Gustav Klimt - Die Fakultätsbilder

Von Google Arts & Culture

Verfasst von Dr. Franz Smola

Universität Wien (after 1900) von Paul LedermannÖsterreichische Nationalbibliothek

Bei den sogenannten Fakultätsbildern handelt es sich um Auftragswerke, die Gustav Klimt zusammen mit seinem Kollegen Franz Matsch für die Wiener Universität anfertigte. Gewünscht waren fünf Gemälde, die die Decke des großen Festsaals der Universität schmücken sollten. Die Uni Wien hatte damals vier Fakultäten. Jede der Fakultäten sollte ein Bild erhalten, das diese allegorisch, also in übertragener bildlicher Form, darstellt. Zusätzlich sollte noch ein Mittelbild für die Decke angefertigt werden.

Gemälde 'Allegorie der Medizin' von Gustav Klimt (nach 1901) von Moriz NährÖsterreichische Nationalbibliothek

Die beiden Künstler teilten sich den 1894 erhaltenen Auftrag folgendermaßen auf: Matsch sollte das große Mittelbild und das Fakultätsbild der „Religion“ malen, Klimt sollte sich den Fakultätsdarstellungen „Philosophie“, „Medizin“ und „Jurisprudenz“ widmen. Aus nicht näher bekannten Gründen begann Klimt erst 1898 mit der Arbeit an den jeweils über vier Meter hohen Gemälden. Aufgrund ihrer enormen Größe mietete Klimt für die Ausführung der Bilder sogar ein weiteres Atelier an, wo die Räume hoch genug waren, um so große Werke ausführen zu können.

Klimts Interpretationen der Werke waren voll von Aktdarstellungen jeglicher Art. Dabei handelt es sich nicht nur um junge Frauen, sondern auch um kämpfende Männer oder alte Menschen, wie die zusammengekauerten beiden Figuren eines alten Mannes und einer alten Frau auf dem Bild "Die Philosophie". Auch Babys oder - sehr ungewöhnlich in dieser Zeit - schwangere Frauen, aber auch ein Skelett,  gehören dazu.

Gemälde 'Philosophie' von Gustav Klimt (um 1900) von Moriz NährÖsterreichische Nationalbibliothek

Diese Darstellungen nutzt Klimt um zum Beispiel in der "Philosophie" die Menschheit darstellen zu können oder in der Medizin auf die Fülle des Lebens und Konzepte wie die männliche Kraft oder aber Krankheit und Leiden zu verweisen.  Für viele dieser Figuren haben sich minutiöse Bleistiftstudien, die der Künstler zur Vorbereitung fertigte, erhalten.

Daneben gibt es allegorische Darstellungen der Kernthemen der Bilder, wie zum Beispiel eine Sphinx, die die Philosophie repräsentiert ... 

Hygieia, Ausschnitt aus dem Bilde "Medizin" nach Gustav Klimt, Tafel 10, Gustav Klimt - Die Nachlese (1931) von Gustav KlimtMAK – Museum für angewandte Kunst

... oder die Gestalt der Hygieia, die in der griechischen Mythologie als die Göttin der Medizin verehrt wurde, und diese so verkörpert.

Jurisprudenz (1898-1903, bis 1907 geringfügig überarbeitet) von Gustav KlimtBelvedere

Etwas anders aufgebaut als "Die Philosophie" und "Die Medizin" ist "Die Jurisprudenz": Hier werden weniger und großformatige Figuren für die Darstellung genutzt. Klimt wählte eine Gerichtsszene, bei der ein alter nackter Mann als Angeklagter vor ein Tribunal zitiert wird.

Vor ihm ragt ein riesiges, krakenartiges Wesen auf, das ihn mit seinen Fangarmen gefesselt hält, was die Macht des Schicksals symbolisieren könnte. 

Hinter dem Angeklagten tauchen drei nackte, weibliche Gestalten auf, die von Kritikern in Klimts Zeit als Rachegöttinnen interpretiert wurden.

In der obersten Bildzone erscheinen vor einer ornamentierten Wand drei weitere weibliche Gestalten, es sind die Personifikationen von Gerechtigkeit, Gesetz und Wahrheit. Die große Distanz zwischen ihnen und dem Angeklagten illustriert augenscheinlich die Mängel der Gerichtsurteile und der Rechtsprechung.

14. Ausstellung der Wiener Secession (1902) von Moriz NährÖsterreichische Nationalbibliothek

Geschickt nutzte er die gemeinsamen Secessionsausstellungen, um seine Fakultätsbilder unter großer Beachtung der Presse der Öffentlichkeit vorzustellen. Die Bilder verursachten Skandale und lösten so aber auch gleichzeitig einen großen Ansturm von Besuchern aus.

99. Ausstellung der Wiener Secession (1928) von Handwerkliches Lichtbild Julius ScherbÖsterreichische Nationalbibliothek

Bei der Präsentation der "Philosophie" 1900 empörten sich auch Professoren der Wiener Universität, für deren Festsaal das Bild bestimmt war. Für sie hatte Klimts Darstellung nichts mit der Bedeutung von Philosophie gemein, wie sie es verstanden. In ihren Augen hatte sich Klimt über die Materie der Philosophie vielmehr lustig gemacht. 

Gustav Klimts Fakultätsbild „Medizin“ im Hauptraum der Secession (1901)Secession

Bei der Ausstellung der "Medizin" im Folgejahr involvierten sich auch Politiker: Konservative Vertreter kritisierten heftig den Unterrichtsminister, der Klimt beauftragt hatte, und forderten dessen Rücktritt. Zudem wurden die Hefte der sechsten Ausgabe der Secessionszeitschrift Ver Sacrum, worin Bleistiftstudien zum Gemälde „Die Medizin“ veröffentlicht waren, mit der Begründung konfisziert, dass sie die öffentliche Sittlichkeit gefährdeten. Die Beschlagnahmung wurde allerdings kurze Zeit später wieder aufgehoben.

Schwebende mit ausgestrecktem linkem Arm (Studie für den 1. Zustand von "Die Medizin") (c. 1900-1901) von Gustav KlimtAlbertina Museum

Die Fakultätsbilder wurden sicher wegen ihrer schonungslosen Aktdarstellungen kontrovers aufgenommen. Gustav Klimt thematisierte Erotik und Sexualität in einer Deutlichkeit, wie dies in Wien bislang niemand gewagt hatte und schreckte unter anderem vor Aktdarstellungen greiser Menschen und hochschwangerer Frauen nicht zurück.

The Art of Painting (1666/1668) von Jan VermeerKunsthistorisches Museum Wien

Gleichzeitig war es problematisch, dass der Künstler den Begriff der Allegorie auf ungewohnte Art und Weise interpretierte. In der Regel waren allegorische Darstellungen positive und idealisierende Abbildungen einer Idee, wie zum Beispiel in Jan Vermeers “Die Malkunst”. Klimts Bilder hingegen sind kaum idealisierend. Die endlos wirkenden Menschenströme in den Fakultätsbildern veranschaulichen vielmehr das Ausgesetzt-Sein der Menschen in einer unkontrollierbar erscheinenden Welt. Sie interpretieren die Menschheit als willenloses Werkzeug dunkler Mächte. Dadurch bringen sie einen allgemeinen Pessimismus zum Ausdruck.

Universität Wien (after 1900) von Paul LedermannÖsterreichische Nationalbibliothek

Nachdem sich die Wiener Universität gegen Klimts Bilder ausgesprochen hatte, wurde beschlossen, diese nicht wie geplant an der Decke des Festsaals der Universität anzubringen. Das Ministerium plante in der Folge, die Werke der neu gegründeten staatlichen Modernen Galerie zu übereignen.

Gustav Klimt am Attersee (1904) von Moriz NährKlimt-Foundation

Doch Klimt lehnte diesen Plan vehement ab: Er war unzufrieden über die mangelnde Wertschätzung und schlug stattdessen vor den Auftrag rückgängig zu machen und das für die Bilder bereits entgegengenommene Honorar dem Ministerium zurückzuzahlen. 

Berta Zuckerkandl-Szeps (1908) von Atelier Madame d'OraÖsterreichische Nationalbibliothek

Dies wurde auch in der Presse begleitet, wo Klimt 1905 zum Beispiel wie folgt zitiert wurde: „Ich lehne jede staatliche Hilfe ab, ich verzichte auf alles.“ (Gustav Klimt im Interview mit Berta Zuckerkandl, in: Berta Zuckerkandl: „Die Klimt-Affäre“, in: Wiener Allgemeine Zeitung, 12. April 1905).

Serena Lederer (nach 1903) von Martin GerlachÖsterreichische Nationalbibliothek

Um die vom Ministerium für den Auftrag gezahlte Geldsumme zurückzuzahlen verkaufte er die Bilder an einen langjährigen Mäzen und einen Freund und Kollegen: Der österreichische Industrielle August Lederer, der bereits zahlreiche Bilder Klimts besaß, erwarb im Jahr 1905 das Fakultätsbild „Die Philosophie“. Und Klimts Künstlerkollege Koloman Moser erwarb in den Jahren zwischen 1910 und 1912 die beiden anderen Fakultätsbilder „Medizin“ und „Jurisprudenz“.

Kolo MoserÖsterreichische Nationalbibliothek

Die Familie Moser verkaufte die beiden Bilder dann 1919 weiter. Die “Medizin” kam auf diesem Weg in eine Österreichische Galerie und die "Jurisprudenz" gelangte nun ebenfalls in den Besitz von August Lederer.

Schloss Immendorf (1936) von Heinrich SeeringÖsterreichische Nationalbibliothek

Tragischerweise sind alle drei Fakultätsbilder Klimts aufgrund der folgenden historischen Entwicklungen heute nicht mehr erhalten. Nach 1938 raubten die Nationalsozialisten der Familie Lederer ihre beiden Exemplare und verbrachten diese 1944 gemeinsam mit dem Fakultätsbild der Österreichischen Galerie in das rund fünfzig Kilometer nordwestlich von Wien in Niederösterreich gelegene Schloss Immendorf. 

Brandruine Schloss Immendorf (1945) von UnbekanntOriginalquelle: Privatarchiv Rudolf Freudenthal

Bedauerlicherweise geriet Schloss Immendorf in die militärische Kampfzone und wurde am 9. Mai 1945 niedergebrannt. Alle drei Fakultätsbilder sowie zahlreiche weitere Werke Klimts, die Teile der Sammlung Lederer waren, wurden zerstört. Dies bedeutet, dass die Fakultätsbilder heute weder in voller Größe noch in Farbe erlebbar sind: alles was bleibt sind schwarz-weiß Abbildungen der monumentalen Werke.

Jurisprudenz (1898-1903, bis 1907 geringfügig überarbeitet) von Gustav KlimtBelvedere

Mit diesem Verlust waren nicht nur Hauptwerke Klimts unwiederbringlich verloren gegangen, sondern es geriet auch eine entscheidende Phase innerhalb der künstlerischen Entwicklung des Meisters aus dem Blickfeld der Wahrnehmung. 

Adam und Eva (1916/1917) von Gustav KlimtBelvedere

Es gibt Anklänge in Adam und Eva (1917/18) und natürlich Der Kuss (1908/9). Diese zerstörten Fakultätsbilder waren vielleicht Klimts bedeutendster Beitrag zur Kunst des Symbolismus.

Quelle: Alle Medien
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