Julius Neubronner und seine fliegenden Fotografen

Porträt Julius Neubronner (1914)Deutsches Technikmuseum

Julius Neubronner, ein Mann der Gründerzeit

Julius Neubronner (1852-1932) war nicht nur Apotheker, Kunstliebhaber, Firmengründer und Hobbyzauberer, sondern auch ein begeisterter Fotograf. Mit einer seiner Erfindungen ist er in die Geschichtsbücher eingegangen – als Pionier der Luftbild-Fotografie. Dabei griff der Tüftler auf eine seit der Antike bekannte Kulturtechnik zurück, die eine weitere Leidenschaft der Apotheker-Dynastie Neubronner war: die Taubenpost.

Brieftauben auf dem Flugbrett eines Taubenschlags auf dem Dach der Kronberger Streitkirche Tauben auf dem Dach der Kronberger StreitkircheDeutsches Technikmuseum

Fliegende Fotografen

Schon Julius Neubronners Vater Wilhelm wusste die Taubenpost für seine Geschäfte zu nutzen. Schnelligkeit und Zuverlässigkeit waren bereits im 19. Jahrhundert ein Wirtschaftsfaktor – im Besonderen bei der Bereitstellung von Medikamenten. Wilhelm Neubronner stationierte deshalb Brieftauben in den Gemeinden seines Amtsbezirkes Kronberg im Taunus. Diese brachten ärztliche Rezepte in kleinen Rucksäcken auf schnellstem Wege in seine Apotheke. Boten traten dann mit dem Heilmittel und der Taube im Gepäck den Rückweg zum Patient an. Mit der Apotheke übernahm Julius Neubronner von seinem Vater auch die „Giftadler“, wie die Tauben von der Bevölkerung genannt wurden.

Neubronners Zaubertricks mit TaubenDeutsches Technikmuseum

Julius Neubronner schickte seine Tauben nicht nur auf Kurierdienste. Er zauberte auch mit ihnen und machte Filmaufnahmen von seinen Tricks.

Schloss Friedrichshof bei Kronberg im Taunus aus der Nähe Schloss Friedrichshof bei KronbergDeutsches Technikmuseum

Als einmal eine seiner zuverlässigsten Tauben vier Wochen lang nicht in den heimatlichen Taubenschlag zurückkehrte, wurde Neubronner neugierig… und erfinderisch.
„Das brachte mich, den langjährigen Anhänger der Liebhaber-Photographie scherzhaft auf den Gedanken, daß wohl nur durch einen kleinen photographischen Apparat, der in gewissen Zeitabschnitten selbsttätig eine Belichtung erführe, die Möglichkeit eines derartigen Nachweises denkbar sei.“ (Julius Neubronner, Die Brieftaube als Photograph, in: Die Umschau, JG 12, Nr 41, 1920)

Brieftauben-Kamera Brieftauben-Kamera, 1907, Aus der Sammlung von: Deutsches Technikmuseum
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Julius Neubronner entwickelte einen kleinen Fotoapparat mit einem automatischen Selbstauslöser, der Tauben umgehängt werden konnte. Die Brieftauben der Apotheke Neubronners kannten die leichten Mäppchen für die Rezepte bereits und mussten nur noch an das größere Gewicht der Kamera gewöhnt werden.

Brieftauben-Kamera Rückansicht, Aus der Sammlung von: Deutsches Technikmuseum
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Bald unternahmen sie mit den Kamera-Attrappen erste freiwillige Ausflüge, aßen und tranken mit ihnen und ließen sich auch beim Liebesleben nicht von ihnen stören. Bis zu 100 Kilometer weit konnten die Tauben mit den Kameras fliegen und benötigten für diese Distanz rund eine Stunde.

Einzelaufnahme einer VersuchsreiheDeutsches Technikmuseum

Anfänglich ließ sich Neubronner noch überraschen, was seine Vögel für Fotos mitbrachten. Doch dann begann er, die möglichen Fotomotive vorauszuplanen: Er errechnete durch die Distanz vom Abflugort und der bekannten Fluggeschwindigkeit von 100km/h den Zeitpunkt, an dem sich die Taube in der Nähe des Zielobjektes befinden würde. Nach diesen Parametern stellte er den automatischen Selbstauslöser ein. Als dies gelang, wurde sich der Geschäftsmann Neubronner des Potentials seiner Erfindung bewusst – und bereitete die Unterlagen für das Patentamt vor.

Zeichnungen aus der PatentschriftDeutsches Technikmuseum

Der 55-Jährige reichte 1907 sein Patent für eine nur 40 Gramm schwere Miniaturkamera ein, die mit einer pneumatischen Selbstauslöse-Einrichtung versehen war.

Dabei wurde vor dem Start der Taube durch einen Schlauch (t) ein Gummiball (r) aufgeblasen, wodurch der Auslöser gespannt wurde. Verlor der Gummiball während des Fluges an Luft, wurde der Auslöser der Kamera betätigt und ein Foto entstand.

Brieftaubenkamera mit Doppel-Objektiv (1910)Deutsches Technikmuseum

Die Kamera hatte zwei Objektive, wodurch die Chancen auf verwertbare Bilder deutlich stiegen. Pro Flug konnten zwölf Bilder auf 3x6 Zentimeter großen Negativen aufgenommen werden. Doch Neubronners Patentanmeldung stieß beim Patentamt auf Ungläubigkeit, mehr noch, auf Ablehnung.

Brieftaube mit Doppelsport-KameraDeutsches Technikmuseum

Fachwerkhaus aus der VogelperspektiveDeutsches Technikmuseum

Erst nachdem Neubronner beglaubigte Aufnahmen einsandte, gab das Patentamt dem Antrag statt. Am 2. Dezember 1908 wurde Neubronners Erfindung „Verfahren und Vorrichtung zum Photographieren von Geländeabschnitten aus der Vogelperspektive“ patentiert.
Bis in die 1920er Jahre hinein entwickelte Neubronner unter erheblichem finanziellem Aufwand ein Dutzend verschiedene Kameramodelle.

Impressionen Vogelperspektiven, Aus der Sammlung von: Deutsches Technikmuseum
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Impressionen Vogelperspektiven, Aus der Sammlung von: Deutsches Technikmuseum
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Brieftauben Ansichts-Postkarte Brieftauben Ansichts-PostkarteDeutsches Technikmuseum

Von der Idee zum Geschäftsmodell

Bis zu Neubronners Erfindung war die Vogelperspektive für die meisten Menschen nur ein geflügeltes Wort. Zwar wurde bereits 1858 die Ballonfotografie patentiert, 1903 die Raketenkamera. Auch die Grundlagen zur Drachenfotografie waren seit 1887 gelegt, aber diese Erfindungen wurden nicht massenwirksam. Mit vollem Einsatz arbeitete Julius Neubronner am Durchbruch seiner Erfindung. 1909 stellte er das „System Dr. Neubronner“ auf der Internationalen Photographischen Ausstellung in Dresden vor, die 1600 Aussteller aus 20 Ländern versammelte. Dort ließ er seine Tauben steigen, entwickelte die Bilder vor Ort und verarbeitete sie auf der Stelle in „Brieftauben-Ansichtskarten“. Ein Marketing-Knüller, der Neubronners Luftbild-Fotografie zur Sensation machte.

Umschlag zu einer Ansichtskarten-Serie (1909)Deutsches Technikmuseum

Neubronner entwickelte eine ganze Produktpalette rund um die Taubenfotografie: Das Portfolio umfasste neben Postkartensets mit Fotos aus der Vogelperspektive auch Neubronners Mini-Kameras. Diese wurden in einer eleganten Holzbox mit zusätzlichem Filmschneidematerial und Garantie geliefert. Gegen einen Aufpreis konnte der interessierte Laie sogar eine gefiederte Kamera-Trägerin erwerben.

Karnevalsumzug in Kronberg im Taunus (1910)Deutsches Technikmuseum

Ganz Marketing-Profi war Neubronner 1910 beim Kronberger Karneval mit einem eigenen Umzugswagen unterwegs, dekoriert mit dem Schriftzug: „Lassen Sie sich photographieren von Dr. Neubronner´s Brieftauben und einrahmen mit Dr. Neubronner´s Papierstreifen.“

Hauptmotiv des Umzugswagen: Eine Taube mit Kamera-Ausrüstung.

Julius Neubronner (rechts) ließ es sich nicht nehmen, auf seinem Umzugswagen mitzufahren und eine Taube starten zu lassen.

Güterbahnhof in Frankfurt am Main (1909)Deutsches Technikmuseum

Von der Zeit überholt

Neubronner vermarktete seine Vogelperspektive nicht nur ausgiebig für zivile Zwecke, er war zudem vom hohen Nutzen der Luftaufnahmen für das preußische Militär überzeugt. Vieles sprach für die Tauben und machte sie konkurrenzfähig gegenüber anderen Verfahren: Ballons und Drachen waren je nach Witterung kaum lenkbar; Raketen wiederum benötigten viel Pulver für weite Entfernungen. Die Zahl der lenkbaren Luftschiffe, die zudem in mehr als 2000 Meter Höhe fliegen mussten, um nicht abgeschossen zu werden, war zu klein. Bei Tauben konnte hingegen die Flugrichtung und Fluggeschwindigkeit bei jedem Wetter vorherbestimmt werden. Sie flogen tiefer und waren um einiges schwerer abzuschießen als Zeppeline.

Die Flugstrecke der photographierenden Brieftauben (1910)Deutsches Technikmuseum

Bereits wenige Monate nach der Patentierung wendete sich Julius Neubronner das erste Mal an das Kriegsministerium. Er machte sich für die Geheimhaltung seiner Erfindung stark, um mögliche Spionageeinsätze der Tauben nicht zu gefährden. Dafür sah das Militär keinen Grund. Neubronner erhielt aber den Auftrag, seine Erfindung unter Beweis zu stellen: Er sollte die Berliner Wasserwerke am Tegeler See aus einer Entfernung von zwei Kilometern fotografieren, ohne einen bereits bestehenden Taubenschlag zu verwenden. Also baute der Enthusiast einen fahrbaren Taubenschlag mit integrierter Dunkelkammer. Dann gewöhnte er junge Tauben ein, die schließlich 1912 die Aufgabe lösten.

Fahrbarer Brieftaubenschlag für das MilitärDeutsches Technikmuseum

Als der 1. Weltkrieg ausbrach, wurde Neubronner aufgefordert, alle seine Kameras und fahrbaren Untersätze dem Militär zur Verfügung zu stellen. Die Kameras wurden nie eingesetzt. Aber als es bei der Schlacht vor Verdun keine Möglichkeit zur Kommunikation mehr gab, konnten die Tauben wenigstens in ihrer ursprünglichen Funktion brillieren – als Übermittlerinnen von Nachrichten.

1918 erhielt Neubronner den Bescheid, dass „der Erfindung ´Methode des Photographierens von Geländeabschnitten mit Hilfe von Tauben´ keinerlei militärischen Wert beizulegen ist. Entsprechende Versuche, auch im Felde, sind bisher immer missglückt. Weitere Versuche sind nach Einführung der Photographie aus dem Flugzeug nicht mehr gerechtfertigt.“ (Julius Neubronner, s.o.)

Frankfurt am MainDeutsches Technikmuseum

Was bleibt

Auch nach Neubronners Tod wurde weiter mit Tauben auf militärischer Fotosafari experimentiert. Die Reichswehr testete im Jahr 1931 Apparate, mit denen 200 Aufnahmen pro Flug möglich wurden. Die CIA schickte noch in den 70er Jahren Tauben auf geheime Mission – Details zu ihren Einsätzen sind bis heute Verschlusssache. „Wäre der Jahrhunderte alte Wunsch des Menschen, fliegen zu können, einige Jahre später in Erfüllung gegangen, so wäre die Sache anders verlaufen. Ein merkwürdiges Zusammentreffen ist es gewesen, dass […] gerade in dem Augenblick, in dem die Vögel anfingen Menschen zu werden, die Menschen Vögel geworden sind.“ (Julius Neubronner, s.o.)

Sammlung Julius Neubronner im Deutschen Technikmuseum Berlin (2018) von Stiftung Deutsches Technikmuseum BerlinDeutsches Technikmuseum

Mitwirkende: Geschichte

Redaktion: Isabel Wanger, Bettina Gries
Fotoredaktion: Antje Stritzke
Technischer Support: Jannes Repke

Quelle: Alle Medien
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