I. Eine kurze Geschichte der Bibliothek
Die Geschichte der heutigen Herzog August Bibliothek, einstmals Hofbibliothek der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg und heute Forschungsbibliothek von internationalem Rang, ist geprägt von den Wechselfällen der Politik, aber auch von der Leidenschaft der vielen, die sich für die Erhaltung, den Ausbau und die Nutzung der Sammlung engagiert haben. Die Funktionen der Bibliothek haben sich über die Jahrhunderte immer wieder verändert, was Folgen für ihre äußere Erscheinung ebenso wie für ihren Buchbestand hatte.
Porträt des Herzogs Julius von Braunschweig-Lüneburg (1667) by Johann Kaspar GerckeHerzog August Bibliothek
Herzog Julius von Braunschweig-Lüneburg (1528–1589) begründete die erste Hofbibliothek. Ein Teil der Sammlung stammt aus Julius’ Studienzeit. Durch die Auflösung von Klosterbibliotheken im Zuge der Reformation wächst sie rasch an.
Liberey Ordnung, 5. April 1572. (1552) by Herzog Julius von Braunschweig-LüneburgHerzog August Bibliothek
In der Libereyordnung vom 5. April 1572 bestimmte Julius, worauf der Bibliothekar bei seiner Arbeit zu achten habe. Sie gilt seit dem 19. Jahrhundert als Gründungsdokument der Bibliothek.
Porträt des Herzogs August d. J. zu Braunschweig-Lüneburg (spätes 17.–18. Jahrhundert) by Kopie nach Anselmus van HulleHerzog August Bibliothek
1638 war die Bibliotheca Julia an die Universität Helmstedt überführt worden. Herzog August (1579–1666) begründete eine neue Bibliothek, die im Laufe seiner Regentschaft von 1635 bis 1666 etwa 50.000 auf rund 135.000 Bücher anwächst.
Querschnitt der Bibliotheksrotunde von Wolfenbüttel (1766) by Anton August BeckHerzog August Bibliothek
Anton Ulrich, der zweitgeborene Sohn Augusts, ließ ab 1705 durch den Baumeister Hermann Korb einen Neubau für die berühmte Bibliothek seines Vaters errichten. Die sogenannte Rotunde gilt als erster selbständiger profaner Bibliotheksbau der Neuzeit.
Porträt des Gotthold Ephraim Lessing (1771) by Anton GraffHerzog August Bibliothek
Im Mai 1770 bestellt der Herzog den berühmten Dichter und Aufklärungspublizisten Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) zum leitenden Bibliothekar. Damit verband sich auch die Hoffnung, dass Lessing die Bibliothek in gelehrten Kreisen bekannter machen würde.
Abbruch der Bibliotheksrotunde (Herzog August Bibliothek) (1887) by Unbekannter FotografHerzog August Bibliothek
Die berühmte Rotunde war überwiegend als Fachwerkbau errichtet worden. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war die Bausubstanz unrettbar verdorben. 1887 wurde das Gebäude abgerissen.
Bibliotheca Augusta, Hauptansicht (ca. 1883) by Carl Müller und Gustav BohnsackHerzog August Bibliothek
Durch anhaltendes Engagement des leitenden Bibliothekars Otto von Heinemann (1824–1904) erhielt die Büchersammlung 1886 ein neues, funktionales Gebäude im Stil der Neorenaissance: die von Carl Müller und Gustav Bohnsack entworfene Bibliotheca Augusta.
II. Die Taten der Bibliothek
Wie schreibt man die Geschichte einer Bibliothek? Gerade nicht, so Lessing 1773, indem man die „Umstände ihrer Entstehung und ihrer allmäligen Vermehrung mit einer ängstlichen Gewissenhaftigkeit her erzählet“. Vielmehr komme es darauf an, „daß man zeigt, wozu es denn der Gelehrsamkeit und den Gelehrten genutzt habe, daß so viele Bücher mit so vielen Kosten hier zu Haufe gebracht wurden. Das allein sind die Thaten der Bibliothek: und ohne Thaten giebt es keine Geschichte.“ Die „Taten“ der Wolfenbütteler Bibliothek: Nicht die Bücher, die sie besitzt, sondern die aus ihr hervorgegangenen Bücher sind ihre Geschichte.
Evangelische Kirchen Harmonie (1646) by August d. J. von Braunschweig-LüneburgHerzog August Bibliothek
Herzog August war nicht nur ein passionierter Sammler von Büchern, sondern verfasste auch selbst gelehrte Werke. Für seine Zusammenfassung der vier biblischen Evangelien bediente er sich vieler theologischer Werke aus seiner Bibliothek.
Octavia. Römische Geschichte, 3 Tle. in 7 Bdn. (u. a. 1685-1707) by Anton Ulrich von Braunschweig-LüneburgHerzog August Bibliothek
Viele Jahre arbeitete Augusts Sohn Anton Ulrich am Roman über Octavia, die erste Frau Kaiser Neros.
Octavia. Römische Geschichte, 3 Tle. in 7 Bdn. (u. a. 1685-1707) by Anton Ulrich von Braunschweig-LüneburgHerzog August Bibliothek
Für den historischen Hintergrund der Handlung studierte er viele Werke zur römischen Geschichte aus der Hofbibliothek.
Nathan der Weise. Ein Dramatisches Gedicht, in fünf Aufzügen (1779) by Gotthold Ephraim LessingHerzog August Bibliothek
Als leitender Bibliothekar nutzte Gotthold Emphraim Lessing intensiv die ihm anvertrauten Buchbestände für seine philosophischen und poetischen Arbeiten. Die berühmteste Frucht von Lessings Bibliothekslektüren ist sein Drama Nathan der Weise.
Althochdeutsches aus Wolfenbüttler Handschriften (1827) by August Heinrich Hoffmann von FallerslebenHerzog August Bibliothek
Der Dichter des Deutschlandliedes, Hoffmann von Fallersleben, war auch als Sprachforscher aktiv. Im Bestand der Wolfenbütteler Handschriften fand er seltene Quellen zum Althochdeutschen.
Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung, 3 Tle. in 4 Bdn. (1798) by Friedrich Wilhelm Basilius von RamdohrHerzog August Bibliothek
Der Jurist und Schriftsteller Friedrich Wilhelm Basilius von Ramdohr hatte schon mehrere unglückliche Liebschaften hinter sich, als er mit seinem Werk Über die Natur der Liebe begann.
Im August 1796 verbrachte er vier Tage in Wolfenbüttel, in denen er nicht weniger als 69 Schriften zur Liebe studierte.
III. Die Bibliothek im Buch
Nicht nur die in ihr verwahrten Drucke und Handschriften, auch die Bibliothek als Ganzes – als Gebäude und als Institution – ist seit dem 17. Jahrhundert immer wieder Thema und Gegenstand von Büchern geworden. Viele Autorinnen und Autoren waren der Bibliothek persönlich verbunden: Als Beamte des Herzogs, Bibliothekare oder Direktoren hatten sie gute Gründe, die Bibliothek in ein günstiges Licht zu rücken. Die von ihnen beschriebenen Vorzüge veränderten sich über die Jahrhunderte und künden vom Wandel der Absichten und Erwartungen, die sich mit dem Wolfenbütteler Bücherschatz verbanden.
Herzog August in seiner Bibliothek, aus: Martin Gosky (Hrsg.): Arbustum vel Arboretum Augustaeum, Aeternitati ac domui Augustae Selenianae sacrum (1650) by Conrad BunoHerzog August Bibliothek
1650 erschien eine mehr als 1.000 Seiten starke Festschrift zum 70. Geburtstag von Herzog August, die u. a. seine besonderen Qualitäten als gelehrter Regent hervorhebt. Neben Lobgedichten auf die Bibliothek zeigt ein Kupferstich Herzog August inmitten seiner Bücher.
Zur Geschichte und Litteratur. Aus den Schätzen der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, 6 Tle., Erster Beytrag (1773) by Gotthold Ephraim LessingHerzog August Bibliothek
In seiner Zeitschrift Zur Geschichte und Litteratur stellte Lessing zwischen 1773 und 1781 der gelehrten Welt ausgewählte Fundstücke aus der Wolfenbütteler Bibliothek vor.
Hundert Merkwürdigkeiten der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel (1849) by Karl Philipp Christian SchönemannHerzog August Bibliothek
Lessings Konzept einer bibliographischen Blütenlese folgten mehr als ein halbes Jahrhundert später die Hundert Merkwürdigkeiten des Bibliotheksleiters Karl Philipp Schönemann (1801–1855).
Die Herzog August Bibliothek im Wandel. Ein Bericht in Bildern 1971–1981 (1981) by Paul Raabe, Günter SchöneHerzog August Bibliothek
Ab den späten 1960er Jahren erfolgte unter Direktor Paul Raabe (1927–2013) der Um- und Ausbau zu einer Forschungsbibliothek von internationalem Rang. Ein Bildband dokumentiert die baulichen und institutionellen Vergrößerungen.
Die Herzog August Bibliothek. Eine Geschichte in Büchern (2022) by Peter BurschelHerzog August Bibliothek
Zum 450. Jubiläum legt Direktor Peter Burschel erstmals seit über 120 Jahren wieder eine Geschichte der Bibliothek von ihren Anfängen bis in die Gegenwart vor.
IV. Schatzhaus / Wunderkammer
Wie andere Repräsentationsräume war auch die Wolfenbütteler Hofbibliothek fast drei Jahrhundert Teil des obligatorischen Besichtigungsprogramms für Fürstinnen und Fürsten, Prinzen und Prinzessinnen, Abgesandte anderer Höfe und andere Vertreter des Adels. Natürlich interessierten sich nicht alle diese Besucher*innen für Bücher. Für alle, die nicht aus gelehrtem Interesse, sondern aus Pflicht oder Neugierde kamen, gab es schon früh eine Reihe von raren oder kuriosen Schaustücken, mit denen sich die Besichtigung unterhaltsam gestalten ließ. Dazu gehörten seltene Drucke und kostbarste Handschriften ebenso wie ungewöhnliche Bilder und Objekte von berühmten Vorbesitzern. Die Bibliothek war immer auch Schatzhaus, Wunderkammer und Kunstkabinett.
Paradiß Gärtlein/ voller Christlicher Tugenden (1676) by Johann ArndtHerzog August Bibliothek
Als Beleg der göttlichen Zustimmung zur lutherischen Lehre galt ein Exemplar des populären Paradiesgärtleins des Pfarrers Johann Arndt, das ein Feuer unbeschadet überstanden haben soll.
Porträt des Moses Mendelssohn (spätes 18. Jahrhundert) by Unbekannter Künstler/SchreibmeisterHerzog August Bibliothek
Im Bildnis des jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn ist u. a. zu lesen: „Es lebe der Herr Mendelson in Seeligkeit – Gott selbst schütze sein seeliges Leben/ als einen Propheten von Gott gesant/ preiset Ihn dass ganze Vater Land/ Ihn schätzt das ganze Reich.“
[E]Ins mals ein affe kam gera[n]t. [Der Edelstein] (1461) by Ulrich BonerHerzog August Bibliothek
Nur in Wolfenbüttel gibt es ein vollständiges Exemplar des ersten gedruckten Buches in deutscher Sprache.
Die aus dem 14. Jahrhundert stammende Fabelsammlung Der Edelstein ist zugleich das erste Buch, das mit Holzschnitt-Bildern gedruckt wurde.
Evangeliar Heinrichs des Löwen und Mathildes von England (um 1188)Herzog August Bibliothek
1983 wurde das Evangeliar Heinrichs des Löwen und Mathildes von England von einem nationalen Konsortium für umgerechnet 16 Millionen Euro in London ersteigert.
Die um 1188 entstandene Handschrift zählt wegen ihrer prachtvollen Miniaturen zu den herausragendsten Leistungen mittelalterlicher Buchkunst.
Um das teuerste Buch der Welt sicher aufbewahren und ausstellen zu können, erhielt die Herzog August Bibliothek einen dreistöckigen, begehbaren Tresor.
Biblia, Das ist: Die gantze Heil. Schrift Altes und Neues Testaments, 34. Aufl. (1738)Herzog August Bibliothek
Berühmt-berüchtigt war die sogenannte „Ehebrecherbibel“. Wohl vorsätzlich fehlte das Wort „nicht“ im sechsten Gebot, so dass Gott nun vermeintlich zum Ehebruch aufforderte. Fast die gesamte Auflage wurde eingezogen.
Das in Wolfenbüttel erhaltene Exemplar ist von vielen staunenden Fingern stark abgegriffen und musste deshalb bereits restauriert werden.
Mehr Einblicke in 450 Jahre Bibliotheksgeschichte erhalten Sie in der Online-Ausstellung „WIR MACHEN BÜCHER“ !
Diese Geschichte baut auf der Ausstellung „WIR MACHEN BÜCHER“ auf (05. April - 03. Oktober 2022, Bibliotheca Augusta, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel). „WIR MACHEN BÜCHER“ wurde kuratiert von Dr. Hole Rößler, Stellvertretender Leiterin der Abteilung Forschungsplanung und Forschungsprojekte. Ins digitale Format übertragen wurde die Ausstellung von Izabela Mihajlović.
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