Das Bell-Telefon. Eine Erfindung neu erzählt
Alexander Graham Bell führte ab 1875 Experimente zur elektrischen Übertragung von Information durch. Er gilt als Pionier der Kommunikationstechnik. Ab 1877 wurden erstmals marktfähige Telefone eingeführt.
Alexander Graham Bell and family (1885)Museum for Communication Berlin, Museum Foundation Post and Telecommunication
Weniger bekannt ist, dass Bell durch die Gehörlosigkeit seiner Mutter sowie seiner Frau und seiner Arbeit als Gehörlosenlehrer angeregt wurde, das Telefon zu entwickeln. Bereits sein Vater A. Melville Bell konzipierte das erste phonetische Alphabet, die „visible speech“.
"I take an active interest ... in the education of the deaf"
Im Patentstreit um das Telefon und in seinen Schriften stellte Bell sich als Förderer der Gehörlosenbildung dar. Jedoch lehnte er Gebärdensprache ab. Er befürwortete eine ausschließlich lautsprachliche Erziehung und vertrat eugenische Ideen wie ein Eheverbot gehörloser Personen.
Dame beim Einkauf (1914)Museum for Communication Berlin, Museum Foundation Post and Telecommunication
Telefontechnik und Schwerhörigkeit
Erste Hörgeräte bestanden aus der damals üblichen Telefontechnik. Sie konnten auch Telefonate für schwerhörige Menschen ermöglichen.
Das Phonophor
1913 führte die Firma Siemens & Halske das Phonophor ein, das aus einem Tonaufnahmeteil mit zwei Kohlemikrofonen, einem Lautstärkeregler und Ohrhörern bestand. Es war kleiner, unauffälliger und leichter als andere elektrische Hörgeräte.
Telephones and hearing loss. 12 Illustrations (1922) by Gustav VogtMuseum for Communication Berlin, Museum Foundation Post and Telecommunication
Telefonapparat mit zwei Hörern
Der zweite Hörer dieses Telefons diente als zusätzliche Unterstützung für schwerhörige Personen. Gustav Vogts Ratgeber von 1922 empfahl angepasste Telefone und Hörgeräte. So war beidseitiges und ungestörtes Telefonieren möglich, denn Nebengeräusche wurden vermindert.
"Der blinde Telefonist"
Infolge des Zweiten Weltkrieges fanden erblindete Soldaten Anstellungen in Telefonzentralen. Das Berufsbild des Telefonisten entwickelte sich entlang technischer Hilfsmittel und der strukturellen Organisation von Lehrgängen zum etablierten Beruf für Menschen mit Sehbehinderung.
Intercom desk for private branch exchanges (for the blind) (1955 - 1965) by DeTeWeMuseum for Communication Berlin, Museum Foundation Post and Telecommunication
Der Arbeitsplatz der Telefonisten musste angepasst werden. Als wichtigstes Hilfsmittel zählte das Blindentastzeichen. Dieses ersetzte die visuellen Lampensignale am Vermittlungstisch. Zusätzlich wurden akustische Signale eingesetzt, um die Arten eines Anrufs zu unterscheiden.
FeHR: Die rollstuhlgerechte Telefonkabine
Für Rollstuhlfahrer*innen waren Münztelefone lange nicht zugänglich. Zusammen mit Behindertenverbänden realisierte die Deutsche Bundespost 1980 ein Pilotprojekt für barrierearme Fernsprechhäuschen (FeHR). Es war 2x2m groß und hatte elektrische Türen.
Wheelchair user making a call on a card telephone (1991) by Herausgeber: Deutsche Bundespost TelekomMuseum for Communication Berlin, Museum Foundation Post and Telecommunication
Mitte der 1990er Jahre wurde die Produktion der FeHR eingestellt. Ab 1992 führte die Telekom offene Telefonhauben ein. Auch Rollstuhlnutzer*innen konnten das tiefer aufgehängte Telefon verwenden. Das Design gab sich zeitgemäß und kundenfreundlich, bot aber weniger Privatsphäre.
Schreibtelefon Modell "Deutsches Schreibtelefon", komplett mit Zubehör in Transporttasche (1978) by Hörgeschädigten Technik Münster GmbHMuseum for Communication Berlin, Museum Foundation Post and Telecommunication
Text per Telefon
Das deutsche Schreibtelefon (1978) war ein tragbarer Fernschreiber, der von und für gehörlose Menschen entwickelt wurde. Es konnte an Telefone und Münzfernsprecher angeschlossen werden. Die Empfangsperson benötigte ebenfalls ein Zusatzgerät oder nutzte einen Vermittlungsdienst.
Der Hörer des angeschlossenen Telefons wird in die Aufnahmemuscheln gelegt und die Rufnummer gewählt. Daraufhin kann der Text über die Tastatur eingegeben und in eine Tonfolge verwandelt werden. Diese wird über die Telefonleitung als Drucktext an die Empfangsperson übermittelt.
Das Schreibtelefon war eine wichtige Errungenschaft für die Gehörlosen. Sie konnten erstmals auch mit Hörenden, Sprechenden und Institutionen selbstständig und privat kommunizieren. Trotzdem erwies sich die Finanzierung von bis zu 2000,- DM oft als Hindernis.
Video Conference System "Vicoset 200" (1983) by Siemens AGMuseum for Communication Berlin, Museum Foundation Post and Telecommunication
Gebärdensprachkommunikation und Videotelefonie
Könnte das Videotelefon das Schreibtelefon für gehörlose Menschen ersetzen? Im Berliner Modellversuch BIGFON (Breitbandiges Integriertes Glasfaser-Fernmeldenetz) wurde Videokommunikation in den 1980er Jahren für gehörlose Personen erprobt.
1989 wurden 17 Haushalte, in denen gehörlose Menschen lebten, für die Begleitforschung des Pilotprojekts BIGFON im Auftrag der Deutschen Bundespost mit Videotelefonen ausgestattet. Zum ersten Mal war es möglich, sich privat über Video und in Gebärdensprache zu verständigen.
Der Durchbruch
Das iPhone 4 war das erste Handy mit Facetime und einer zweiten Frontkamera. Videotelefonie wurde so zum Massenprodukt. Von der hohen Videoqualität über WLAN profitierte auch die Gebärdensprachgemeinschaft. Mobile Videotelefonie gehört für taube Personen nun zum Alltag dazu.
Quellen
Bell, A.G.: The Bell Telephone: The Deposition of Alexander Graham Bell, in the Suit Brought by the United States to Annul the Bell Patents. Boston 1908.
Dunckelmann, H.: Videokommunikation in Breitbandnetzen als Medium für Gehörlose: Soziologische Begleitforschung zum Systemversuch BIGFON; Abschlußbericht eines Forschungsprojektes. Berlin 1992.
Gust, F.W.: Der blinde Telefonist. München 1952.
Vogt, G.: Fernsprecher und Schwerhörigkeit. Berlin 1922.
Literatur
Bösl, E.: Politiken der Normalisierung zur Geschichte der Behindertenpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Bielefeld 2009.
Bösl, E.; Klein, A.; Waldschmidt, A. (Hrsg.): Disability history. Konstruktionen von Behinderung in der Geschichte. Eine Einführung. Bielefeld 2010.
Hartwig, S. (Hrsg.): Behinderung. Kulturwissenschaftliches Handbuch. Stuttgart 2020.
McGuire, C.: The categorisation of hearing loss through telephony in inter-war Britain. In: History and Technology 2019.
Eine virtuelle Ausstellung der Museumsstiftung Post und Telekommunikation.
Die Präsentation wurde im Rahmen des Seminars “Kommunizieren mit allen Sinnen” am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin unter Leitung von Prof. Dr. Robert Stock im Wintersemester 2023/24 und in Zusammenarbeit mit Dr. Veit Didczuneit, Wenke Wilhelm, Lioba Nägele und Lena Katharina Streckert gestaltet.
Mitwirkende Studierende: Anna-Sophie Beuter, Ava Birkle, Hiromi Castaneda Martinez, Johanna-Marie Glass, Lara Michelle Grunow, Ada-Daria Hinrichs, Dunja Knabe, Franka Köhler, Ella Kornwolf, Emily Münster, Lloyd Rowlands, Theo Schädlich, Sophie-Margarete Schuster, Junye Shen, Nadja von Bossel, Anastasija Zimbelmann