CAN und das "Inner Space"-Studio ca. 1968-1978
Alles begann mit zwei Stereo-Tonbandgeräten und vier Mikrophonen im Jahr 1968 in einem...
Schloss Nörvenich von Marco Ullmannrock'n'popmuseum
...Schloss in der Nähe von Köln. Als Hallraum diente der Band das imposante Treppenhaus. Gemischt wurde nicht über ein Pult, sondern direkt an den Instrumentenverstärkern.
Can(band) - Dokumentation von Rudi Dolezl & Hannes Rossacherrock'n'popmuseum
Ein Ausschnitt aus einer Dokumentation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das Equipment, mit dem CAN im Schloss angefangen hat, ist deutlich zu erkennen.
Original CAN-Mischpult von Mario Brandrock'n'popmuseum
…bald zog die Band nach Weilerswist um und baute ein altes Kino zum „Inner Space Studio“ um. Nachdem bereits im Schloss eine kleine Mischbatterie, auf der alle "klassischen Alben" entstanden, zusammengetragen wurde...
Studer B 62 Tonbandmaschine von Alan van Keekenrock'n'popmuseum
...erweiterte sich das Equipment um eine weitere Bandmaschine, die hier abgebildete Studer B 62.
Das passte, denn es lief bei den Proben immer ein Band mit, auch in Spielpausen. Diese wurden später von Czukay wiederverwendet.
Schlagzeugecke von Thorsten Güttesrock'n'popmuseum
Der neue Proben- und Aufnahmeraum in Weilerswist bei Köln wies eine Besonderheit auf. Es bestand keine Trennung zwischen Regie- und Aufnahmeraum, wie das für Tonstudios bis heute üblich ist.
Obwohl größtenteils Holger Czukay an den Reglern saß, bestand in den Anfangsjahren hier keine klare Rollenverteilung. Alle Bandmitglieder konnten am Mischpult, das in der Mitte des Raumes stand, das Klangbild beeinflussen.
Seegrasmatraze Detail von Mario Brandrock'n'popmuseum
Typisch für Rockproduktionen der 1970er war die Aufnahme in einem „trockenem“ Raum, mit wenig Hall. Das vereinfachte es, das Aufnahmesignal durch Effekte zu verändern...
Im Hintergrund sind die Seegrasmatrazen zu sehen, die CAN aus Altbeständen der Bundeswehr aufkaufte.
Sie waren günstig und sorgten für den gewünschten Raumklang. Allerdings stellte ihr "Innenleben" das Museum vor große Herausforderungen
...Die Dämmung hatte auch den Zweck, den Unmut der Anwohner in Weilerswist nicht auf sich zu ziehen und zu jeder Tageszeit proben und aufzunehmen zu können.
"Sarotti"-Bude, CAN-Studio von Thorsten Güttesrock'n'popmuseum
Die berühmte "Sarotti"-Bude war ein altes Überbleibsel des Kinosaals, in dem sich das Studio befand. Es diente CAN als Lager für die unzähligen Bänder, auf denen ihren Jams aufzeichnet hatten.
Die Gestaltung des Studios geschah unter anderem durch die Künstlerin Christine Scholl, damals Freundin von Jaki Liebezeit. Vor die Matratzen wurden riesige Vorhänge gehängt, auf denen bunte psychedelische Motive prangten.
Farfisa Werbung mit der Band CAN als Endorserrock'n'popmuseum
CAN verwendete auf der Bühne wie im Studio das gleiche Equipment. Dazu gehörten schon früh eine Anlage und elektronische Orgeln von Farfisa. Mit der italienischen Firma bestand ein „Endorsement“-Vertrag.
CAN Bass-Verstärker von Mario Brandrock'n'popmuseum
Aber schon früh ließ sich CAN Equipment nach den eigenen Wünschen anfertigen. Hier ist der Bass-Verstärker von Holger Czukay zu sehen.
Auf den frühen Alben kamen Synthesizer selten zum Einsatz. Vielmehr wurden die Signale von Irmin Schmidts elektronischen Orgeln durch einen eigens konstruierten Multieffekt, den Alpha 77, geschickt. Dieser bot direkt kontrollierbar Ringmodulator, Tape-Delay und Phasing.
Alpha 77 Power-Verstärker von Mario Brandrock'n'popmuseum
Die Musik von CAN war sehr eng mit dem Experimentier- und Aufnahmeraum Studio verbunden. Erst auf ihrem Album „Landed“ (1975) schafften sie sich eine 16-Spur-Tonband an. Kurz vor ihrer Auflösung kam dann auch ein 16-Spur-Mischpult dazu.
Rückblickend war sich CAN einig, dass die Limitierungen durch weniger Technik auf den vorherigen Alben mehr Fokus verlangten. Allein, da bei den Geräten, die bis dahin genutzt wurden, weniger Fehler gemacht werden durften.
Das CAN-Studio (ca. 1980-2003)
Nach der Trennung von CAN 1978 nutzen die ehemaligen Mitglieder das Studio zunächst für ihren eigenen Projekte.
Auf Initiative des befreundeten Produzenten Conny Plank führte René Tinner das Kino unter dem Namen "CAN-Studio" weiter.
Tinner, der für CAN als Toningenieur gearbeitet hatte, wollte das Studio kommerzieller auszurichten. Das Mischpult blieb im selben Raum, in dem auch die Aufnahmen stattfanden.
Joachim Witt - Silberblickrock'n'popmuseum
Eine der ersten Produktionen im neuen Studio war die Solo-LP von Joachim Witt, der zur sogenannten Neuen Deutschen Welle gezählt wird. Die bekannteste Single des Albums „Silberblick“ (1980) ist wohl „Goldener Reiter“.
MZ CS-V Mischpult von Mario Brandrock'n'popmuseum
Teile des Erlöses investierte Witt ins Studio, in dem auch seine nächsten Alben entstanden. Mit dem Geld wurde unter anderem ein professionelles Mischpult bei Michael Zähl in Auftrag gegeben.
Das MZ CS-V bestand zunächst aus einem Pult, das hier zu sehen ist. Es besaß 32 Kanäle, aufwendige Equalizer und das wichtigste: Es war "Automation"-Ready, konnte also später...
...mithilfe des System 4-Moduls aufgerüstet werden. Nun konnten Lautstärke, Panning und Equalizer-Einstellungen als Zeitfunktion auf einer Tonbandspur abgespeichert werden. Rechts kamen Ende der 1980er...
..noch mal 24 Kanäle für das Mastering des Album "Rite Time" von CAN dazu. Für dieses Album fand sich die Band in Originalbesetzung zusammen. Auch zu sehen: Die Fernsteuerung des Festplattenrekorders von OTARI
Werbefilm "Bye Bye" (1983) von Youtuberock'n'popmuseum
Ein Blick in den frühen Studio-Alltag. Ein Werbefilm für ihr Album "Bye Bye" von 1983 zeigt die NDW Band "Trio" im CAN-Studio. Auf der LP entfernen sie sich das erste Mal...
Hammond B3 E-Orgel von Mario Brandrock'n'popmuseum
...von ihrem minimalistischen Sound. Obs an der Ausstattung lag? Nicht nur fand Equipment von Conny Plank seinen Weg ins Studio, auch vergaßen viele Musiker über die Jahre ihre Geräte.
Oberheim Matrix-12 von Mario Brandrock'n'popmuseum
Kopfhörerpult im CAN-Studio von Thorsten Güttesrock'n'popmuseum
Michael Zähl konstruierte auch dieses mobile Kopfhörer-Pult, das es jedem ermöglicht seinen ganz persönlichen "Mix" einzustellen. In dem weitläufigen Studio konnte so flexibel gearbeitet werden...
...allerdings stellt sich die Frage, wofür die schmalen Spiegel auf dem Pult angebracht waren...
Schlagzeugecke von Thorsten Güttesrock'n'popmuseum
Obwohl die "CAN-DNA" blieb und alles weiterhin in einem Raum stattfand, war gerade bei den Schlagzeugaufnahmen eine gewisse Abschirmung nötig.
Schallschutzwände mit Dekoration von Mario Brandrock'n'popmuseum
...die Stellwände waren entweder transparent oder erhielten wie hier Fenster, damit die Kommunikation zwischen Produzent und Künstler, welche die besondere Anordnung des Studios ausmachte, erhalten blieb.
Black Föös in the CAN-Studio von RPMrock'n'popmuseum
Das CAN-Studio war auch mit dem "Kölner Pack" verbunden, einem Freundeskreis vieler Musiker_innen aus Köln. Zu ihnen gehörten auch die Mundart-Rocker der "Bläck Föös"...
The band Double 1986 in San Remo von Cafeswizzrock'n'popmuseum
...aber es kamen auch internationale Größen wie die Schweizer Popband "Double", die hier ihr erstes Album aufgenommen haben. In Weilerswist entstand auch ihr Hit "Captain of her Heart"
Marius Westernhagen - Sexy von Youtuberock'n'popmuseum
Marius Müller-Westernhagens größter Hit "Sexy" entstand im CAN-Studio. Obwohl Tinner die Live-Energie von Westernhagens Band für seine Produktion nutzte, wird es so wie im Musikvideo nicht ausgesehen haben.
Atari 1040 ST von Mario Brandrock'n'popmuseum
Das CAN-Studio musste immer auf dem neusten Stand der Technik sein. Vor Macintosh und digitalen Schnittprogrammen verrichtete der Atari seinen Dienst. Er besaß bereits eine MIDI-Schnittstelle.
"Digital"-Rack von Mario Brandrock'n'popmuseum
...in den 1990ern kamen viele Rack-Synthesizer dazu. Deren Presets emulieren nicht nur "klassische Synthies" und Instrumente; Sie besitzen auch einen eigenen, unverkennbaren Charakter.
Hans Nieswandt (hier in der Mitte) spricht von einer "hauntologischen" Erfahrung im CAN-Studio. Dessen "Geister" inspirierten Whirlpool Productions, alle Songs für ihr zweites Album neu einzuspielen...
CAN-Studio "Formular" zur Kanalbelegung von Alan van Keekenrock'n'popmuseum
Trotz kreativem Chaos und Hippieflair: Alles muss seine Ordnung haben – auch im CAN-Studio. Hier ein „Formular“ zur Belegung der Kanäle.
Michael Zähl CS-V Tonmischpult (Detail)rock'n'popmuseum
Die frühen 2000er waren von einem massiven Studiosterben geprägt. Dem konnten sich auch viele "bekanntere" Locations wie das CAN-Studio nicht entziehen. Wie sollte es nun weitergehen?
Im Museum: Das CAN-Studio als "lebendiges" Ausstellungsstück 2007-2018
Das Studio und seine Geschichte wurde nicht auseinander gerissen. Mit viel Überzeugungsarbeit und dank der gestiegenen politischen Wertschätzung populärer Musik in NRW gelang Anfang der 2000er die Finanzierung und der Umzug des CAN-Studios ins rock'n'popmusem in Gronau.
CAN-Studio im rock'n'popmuseum Gronau von RPMrock'n'popmuseum
Wer sich schon einmal gefragt hat, wie es aussieht, wenn ein ganzes Studio umzieht: Mitte der 2000er wird das CAN-Studio im zweiten Stockwerk des rock'n'popmuseum wieder aufgebaut.
Poster zur ersten Ausstellung des CAN-Studios 2007 von RPMrock'n'popmuseum
2007 ist der Umzug geschafft. Mit dem Fokus auf die Band CAN eröffnet das rock'n'popmuseum mit einer Sonderausstellung das wiederaufgebaute Studio.
Aufnahmen im CAN-Studio von RPMrock'n'popmuseum
Und so sieht es fertig aus. Aber das Studio ist nicht nur Ausstellungsstück...
..von Anfang an finden Aufnahmen und vor allem Live-Auftritte statt, die auch live übertragen werden. An den Reglern sitzt zu dieser Zeit meist Andreas Grotenhoff.
Marshall JCM 800 Series Röhrenverstärker von Mario Brandrock'n'popmuseum
Dieser klassische Marshall JCM 800 in roter Sonderedition wurde nach dem Umzug "renoviert": Was bei diesem Verstärker bedeutet: Neue Röhren. Doch ein "Tubeamp" muss regelmäßig gespielt werden...
Eine Auswahl an Aufnahmen aus den Konzerten im CAN-Studio von RPMrock'n'popmuseum
Mitte der 2010er streamte das rock'n'popmuseum regelmäßig Konzerte aus dem CAN-Studio, meist mit Nachwuchsbands.
CAN-Studio, 2001/3 von RPMrock'n'popmuseum
Nach fast 40 Jahren, einem Umzug, einer Bandauflösung und ungezählten Alben stellt sich die Frage: Was ist die Identität eines Studios? Ist es der Raum, sind es die Objekte oder ist es am Ende die Art und Weise, wie Menschen mit Technik interagieren, um Musik zu erschaffen?
Logos von Rpmrock'n'popmuseum
Die Ausstellung wurde im Rahmen des Projektes „Musikobjekte der populären Kultur“ erstellt. Bei dem Projekt handelt es sich um ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbund zwischen dem Zentrum für populäre Kultur und Musik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar und dem rock‘n‘popmuseum in Gronau (Westf.).
Texte und Bildauswahl: Alan van Keeken
Redaktion: Christofer Jost, Thomas Mania, Martin Pfleiderer und Leon Pfaff.
Besonderer Dank geht an: René Tinner, Michael Zähl und Uwe Kronenfeld.
Verwendete Literatur:
Adelt, Ulrich (2012): Machines with a Heart: German Identity in the Music of Can and Kraftwerk. In: Popular Music and Society 35 (3), S. 359–374.
Czukay, Holger (1973): Holger Czukay über das Can-Studio. In: Riebes Fachblatt 2.
Nieswandt, Hans (2007): plus minus acht. DJ Tage DJ Nächte. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
Schmidt, Hildgeard; Kampmann, Wolf (1998): CAN BOX. Münster: Medium Music Books.
Young, Rob; Schmidt, Irmin (2018): All Gates Open. The Story of Can. London: Bloomsbury.