Eigentlich sollte der Krieg nur wenige Monate dauern. Die Verantwortlichen in Wirtschaft und Verwaltung machten sich daher keine Sorgen über die Versorgung der Bevölkerung. Allerdings wurde zum Jahresende 1914 deutlich, dass der Frieden noch einige Zeit auf sich warten lassen würde. Die von den Entente-Staaten durchgesetzte Seeblockade führte zu einer spürbaren Verschlechterung der Lebensmittelversorgung in Deutschland, sodass 1915 auf der Grundlage des Gesetzes über die Ermächtigung des Bundesrates zu wirtschaftlichen Maßnahmen vom 4. August 1915 per Bundesratsverordnungen Rationierung und Zwangsbewirtschaftung von Nahrungsmitteln eingeführt wurden. So unter-sagte z.B. die Verordnung zur Einschränkung des Fleischverbrauchs vom 28. Oktober 1915 die Ausgabe von Fleisch und Fleischwaren und den daraus gefertigten Speisen an bestimmten Wochentagen.
Montags, donnerstags und sonnabends war Fleischverbot in Gastwirtschaften, Schank- und Speisewirtschaften sowie in Vereins- und Erfrischungsräumen | BArch RGBl 1915, fol. 714
BArch R 3601/471 fol. 194
Auch in Hotels war die Verabreichung von Brot mit Fleisch- oder Wurstbelag an fleischlosen Tagen nach der Bekanntmachung zur Einschränkung des Fleisch- und Fettverbrauchs vom 28. Oktober 1915 nicht gestattet.
“Nach einer Verfügung des stellvertretenden Kommandierenden Generals des 2. Armeekorps (in Stettin) darf an Angestellte, Arbeiter, Kostgänger und Dienstboten [...], Dienstags und Freitags kein Fleisch [...] gegeben werden.”
Abschrift aus der deutschen Tageszeitung vom 28. Mai 1916 | BArch R 3601/472
Das geringer werdende Angebot an Nahrungsmitteln erforderte zusätzliche Maßnahmen, die einer einigermaßen geregelten Verteilung der vorhandenen Lebensmittel gerecht werden sollten.
“Ist es für den Verbraucher Pflicht, sich mit den Kriegspreisen zufrieden zu geben, so ist für den Landwirt die Erzeugung von Lebensmitteln Kriegsdienst und Kriegspflicht.”
Erzeuger und Verbraucher in der Kriegswirtschaft | BArch R 3601/471
Bereits wenige Wochen nach Kriegseintritt setzte die Regierung, um der Preistreiberei zu begegnen, Höchstpreise für Mehl und Getreide fest. In Etappen folgten weitere Preis-regelungen sowie die Festlegung von Verbrauchsquoten durch die Einführung von Bezugsscheinen, als erstes für Brot und Mehl im April 1915. Weitere Nahrungsmittelkarten folgten:
Zuckerkarte
Fettkarte
Milchkarte
Fleischkarte.
Mit dem Kartensystem erhoffte man sich eine Beschränkung des Verbrauches und eine gerechte Verteilung der vorhandenen Lebensmittel.
Nahrungsmittelkarten in Charlottenburg | BArch R 3601/479
Die einheitliche Fleischkarte (Berliner Volkszeitung, Jahrgang 1916) | BArch NS 5/ VI 57
Die sich verschärfende Mangellage auf dem Nahrungsmittelmarkt erzwang schließlich den lange schon geforderten radikalen Bruch mit den hergebrachten Ernährungs-gewohnheiten. Mit regelmäßigen Mitteilungen aus dem Kriegsernährungsamt wurde die Bevölkerung ideologisch darauf eingestimmt. Die Vorteile der “Mangelernährung” wurden dargestellt und an Opferbereitschaft und Kriegspflicht des Einzelnen appelliert.
“Die Volksernährung im Kriege soll einfach, aber nahrhaft und gesund sein.”
Mitteilungen aus dem Kriegsernährungsmat NR. 226 vom 13. September 1916 | BArch R 3601/472
Die Bevölkerung wurde aufgefordert, den Hausstand in den Kriegszustand zu versetzen. Neben der Sparsamkeit im Brotverbrauch, galt es auch tierische Nahrungsmittel wie Fleisch, Fett, Butter, Eier und Milch einzuschränken.
Die Grundnahrungsmittel Brot, Mehl, Kartoffeln, Milch, Eier standen nicht mehr für alle Bevölkerungsteile in ausreichendem Maße zur Verfügung. Daher versuchten die staatlichen Stellen das Volk moralisch durch amtliche Rezepturen, Ernährungs- und Verbrauchertipps aufzurüsten.
BArch, Plak 001-010-032 / Grafiker: Spanier, Käte
Kriegsbrotrezept, 1915 | BArch NS 5 VI/60
Ratschläge für alle Gebiete des Haushalts | BArch R 8033/11 fol.98
Der “Hungerwinter” 1916/17 kam unerwartet. Die Steckrübe, eine Kohlart, wurde für breite Kreise der Bevölkerung wichtigstes Nahrungsmittel. Man ernährte sich von Steckrübensuppe, Steckrübenauflauf, Steckrübenkoteletts, Steckrübenpudding, Steckrübenmarmelade und Steckrübenbrot. Selbst Gebäck ließ sich aus Steckrüben herstellen.
Das einzige Lebensmittel woran es - nach offiziellen Angaben - noch nicht mangelte, waren Steckrüben (Kohlrüben) | BArch R 8033/11 fol. 112
Sogar für Kaffee, dessen Lieferungen längst von der englischen Blockade gestoppt worden waren, gab es Rezepte:
Steckrüben raspeln und im Ofen trocknen. Die getrockneten Rübenschnitzel durch eine Kaffeemühle drehen. Wie normales Kaffeemehl behandeln.
Oder man “gönnte” sich den Gesundheitskaffee.
"Ein jeder trinke nur noch den Gesundheitskaffee..." | Quelle: BArch R 8033 11 fol_16
Drei kriegsgemäße Abendmahlzeiten für Gäste, die bei der Obst- und Gemüseausstellung für Stadt und Land zur Schau gelangten und den 1. Platz erzielten.
Drei kriegsgemäße Abendmahlzeiten I BArch R 8033/11 fol.91
Der Kriegsausschuß für Öle und Fette empfahl zur Vermehrung der Ölfruchternten das Sammeln von Obstkernen, Bucheckern und anderen öl- und fetthaltigen Früchten. Auf Plakaten in Bahnhöfen, Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden wurde für eine verstärkte Sammeltätigkeit geworben und die deutsche Jugend an ihre patriotischen Pflichten erinnert.
Aufruf zur Sammlung von Obstkernen für die Ölgewinnung | BArch, Plak 001-010-024 / Grafiker: Dohrn, Ernst
“1. Es sollen nur Kerne von Kirschen, Pflaumen und Zwetschgen, Mirabellen, Reineclauden und Aprikosen gesammelt werden. Pfirsichkerne sind für die Oelgewinnung wertlos.”
“2. Die Kerne sollen von reifem Obst stammen. ...
3. Auch Kerne von gekochtem und gedörrtem Obst können verwendet werden.”
BArch R 8818/209
Der “Kriegszustand” im Hausstand erforderte auch besondere Kochtechniken. So wurde neben dem sparsamen Umgang mit Nahrungsmitteln, der Bekanntgabe zahlreicher Koch- und Backtipps und der Verbreitung neuer, dem Krieg angepasster Kochrezepte und Kochbücher u.a. die Sparsamkeit mit Energie mittels der Kochkiste empfohlen.
Die Kochkiste und ihre Verwendung | BArch R 8083/11 fol. 145
Quellen in der Ausstellung—
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