Marcel Dettmann & Ben Klock: Die DJs des Berghain

Es gibt viele Gründe, warum das Berghain heute als der beste Club der Welt gilt. Ein Faktor ist dabei die Musik – harter, kompromissloser Techno. Was steckt hinter diesem Sound und warum war er nur im Berghain möglich?

Ben Klock & Marcel Dettmann von Dirk MertenGROOVE Magazin Berlin

Mit dem Berghain ist in der zweiten Hälfte der 2000er Jahre ein neuer Techno-Stil entstanden, und niemand hat diesen Sound so geprägt wie Marcel Dettmann und Ben Klock. Das hat mit dem einzigarten Talent dieser beiden Musiker zu tun.

Ben Klock von Groove ArchivGROOVE Magazin Berlin

Ebenso wichtig ist die besonderen Situation im Berghain. Nick Höppner, in dieser Zeit verantwortlich für das Berghain-Label Ostgut Ton, kommentiert: "Die Tracks zeigen, dass es um etwas Eigenes geht. Keiner der Technoplatten kann man vorwerfen, dass sie an etwas anknüpfen, was es woanders gerade gibt.“

Marcel Dettmann von Groove ArchivGROOVE Magazin Berlin

Die Musik ist aus dem Bewusstsein der Erfahrung der neunziger Jahre entstanden. Aber sie ist alles andere als nostalgisch, sie sehnt sich nicht in die Vergangenheit zurück. Mit ihrer Düsterkeit und ihrem reduzierten Tempo nimmt sie Entwicklungen der Folgezeit auf.

Ben Klock von Groove ArchivGROOVE Magazin Berlin


Zugleich entfesselt sie eine Rohheit und Vitalität, die man sich kaum als Produkt eines anderen Clubs vorstellen kann. Höppner: "Unter den Kernkünstlern besteht eine hohe Identifikation mit dem Laden, es ist zwangsläufig, dass der sich über den Raum entwickelt. Die Platten werden hier getestet und gespielt, er ist die Referenz."

Marcel Dettmann von Groove ArchivGROOVE Magazin Berlin

Marcel Dettmann: "Alle Artists auf dem Label haben ihren Wurzeln ziemlich tief drin. Das geht bis in die Achtziger. Für mich ist es Robert Hood, Planetary Assault System, Joey Beltram. Aber wir interpretieren diese Musik ganz neu.“ Höppner: „Es ist kein materieller, sondern ein ideeller Oldschoolbezug.“

Ben Klock & Marcel Dettmann von Dirk MertenGROOVE Magazin Berlin


Dettmann und Klock verkörpern zwei entgegen gesetzte Berliner Techno-Biographien: Der 1971 geborene Klock ist ebenso ein Kind der Clubmusik der neunziger Jahre wie der 1977 zur Welt gekommene Dettmann. Klock stammt aus dem Westberliner Bezirk Schöneberg und war Jazzpianist und Songwriter und hat sein Verständnis von House und Techno in den Clubs von Berlin-Mitte entwickelt.

Marcel Dettmann von Groove ArchivGROOVE Magazin Berlin

Dettmann wurde in der sehr spezifischen, ostdeutschen Technokultur sozialisiert. Er ist in einem Plattenbaugebiet in Fürstenwalde fünfzig Kilometer von Berlin aufgewachsen. Vor der Wende war er Depeche-Mode-Fan: „In der DDR war die Musik ein Fluchtmittel, um einmal rauszukommen. Heute gibt es Yoga."  

Marcel Dettmann von Lisa Swarna KhannaGROOVE Magazin Berlin

1992 kam Techno nach Fürstenwalde. Die Verbindung der Rebellion gegen alle bisher bekannte Musik mit deren Futurismus weckten eine Faszination, die ihn bis heute festhält. Die ersten Jeff Mills Platten, die Dettmann mit sechzehn hörte, klangen unfassbar und strange.

Marcel Dettmann von Lisa Swarna KhannaGROOVE Magazin Berlin

"Ich kam mir vor wie in der Zukunft. Das war der beste Film, den man nicht sehen kann. Heute nimmt man die Musik natürlich ganz anders wahr." Mit sechzehn kaufte Dettmann sich statt einem Moped zwei Plattenspieler, er spielte auf eigenen Partys, in Dresden oder in Frankfurt/ Oder.

Marcel Dettmann von Sven MarquardtGROOVE Magazin Berlin

Ein Freund gab ohne sein Wissen eine Kassette im Ostgut, dem Vorgängerclub des Berghain, ab, und wenig später rief einer der Macher des Clubs an. Ein halbes Jahr später war er Resident.Dettmann ist seit seiner Jugend klar, dass die Musik seine Lebensmission ist.

Marcel Dettmann von Sven MarquardtGROOVE Magazin Berlin

Eine Ausbildung brach er ab, 1996 begann er von zu Hause aus einen kleinen Plattenhandel zu betreiben, der eine Hand voll Kunden hatte. Später arbeitete er im Plattenladen und bei einem Vertrieb, ab 2004 bei der Technoinstitution Hardwax.

Marcel Dettmann von Groove ArchivGROOVE Magazin Berlin

"Ich wollte immer machen, was ich heute mache. Ich hatte nie die Disziplin mich mit etwas zu beschäftigen, was mich nicht begeistert. Anderenfalls wäre ich auch nicht da wo ich heute bin. Natürlich gehört ein gewisser Grad an Verbissenheit dazu."

Marcel Dettmann von Sven MarquardtGROOVE Magazin Berlin


Mit dem eigenen Produzieren hat Marcel erst 2006 begonnen. „Die Bassdrum eines Stücks ist das Spiegelbild des Künstlers. Techno ist für mich Loop. Aber erst wenn ich einen Loop fünf oder sechs Stunden lang hören kann, nehme ich ihn auf.

Marcel Dettmann von Lisa Swarna KhannaGROOVE Magazin Berlin

Wenn in einem Track nach fünf Minuten eine Melodie kommen muss, ist der Sound scheiße. In diesem Fall fange ich was Neues - oder ich geh schlafen.“

Marcel Dettmann von Sven MarquardtGROOVE Magazin Berlin

In Marcels behutsamer, analytischer Verarbeitung der Sounds kann eine Verbindung zur Hardwax-Schule gesehen werden: „Futuristisch und nachdenklich kann die Musik nur sein, wenn sie düster ist. Positive Musik ist meistens datierter, mich hält das Düstere bei der Stange."

Ben Klock von Groove ArchivGROOVE Magazin Berlin

Ben Klock teilt mit Dettmann das Gebot der Roughness. Seine Tracks sind aber weniger spröde, oft rumort irgendwo eine Melodie, Bens stilistisches Spektrum ist größer. Klock arbeitet die Spannung zwischen den einzelnen Tracks sehr genau heraus: entweder die neue Platte intensiviert die Dynamik des vorangegangenen Stücks - oder sie bricht mit ihr.

Ben Klock von Raphael Maxim GuillouGROOVE Magazin Berlin

Ben Klock kommentiert: "Ich finde es spannend, wenn die Musik unter das Set gestellt wird, wenn man die Musik benutzt, die für dieses bestimmte Set wichtig ist, egal ob es sich um einen schon zu oft gehörten Hit handelt oder um eine alte, unbekannte Platte. Statt sich von Platte zu Platte hangeln, kann es auch mal Daft Punk sein.“

Ben Klock von Groove ArchivGROOVE Magazin Berlin


Der Zusammenhang ist wichtiger als die einzelnen Teile. Dieser kompositorische Ansatz im Bezug auf das Auflegen geht auf seine Jugend zurück: Einst erwog Ben Jazzpianist zu werden. Beim stundenlangen Klavierspiel am Flügel in der Hochschule der Künste begriff er, dass es ihm wichtiger ist, einzelne Elemente in Zusammenhänge zu stellen, als ein Instrument perfekt zu beherrschen.

Ben Klock von Raphael Maxim GuillouGROOVE Magazin Berlin

Dettmann verkörpert die ostdeutsche Technobiographie, Klock die Westberliner Perspektive: Klock ist in Berlin-Schöneberg aufgewachsen, dort hat die Musik nicht so gezündet wie in Fürstenwalde: „Der Wechsel zu elektronischen Musik bedeutete auch einen Wechsel in eine andere Szene.“

Ben Klock von Romeo AllaefGROOVE Magazin Berlin

Die Leute von früher haben die Schlüsselerfahrung des Clubs nicht gemacht: Momente, wo man begreift: so ist das gemeint. Viele fanden Techno stumpf und primitiv. Für mich waren die Neunziger eine Zeit des Aufbruchs. Die Achtziger standen für Pop, für eine oberflächlichere Musik. Ich fand es toll, als es tiefer ans Eingemachte ging, dass die Musik intensiver und körperlicher wurde.

Ben Klock von Joachim GernGROOVE Magazin Berlin

Eine Schlüsselerfahrung waren für Ben die "Die Macht der Nacht"-Parties mit Kid Paul in den späten Achtzigern. In den folgenden Jahren begann er in seinem zweiten Beruf als Graphiker Fuß zu fassen, und übersprang die Berliner Clubkultur dieser Zeit. Jungle weckte sein Interesse an der Clubmusik erneut, bald empfand er den gradlinigen Clubsound im Tresor oder WMF als intensiver.

Ben Klock & Marcel Dettmann von Dirk MertenGROOVE Magazin Berlin

Ab 1994 legte er im Delicious Donuts House auf: "Damals waren meine Sets mellow. Mit der Zeit wurden sie immer kräftiger. Diese Linie erstreckt sich bis zum Berghain. Die Architektur, der Sound: genauso ist die Musik gemeint. Das Puzzle passte endlich zusammen. Als ich zum ersten Mal dort gespielt habe, nahm ich viele Platten mit, die ich nirgendwo anders spielen konnte und die funktionierten da ausnahmslos.”

Ben Klock & Marcel Dettmann - Dawning EP Cover von Peter Knoch & EtimanGROOVE Magazin Berlin

Anders als Dettmann veröffentlicht Klock schon seit den späten Neunzigern Platten. Oft ist in einzelnen Spuren der Stücke ein organisches, musikalisches Moment spürbar, das aus den mitreißenden Grooves hervorbricht. Immer testen die Stücke die größtmöglichste Spannung aus, die sich zwischen den einzelnen Elementen möglich ist.

Ben Klock von Joachim GernGROOVE Magazin Berlin


Das Berghain bleibt trotz ihres globalen Erfolges ein Fixpunkt: "Man fliegt durch die Welt und die Parties immer ok. Einmal im Monat im Berghain zu spielen ist für mich wichtig, das ist meine persönliche Spielwiese, da ich kann machen, was ich will. Das bringt mich weiter“, sat Marcel. Ben: „Weil ich einmal im Monat dort bin, kann ich auch woanders tolle Cluberfahrungen haben, wo der Sound nicht so gut ist.“

Ben Klock & Marcel Dettmann auf dem Free Your Mind Festival 2006 von J-LoGROOVE Magazin Berlin

In Unterhaltungen der beiden über neue Platten fixieren sie präzis die spannenden Aspekte der Stücke – oder die Momente, in denen sich die Tracks die Blöße geben. In diesen Bemerkungen offenbart sich in tiefes, durchdachtes Verständnis der Clubmusik, das die beiden teilen. Immer geht es darum, bestimmte künstlerische Essentials von Techno in den Wirrungen und Irrungen der Soundmoden herauszuarbeiten.

Ben Klock von Jimmy MouldGROOVE Magazin Berlin


Dettmann und Klock treffen sich in der Vorliebe von punkigen, skizzenhafte Tracks, die dem DJ viel Spielraum lassen. Beide misstrauen dem gegenwärtigen Trend zur Überproduktion, der Tendenz zum songartigen Arrangement. Was für Dettmann die Ablehnung sämtlicher Trance-Momente ist, liegt für Ben in der Verweigerung eines durcharrangierten House Sounds mit den typischen Klangfarben.

Ben Klock & Marcel Dettmann von Groove ArchivGROOVE Magazin Berlin

Trotz der Berührungspunkte gibt es große Gegensätze: Der analytischen Technoschule Dettmanns steht bei Ben ein Sound gegenüber, in dem der Funk der afroamerikanischen Musik spürbar ist. Ben: "Es gibt Momente, in denen wir uns ähneln. Aber die Unterschiede überwiegen. Marcel spielt keine Platten, die zu musikalisch klingen.“ Dettmann: "Ich bin subtiler, Ben haut auch gerne mal eine Melodie rein. Er hat eine klassische Klavierausbildung.“

Mitwirkende: Geschichte

Text: Alexis Waltz

Quelle: Alle Medien
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