gegossenen Glocken. Zur Zeit des Kirchentages stand der Gemeinde nur eine Baracke zur Verfügung. Es gab viele Auseinandersetzungen, waren doch durch Walter Ulbricht keine Kirchtürme in seiner sozialistischen „Planstadt“ Stalinstadt vorgesehen. Das heutige evangelische Kirchengebäude und das Gemeindezentrum in der Neustadt wurden erst nach 1976 auf Grund des langjährigen Einsatzes des Pfarrers Heinz Bräuers erbaut.
Antrag zur Genehmigung für die Ein- und Ausfuhr von Glockenstühlen, 5. Mai 1954 | BArch DO 4/1990
Im Ergebnis des Besuchs einer Kirchendelegation unter Leitung des Präses der Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) Gustav Heinemann, die auf Einladung der russisch-orthodoxen Kirche drei Wochen in Moskau weilte, überlässt die UdSSR nicht ohne politisches Interesse dem DEKT den sowjetischen Pavillon auf dem Ausstellungsgelände in Leipzig. Ein ungewöhnlicher Tagungsort für die größte Arbeitsgruppe des Kirchentages, handelte es sich hier doch völkerrechtlich um exterritoriales Gelände.
Nutzung des sowjetischen Pavillons auf dem Kirchentag, 17. Juni 1954 | BArch DY 30/ IV 2/14
Der sowjetische Pavillon auf dem Messegelände war Tagungsort der größten Arbeitsgruppe I 9. Juli 1954. | BArch, Bild 183-25414-0049 / o.Ang.
Plan des Messegeländes, Juli 1954 | BArch DO 4/1991
Auszug aus dem Bericht der Volkspolizei Leipzig, 11. Juli 1954 | BArch DO 4/1889
Vertreter der DDR und Kirchenvertreter aus Ost und West bei der Eröffnungsfeier auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig, 7. Juli 1954 | BArch, Bild 183-25414-0026 / o.Ang.
Dankestelegramm an den Volkskammerpräsidenten der DDR Johannes Dieckmann, 12. Juli 1954 | BArch DA 1/3482
Quellen der Ausstellung—DA 1 Volkskammer der DDR | DO 4 Staatssekretär für Kirchenfragen | DY 30 Sozialistische Einheitspartei Deutschlands | Bild 183 Allgmeiner Deutscher Nachrichtendienst - Zentralbild
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