Ellen Allien - Das Berliner Gefühl

Aufzulegen und zu feiern ist für mich körperlich und gemeinschaftlich, wie ein Stamm. Die Müdigkeit in Verbindung mit der Musik ist wie ein Tanz auf dem Vulkan, das hat etwas Brüllendes. Durch diesen monotonen Beat wirst du von so einem Sog gepackt. 

Das funktioniert und ist anscheinend auch etwas ganz Altes: Dass die Menschen geklatscht haben oder auf den Boden gestampft. Das Herz hat auch einen Rhythmus, das gehört ja alles zusammen. Das Wetter auch.

Ich habe einen roten Faden in meinem Leben, der sich langsam entwickelt hat. Ich bin jemand, der sich schlecht von Dingen trennen kann, das dauert unglaublich lange bei mir. Ich mache aber weiter. 

Ich mache nicht an einem Tag irgendetwas und am nächsten etwas anderes. In meinem Leben läuft es weiter, ruhig, gelassen und konzentriert. Das ist mein Charakter. Deswegen ist das so, auch wegen dem Sternzeichen. 

Auch wenn ich nicht so beliebt wäre, würde ich weitermachen. Bevor es Techno in meinem Leben gab, habe ich andere Musik gemacht, Instrumente gelernt oder angefangen zu lernen und keine Ausbildung zu Ende gemacht.

Ich bin in Westberlin mit der Mauer aufgewachsen. Als Kind hat mich die Mauer sehr eingeengt. Man ist immer auf die Mauer gestoßen, Berlin war ganz klein dadurch. Wir hatten Familie in Ostberlin. 

Da musste man immer durch die Kontrollen, das war sehr militärisch, die DDR-Armee machte ständig Übungen, es wurde geschossen. Damit bin ich aufgewachsen, auch mit der RAF. 

Mich haben Autos genervt, mich hat dieser Gestank in der Stadt genervt, mich hat das Schulsystem genervt, mich hat genervt, was ich lernen musste. Das Geilste in der Schule war für mich Philosophie, da gab es mal einen Lehrer, der sich für uns interessiert hat.

Ich hab gemerkt, dass hier was nicht stimmt mit dem, was mir beigebracht wird. Das ist nicht, wie ich leben will. Ich kenne auch viele Leute, die das Glück hatten, sich anpassen zu können.

In der Mitte der achtziger Jahre habe eine Akrobatikausbildung gemacht. Ich habe in einem besetzten Haus gelebt. Da hatten wir auch Übungsräume, da war ein freies künstlerisches Schaffen möglich. Ich brauchte dort keine Angst haben und habe von 17 bis 19 dort erstmal so gelebt. 

Das waren wichtige Jahre, die Abnabelung von der Familie. Aber das ist halt auch schwierig so zu leben, wenn du nicht weißt, wo es hingeht. Damals war das nicht klar, DJ sein war ein Loserjob. Die Mauer war gerade gefallen, alles sehr sehr low budget, sehr down. 

In meinem Elternhaus lief Nina Hagen, die ganzen Achtziger, dann gab es diese Sendung Disco, dann gab es die Neue Deutsche Welle. Kraftwerk. Damit bin ich aufgewachsen. Eigentlich ist das ja so: 

Wenn man so anders im Kopf ist, also ein Mensch, der sich immer wieder selbst erfinden muss, dann musst du erstmal eine Gruppe und einen Ansatz finden. Das hatte ich in dem besetzten Haus. Andere finden das, wenn sie studieren oder in andere Länder ziehen. 

Dass ich auf Techno gestoßen bin, war auch ein Zufall. Ich lebte gerade in Schöneberg, da gab es das Fischlabor. Da habe ich dann gejobbt, um meine Akrobatikausbildung zu finanzieren, da habe ich die Leute kennengelernt, die später Clubs wie UFO und Tresor machten.

Da war ich am richtigen Ort, zur richtigen Zeit und wusste gar nicht, was passiert. Und dann passierte das einfach so. Da habe ich meine Gruppen gefunden, das war ein Ventil für die Passion, die ich in mir habe. Aber es hätte auch Bilder malen oder Bücher schreiben sein können.

Ich wollte irgendwas zu finden, mit dem ich mich rausswitchen kann aus der Gesellschaft und aus dem Scheiß, der ständig passiert und irgendwo zu sein, wo alle glücklich sind. Neben der Musik gibt es Sexualität und Drogen, daraus entsteht eine Welt jenseits der normale Werten.

Sexualität finde ich dabei ebenso wichtig wie Drogen. Sexualität findet im Club konkret statt und nicht auf einer Pornoseite oder auf einer Database, wo ich mir erstmal Bilder aussuche und den dann treffen muss. Sondern ich stehe im Club und suche mir die Leute aus. 

Im Ganzen geht es um mehr als um Entertainment, das ist ein Zusammenspiel von Energien. Es geht um Werte, die außerhalb des Systems liegen, auch wenn sie im System stattfinden.

Früher hatte ich immer so eine tierische Paranoia: Was ist da draußen los? Nicht wegen den Außerirdischen, sondern wegen dieser Weite. Wenn ich darüber nachgedacht habe, war das wie so eine Verätzung im Gehirn. Weil ich es nicht begreifen konnte, dass es unendlich ist. 

Ich habe auch mal Qi Gong gemacht. Da drehst du dich und der Lehrer sagt: Verbinde dich mit der Erde. Da spürst du dann auch, dass die Erde rund ist. Da habe ich gelernt, mich mit dem Kosmos zu verbinden, und dann war es einfacher, die Weite auszuhalten.

Du musst es leben, es wahrnehmen, gucken, dass du den Mond, das Meer, die Natur anders wahrnimmst. Als Stadtkind kriegst du das nicht so mit. So habe ich versucht, diese Verbindung aufzunehmen, und seitdem geht es mir besser.

Bestimmte Leute können dich in bestimmte Vibes reinziehen, da muss man aufpassen. Das habe ich aber gelernt. Ich kann mit vielen Sachen umgehen, aber ich bin sehr sensibel. Deshalb kann ich vielleicht auch ganz gute DJ-Sets machen. Ich bin einen langen Weg gegangen.

Diese ganzen Partys zu erleben und im Nachtleben mit diesen ganzen Charakteren, Freaks und Mafiosi, zurechtzukommen. Da muss man viel Leidenschaft und Fleiß haben, auch Talent. Da bleiben viele auf der Strecke. Leute, die den Traum haben, DJ zu werden, die da kaputt gehen. 

Ich habe in meinem Leben einiges an Drogen genommen, ich habe viel getrunken und wenig geschlafen. Vielleicht hält mich Spaß an der Sache gesund. Wenn ich auflege, gibt es eine Adrenalinauschüttung. Ich spring ja rum, das ist alles sehr körperlich. Vielleicht ist das gesund.

Jeder Ton hat eine Berechtigung. Wenn mich Musik nervt, dann sage ich nichts. Ich wende mich nicht den Sachen zu, die mich nicht interessieren. Das musste ich natürlich lernen. Als ich jünger war, habe ich natürlich Hassallüren gehabt, auf die ganzen Säcke. 

Heute beschäftige ich mich nicht mehr mit Dingen, die mich nicht interessieren, das geht da rein und dort wieder raus. Da habe ich keine Zeit für. Ich gehe da hin, wo es mich interessiert. Auch wenn mir die Musik nicht gefällt, will ich wissen: Was machen die da überhaupt?