Harte Bandagen
Der Bilderstreit und die Öffentlichkeit
Der Entscheidungsprozess über das Deckenbild im Weißen Saal zog sich insgesamt über sieben Jahre hin. Dabei spielte die Presse eine besondere Rolle. Vor allem die Zeitungen Berliner Morgenpost und Tagesspiegel vertraten die Meinung des Landeskonservators Kurt Seeleke, das Deckenbild rekonstruieren zu lassen. Um der ihrer Ansicht nach oft falschen Darstellung der Thematik etwas entgegenzusetzen, nutzen Mitarbeiter:innen der Schlösserverwaltung genau diese Presse auf ihre Art und Weise. Kurt Seeleke selbst wurde zum Leidtragenden dieser Aktionen.
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin (1968-04-20)Schloss Charlottenburg
Harte Bandagen
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin, 20.04.1968
Die Überschrift des Artikels führt die Leser:innen auf plakative Art zu einer eher negativen Einstellung gegenüber der im Untertitel genannten abstrakten Malerei. Die im Artikel angesprochenen Überlegungen der Verantwortlichen, Trier nicht nur einen Entwurf, sondern direkt das gesamte Deckengemälde malen zu lassen und erst dann eine endgültige Entscheidung zu treffen, wurden wieder verworfen.
"Was den Brechreiz des Denkmalpflegers verursacht, soll im Großen Speisesaal verewigt werden."
"Maler Trier erhielt den Auftrag für ein fertiges Deckengemälde zum Preis von 40 000 Mark."
Berlin, Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, Schaufenster mit dem ausgestellten Entwurf von Karl Manninger zum Deckenbild des Weißen Saals im Neuen Flügel von Schloss Charlottenburg nach Antoine Pesne (1968)Schloss Charlottenburg
Harte Bandagen
Berlin, Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, Schaufenster mit dem ausgestellten Entwurf von Karl Manninger zum Deckenbild des Weißen Saals im Neuen Flügel von Schloss Charlottenburg nach Antoine Pesne, November 1968
Nicht nur die Presse unterstütze Seeleke in der Forderung nach einer Rekonstruktion. Der Entwurf Manningers hing beispielsweise 1968 im Schaufenster des Ateliers des Berliner Modedesigners Werner Machnik auf dem Kurfürstendamm. Nach wenigen Tagen wurde es auf Anweisung des Senators für Bau- und Wohnungswesen Rolf Schwedler wieder entfernt.
Ausschnitt aus dem Katalog der Ausstellung "Schmidt Berg -- Berlin so gesehen" zu den Berliner Bauwochen (September 1968) von Heinz Schmidt-BergSchloss Charlottenburg
Harte Bandagen
Ausschnitt aus dem Katalog der Ausstellung "Schmidt-Berg – Berlin so gesehen", September 1968
Ebenfalls 1968 wurde während der Berliner Bauwoche die Ausstellung „Schmidt-Berg – Berlin so gesehen“ mit Werken des Malers und Karikaturisten Heinz Schmidt-Berg gezeigt. Die Ausstellungskatalogseite zeigt einen wohl nicht ganz ernst gemeinten Entwurf für die Decke des Weißen Saals. In einem Wolkenhimmel erzeugt ein Flugzeug Kondensstreifen, gesäumt von Putten.
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin (1968-09-05)Schloss Charlottenburg
Harte Bandagen
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin, 05.09.1968
Eines der Hauptargumente der Schlösserverwaltung gegen eine Rekonstruktion war das Fehlen einer farbigen Abbildung des originalen Deckenbildes von Pesne. Der Landeskonservator Seeleke hoffte allerdings, doch noch eine Farbfotografie oder Farbskizze zu finden und startete einen Aufruf über die Presse.
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin (1968-09-18)Schloss Charlottenburg
Harte Bandagen
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin, 18.09.1968
Tatsächlich erreichte Seeleke über eine Zeitung eine vermeintliche Farbskizze aus der Entstehungszeit des Deckengemäldes. Der beiliegende Brief eines gewissen Bodo von Feckendorfs wurde im Bericht der Zeitung abgedruckt.
" « Ich bin ein alter Breslauer und habe auf der Flucht vor den Russen noch diese Skizze retten können...Mein Großvater, der Kammerdiener bei dem kunstsinnigen Prinzen Louis war, hat sie als Dank für seine aufopfernde Pflege desselben kurz vor dessen Tod erhalten...Bodo von Feckendorf »"
Telegramm Kurt Seelekes an Bodo von Feckendorf (1968-09-17)Schloss Charlottenburg
Harte Bandagen
Telegramm von Kurt Seeleke an Bodo von Feckendorff, 17.9.1968
Die Farbskizze wurde von Restauratoren untersucht. Um mehr über die Provenienz, also die Herkunft des Bildes zu erfahren, schickte der Landeskonservator ein Telegramm an Bodo von Feckendorff, nicht ahnend, dass es diese Person gar nicht gab.
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin (1968-09-26)Schloss Charlottenburg
Harte Bandagen
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin, 26.9.1968
Kurze Zeit später wurde klar, dass die Skizze eine Fälschung war. Ein Mitarbeiter der Schlösserverwaltung, Helmut Börsch-Supan, der sich mit der Anschrift seiner Zweitwohnung als Herr von Feckendorf ausgab, hatte sie innerhalb von drei Stunden auf eine alte Leinwand gemalt. Laut dieses Presseberichts überlegte Kurt Seeleke daraufhin, „ihn vor den Kadi“, also vor den Richter, zu ziehen. Dazu kam es allerdings nicht.
Helmut Börsch-Supan
Ab 1961 Kustos und von 1983 bis 1995 Stellvertretender Direktor der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin.
Hier geht es zur Transkription des O-Tons.
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin (1968-09-26)Schloss Charlottenburg
Harte Bandagen
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin, 26.9.1968
Börsch-Supan wollte Seeleke und vor allem der Presse einen Streich spielen. Er versuchte damit Margarete Kühn in der öffentlichen Diskussion den Rücken zu stärken, da die Berichte zum Deckenbild meist nur die Sicht des Landeskonservators darstellten. Am Tag der öffentlichen Entlarvung erschien in einer anderen Zeitung zudem ein Gedicht zum Weißen Saal, das ebenfalls für Aufsehen sorgen sollte.
"Auf das Deckengemälde im Weißen Saal des Charlottenburger Schlosses bezieht sich womöglich das obenstehende Gelegenheitsgedicht aus dem 18. Jahrhundert, das einem unserer Leser um 1935 bei Forschungen in den Akten des hohenzollernschen Hausarchivs in die Hände gefallen war und das er uns kürzlich zuschickte.“
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin (1968-09-28)Schloss Charlottenburg
Harte Bandagen
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin, 28.9.1968
Kurt Seeleke fühlte sich von dem Vorgang mit der gefälschten Farbskizze gedemütigt. Nun verstärkte noch ein weiterer Vorfall seinen Missmut, denn das Gedicht über das Deckenbild im Weißen Saal stellte sich ebenfalls als Fälschung heraus. Es stammte nicht, wie angegeben, aus dem 18. Jahrhundert, sondern von Martin Sperlich, dem Kollegen von Helmut Börsch-Supan bei der Schlösserverwaltung.
"Bei der Aufsichtsbehörde des Bilderfälschers ist man der Meinung, daß «keine Veranlassung besteht, gegen Herrn Dr. Helmut Börsch-Supan irgendwelche Schritte zu unternehmen. » Man ist der Auffassung, daß der Landeskonservator diese Angelegenheit mit Humor durchstehen sollte.“
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin (1968-10-01)Schloss Charlottenburg
Harte Bandagen
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin, 1.10.1968
Wieder war die Presse auf den Leim gegangen. Bei dem Gedicht ergeben die Anfangsbuchstaben der Verszeilen den Satz „Kurt Seeleke ist ein Esel“. Dies bedarf jedoch eines Kommentars aus heutiger Sicht: Kurt Seeleke war ein verdienter Denkmalpfleger, der aus aus Braunschweig nach Berlin gekommen war. Hier wurde ihm die Arbeit nicht leichtgemacht, da die Politik Neubauten bevorzugte. Dennoch gelang ihm zum Beispiel die Rettung des barocken Kollegienhauses in Kreuzberg. 1969 ging Seeleke im Alter von 56 Jahren in Rente.
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin (1968-10-13)Schloss Charlottenburg
Harte Bandagen
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin, 13.10.1968
"Sieben Tage nach Eingang der Ölskizze entdeckte Seeleke auf der Rückseite der Leinwand unter einem rund 200 Jahre alten wurmzerfressenen Papierrest einen zwei Quadratzentimeter kleinen Klebezettel. Aufschrift: «Antoine Pesne seinem lieben Freund Seeleke.»“
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin (1968-10-13)Schloss Charlottenburg
Helmut Börsch-Supan
Ab 1961 Kustos und von 1983 bis 1995 Stellvertretender Direktor der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin.
Hier geht es zur Transkription des O-Tons.
Harte Bandagen
Die Ereignisse um die gefälschte Skizze und das Gedicht bedürfen eines Kommentars aus heutiger Sicht: Kurt Seeleke war ein verdienter Denkmalpfleger, der aus Braunschweig nach Berlin gekommen war. Hier wurde ihm die Arbeit nicht leichtgemacht, da die Politik Neubauten bevorzugte. Dennoch gelang ihm zum Beispiel die Rettung des barocken Kollegienhauses in Kreuzberg. 1969 ging Seeleke im Alter von 56 Jahren in Rente.
Eine Stadt bezieht Stellung
Die Publikumsbefragung
Die Probemalerei, also der 1:1-Entwurf Hann Triers, hing Mitte des Jahres 1970 bereits über ein Jahr im Weißen Saal, als auch die fertige Probemalerei von Karl Manninger an der Decke befestigt wurde. Um endlich zu einer Entscheidung zu finden, wurden zunächst Kunstexperten in einer Kommission befragt und zusätzlich die Berliner Bevölkerung in einer Publikumsbefragung um ihre Meinung zu den Entwürfen gebeten.
Studie zum Deckenbild des Weißen Saals im Neuen Flügel von Schloss Charlottenburg (1969) von Hann TrierSchloss Charlottenburg
Eine Stadt bezieht Stellung
Hann Trier, Studie zum Deckenbild des Weißen Saals im Neuen Flügel von Schloss Charlottenburg, 1969, matte Farbe auf Papier auf Spanplatte aufgezogen, 151,7 x 327,6 cm
Diese Gesamtstudie Triers zum Deckenbild ist Vorbild für den monumentalen Probeentwurf im Maßstab 1:1, der an der Saaldecke befestigt wurde.
Probestücke für das Deckenbild des Weißen Saals im Neuen Flügel von Schloss Charlottenburg in drei Teilen (1969) von Hann TrierSchloss Charlottenburg
Eine Stadt bezieht Stellung
Hann Trier, Probestücke für das Deckenbild des Weißen Saals im Neuen Flügel von Schloss Charlottenburg in drei Teilen, März 1969
Trier entnahm hierfür eine Partie aus der rechten oberen Hälfte der Gesamtstudie und übertrug sie mit wenigen Abweichungen auf mehrere Leinwandstücke, die dann an der Decke angebracht wurden.
Probestücke für das Deckenbild des Weißen Saals im Neuen Flügel von Schloss Charlottenburg in drei Teilen (1969) von Hann TrierSchloss Charlottenburg
Eine Stadt bezieht Stellung
Hann Trier, Probestücke für das Deckenbild des Weißen Saals im Neuen Flügel von Schloss Charlottenburg in drei Teilen, 1969, matte Farbe auf Leinwand, 188 x 248 cm
Die großformatigen Maquetten wurden in Vorbereitung dieser Ausstellung 2020 auf dem Dachboden von Schloss Charlottenburg wiederentdeckt und restauriert.
Probestücke für das Deckenbild des Weißen Saals im Neuen Flügel von Schloss Charlottenburg in vier Teilen (1970) von Karl ManningerSchloss Charlottenburg
Eine Stadt bezieht Stellung
Karl Manninger, Probestücke für das Deckenbild des Weißen Saals im Neuen Flügel von Schloss Charlottenburg in vier Teilen, Hera und Hermes mit Wolkenpartien, 1970, Öl auf Leinwand, 415 x 490 cm
Karl Manninger wählte für seinen großen Probeentwurf eine Szene der linken mittleren Bildhälfte aus der Komposition von Pesne. Er zeigt Hera auf ihrem Wagen. Vor ihr befindet sich Hermes, der einen goldenen Apfel in der Hand hält. Er ist im Begriff diesen Apfel zu Paris zu bringen, der das Urteil fällen soll, wer die Schönste sei: Aphrodite, Athene oder Hera.
Probestück für das Deckenbild des Weißen Saals im Neuen Flügel von Schloss Charlottenburg (1970) von Karl ManningerSchloss Charlottenburg
Eine Stadt bezieht Stellung
Karl Manninger, Probestück für das Deckenbild des Weißen Saals im Neuen Flügel von Schloss Charlottenburg, Athene, 1970, Öl auf Leinwand, 155,5 x 132,5 cm
Ein zusätzlicher Ausschnitt, der nicht für die Montierung an der Decke bestimmt war, knüpft an den vorherigen an: Er zeigt den Oberkörper von Hera und darüber Athene. Anhand der Hera ist zu erkennen, dass Manninger verschiedene Varianten ausprobierte. Sowohl die Farbigkeit als auch Details wie der Mund variierte er von Entwurf zu Entwurf.
Probestück für das Deckenbild des Weißen Saals im Neuen Flügel von Schloss Charlottenburg (1970) von Karl ManningerSchloss Charlottenburg
Eine Stadt bezieht Stellung
Karl Manninger, Probestück für das Deckenbild des Weißen Saals im Neuen Flügel von Schloss Charlottenburg, Aphrodite, 1970, Öl auf Leinwand, 209 x 277,5 cm
In einem weiteren Ausschnitt widmete sich Manninger der dritten Göttin, Aphrodite. Die sie auszeichnende Muschel hatte Manninger im ersten Ausschnitt noch in Gold gemalt, hier ist sie in Grün- und Blautönen dargestellt. Die Ausschnitte machen deutlich, dass es Manninger nicht möglich war, die genaue Farbigkeit des Gemäldes von Pesne zu rekonstruieren.
Schloss Charlottenburg, Neuer Flügel, Weißer Saal, Die an der Decke befestigten Probestücke von Hann Trier und Karl Manninger (1970)Schloss Charlottenburg
Eine Stadt bezieht Stellung
Berlin, Schloss Charlottenburg, Neuer Flügel, Weißer Saal, Die an der Decke befestigten Probestücke von Hann Trier und Karl Manninger, Zustand 1970/71
Ende 1970 sollte eine Expertenkommission aus Kunsthistorikern, Kunstkritikern und Künstlern ihre Meinung zu den Entwürfen abgeben. Die Mehrheit sprach sich für Trier aus, da Manninger sie nicht für seine Rekonstruktion überzeugen konnte. Viele meinten jedoch, dass Trier weitere Entwürfe anfertigen sollte, da die bisherigen nicht ganz befriedigten.
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin (1971-01-15)Schloss Charlottenburg
Eine Stadt bezieht Stellung
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin, 15.01.1971
Senator Stein war nun noch mehr davon überzeugt, dass die Bemalung der Decke durch Trier eine gute Lösung sei. Jedoch wollte er auch Senator Schwedler davon überzeugen. Um endlich zu einer endgültigen Entscheidung zu kommen, ließ er eine Meinungsumfrage unter den Besucher:innen durchführen, für die der Weiße Saal zu diesem Zweck geöffnet wurde.
Informationsblatt für die Besucherbefragung (1971)Schloss Charlottenburg
Eine Stadt bezieht Stellung
Informationsblatt für die Besucherbefragung, 1971
Wegen des großen Andranges nach der ersten Öffnung wurden an insgesamt drei Sonntagen im Januar 1971 Besucher:innen in den Weißen Saal gelassen. Anhand eines ausgelegten Informationsblatts und den ausgestellten Entwürfen sollten sie sich eine Meinung bilden.
Informationsblatt für die Besucherbefragung (1971)Schloss Charlottenburg
Erste Seite aus einem der ausgelegten Bücher der BesucherbefragungSchloss Charlottenburg
Eine Stadt bezieht Stellung
Erste Seite aus einem der ausgelegten Bücher der Besucherbefragung, Januar 1971
Die Besucher:innen wurden gebeten, sich mit Namen und Adresse in ausliegende Bücher einzutragen und ihre Meinung aus einer Auswahl von fünf Möglichkeiten festzuhalten:
a) Ein weißer Deckenspiegel,
b) Ein blauer Deckenspiegel, oder eine Wolkenmalerei,
c) Eine freie, figürliche Variation,
d) Eine möglichst genaue Kopie, oder
e) Ein Modernes Kunstwerk.
Ausschnitte aus den ausgelegten Büchern der Besucherbefragung (1971)Schloss Charlottenburg
Eine Stadt bezieht Stellung
"Ich plädiere für eine möglichst naturgetreue Kopie, da ich ein modernes «Kunstwerk» für einen ungeheuren Stilbruch halte!"
"Für Pesne –gegen Stilbruch"
"Auf jeden Fall ist die Rekonstruktion des Originalgemäldes zu wünschen, der Raumeindruck bleibt der ursprünglichen Fassung am nächsten, der Stilbruch wäre sehr, sehr schade und zu bedauern.“
„Wenn ein Trierentwurf an die Decke kommt, dann bitte auch Stahlmöbel in den Raum, damit der Stilbruch vollkommen ist. Wenn man keinen Restaurator findet, der das Pesne-Gemälde sehr gut nacharbeiten kann, sollte man mit einer weißen Decke warten, bis einer kommt."
Ausschnitte aus den ausgelegten Büchern der Besucherbefragung (1971)Schloss Charlottenburg
"Der rekonstruierte Pesne wird den Saal erdrücken. Trier täuscht einem den Blick in ein Himmelsgewölbe vor."
"Bin mit großer Skepsis gekommen, als ich in der Presse las, daß ev. ein Entwurf von Trier in Frage kam! Nachdem ich die Entwürfe u. die Ausmalung der Decke lange angesehen habe, hellauf begeistert, wie sich die Moderne mit diesem Raum verträgt!“
"Ich kenne den Saal noch aus der Vorkriegszeit. Auch damals fand man das Deckengemälde zu schwer. Bin der Meinung, die Gelegenheit wahrzunehmen und einen « Blauen Himmel mit Wolkenbildung ». Es wäre dann ein zum Gold eine Einheit geschaffen. (72 Jahre alt)"
Auswertung der Besucherbefragung (1971)Schloss Charlottenburg
Eine Stadt bezieht Stellung
Auswertung der Besucherbefragung, 1971
Die Einträge in den Büchern und auch postalische Zuschriften zum Deckenbild wurden aufwändig ausgewertet. Das Ergebnis lautete, dass etwa 77 Prozent für eine Rekonstruktion und um die 17 Prozent für den Entwurf von Hann Trier stimmten.
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin (1971-11-27)Schloss Charlottenburg
Harte Bandagen
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin, 27.11.1971
SPSG, Pressespiegel 1971Senator Stein betrachtete die Umfrage lediglich als Stimmungsbild der Bevölkerung. Das Ergebnis sollte nicht gleichzeitig die Entscheidung darstellen. Bei der Auswertung wurden daher die abgegebenen Meinungen unterschiedlich gewichtet. Anhand der Qualität und Detailliertheit der Einträge sahen sich die Verantwortlichen in der Lage, den Sachverstand der Befragten zu beurteilen, was die Presse jedoch stark kritisierte.
Zeitungsbericht aus dem Pressespiegel der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin (1971-11-27)Schloss Charlottenburg
Helmut Börsch-Supan im Weißen Saal von Schloss Charlottenburg (Juni 2020)Schloss Charlottenburg
Helmut Börsch-Supan
Ab 1961 Kustos und von 1983 bis 1995 Stellvertretender Direktor der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin.
Hier geht es zur Transkription des O-Tons.
Nach sieben Jahren
Der Auftrag an Hann Trier
Endlich war eine Entscheidung gefallen. Im Juli 1971, fast sieben Jahre nach den ersten Überlegungen, ging der Auftrag eines Deckenbildes an Hann Trier. Von Februar bis Dezember 1972 malte Trier nach seinem endgültigen Entwurf die Decke des Weißen Saales aus. Am 1. März 1973 konnte der Neue Flügel mit dem Weißen Saal und der Goldenen Galerie endlich für Besucher:innen geöffnet werden. Kurz danach wurde eine zweite Besucherumfrage durchgeführt, die dieses Mal deutlich positiver für Trier ausfiel.
Auftrag zur Ausführung des Deckenbildes im Weißen Saal von Schloss Charlottenburg an Hann Trier durch den Senator für Wissenschaft und Kunst Werner SteinSchloss Charlottenburg
Nach sieben Jahren
Auftrag zur Ausführung des Deckenbildes im Weißen Saal von Schloss Charlottenburg an Hann Trier durch den Senator für Wissenschaft und Kunst Werner Stein, 21.07.1971
Am 21. Juli 1971 erfolgte der offizielle Auftrag zur Bemalung der Decke im Weißen Saal durch Senator Werner Stein an Hann Trier. Dabei wies Senator Stein den Künstler darauf hin, dass er sowohl die Anregungen der Expertenkommission als auch die Vervollständigung der rahmenden Voutenmalerei berücksichtigen sollte.
Entwurf zum Deckenbild des Weißen Saals im Neuen Flügel von Schloss Charlottenburg (1972) von Hann TrierSchloss Charlottenburg
Nach sieben Jahren
Hann Trier, Entwurf zum Deckenbild des Weißen Saals im Neuen Flügel von Schloss Charlottenburg, 1972, matte Farbe auf Leinwand, 121 x 240 cm
Bei der Ausführung des Deckenbildes richtete sich Hann Trier nach diesem Entwurf. Er unterscheidet sich in der Farbigkeit deutlich von früheren Studien. Es dominieren Gelb- und Blautöne, mit denen Trier der Goldenen Galerie mit ihren Rosa- und Grüntönen einen Farbkontrast gegenüberstellen wollte.
Berlin Schloss Charlottenburg, Neuer Flügel, Weißer Saal, Gerüst für die Bemalung der Decke (1972)Schloss Charlottenburg
Nach sieben Jahren
Berlin Schloss Charlottenburg, Neuer Flügel, Weißer Saal, Gerüst für die Bemalung der Decke, Zustand 1972
Trier arbeitete auf einem fahrbaren Gerüst. Zunächst trug er die Flächen mit Bürsten auf und verwischte sie dann mit einem Schwamm. Die Umrisse seines Entwurfs zeichnete er als Orientierungshilfe am Boden auf Transparentpapier und pauste die Linien auf die Decke.
Einer der Pinsel von Hann Trier, mit dem er die Decke im Weißen Saal malte (um 1970)Schloss Charlottenburg
Nach sieben Jahren
Einer der Pinsel von Hann Trier, mit dem er die Decke im Weißen Saal malte, 1970er Jahre
Hann Trier vollendete die Malerei Stück für Stück in Anlehnung an seinen finalen Entwurf. Dann widmete er sich der Voute, die er ergänzte, um einen Übergang zum Deckenspiegel zu schaffen. Nach diesen Arbeiten und dem neuen Gesamteindruck wendete er sich noch einmal dem Deckenbild zu, das er an mehreren Stellen veränderte.
Prof. Hann Trier bei der Arbeit mit dem Schwamm am Deckenbild im Weißen Saal von Schloss CharlottenburgSchloss Charlottenburg
Hann Trier
Maler des Deckenbildes im Weißen Saal von Schloss Charlottenburg.
Hier geht es zur Transkription des O-Tons.
Prof. Hann Trier bei der Bemalung der Decke des Weißen Saals im Schloss Charlottenburg (1972)Schloss Charlottenburg
Nach sieben Jahren
Prof. Hann Trier bei der Bemalung der Decke des Weißen Saals im Schloss Charlottenburg, 1972
Hann Trier schrieb, dass für ihn in den zehn Monaten Arbeit eine „goldene Hochzeit aus Auge und Hand“ steckte. Er ließ „diesmal dem Auge den Vortritt vor der Hand. Kann man doch kaum schauenden Auges Jahrzehnte lang malen, ohne zu sehen, dass einen das Gemalte allmählich anblickt. Durch die Augen fällt es zurück in die Ausgangshände, und da begreift es sich erst neu […]“.
Berlin, Schloss Charlottenburg, Neuer Flügel, Weißer Saal, Deckengemälde (1972) von Hann TrierSchloss Charlottenburg
Nach sieben Jahren
Berlin, Schloss Charlottenburg, Neuer Flügel, Weißer Saal, Deckengemälde von Hann Trier, 1972, Zustand 2018
Hann Trier selbst verglich das 120 qm große vollendete Deckenbild einmal mit einer Schlacht. Genauer beschrieb er die Schlacht von Fehrbellin 1675 während des Schwedisch-Brandenburgischen Krieges als Teil des Dramas „Prinz Friedrich von Homburg oder die Schlacht bei Fehrbellin“ von Kleist.
Nach sieben Jahren
Die blauen dynamischen Strukturen im Norden beschrieb er als brandenburgisch-preußische Kavallerie, vor der die Schweden zurückweichen. In der Umgebung erzeugen die kriegerischen Handlungen Rauch und Staub.
Berlin, Schloss Charlottenburg, Neuer Flügel, Weißer Saal, Deckengemälde (1972) von Hann TrierSchloss Charlottenburg
Nach sieben Jahren
Die Gitter- oder auch Gerippe-artigen Strukturen beschreibt Trier als Bänder von sogenannten Genien (Schutzgeister), die sich durch einen starken Wind ineinander verfangen haben.
Nach sieben Jahren
Die Schlacht wandelt sich laut Trier weiter in die vier Jahreszeiten mit dem Frühling im Westen, dem Sommer im Norden, dem Herbst im Osten und dem Winter im Süden. Eine andere Möglichkeit wäre, so Trier, die vier Kontinente zu sehen. Nur vier Erdteile, weil Ozeanien im barocken Preußen noch nicht bekannt war. All diese Motive – Schlachten, Erdteile, Jahreszeiten – sind für den Barock immer wiederkehrende Bildthemen, auf die Trier damit Bezug nimmt.
Berlin, Schloss Charlottenburg, Neuer Flügel, Weißer Saal, Deckengemälde (1972) von Hann TrierSchloss Charlottenburg
Nach sieben Jahren
Als Abschluss seiner Ausführungen über das Deckenbild stellt Trier jedoch eines klar – und damit das zuvor Gesagte auch wieder in Frage: „Die Distanz zur Figur, zum Dargestellten, die ist mitgemeint.“ Die Abkehr vom Figürlichen, dem Fassbaren, das, was die Kunst Hann Triers ausmacht, ist eigentlich gemeint und zwar in einer Zeit, „die zur Annahme neigt, Kunst sei je fassbarer desto besser“.
Zum Entdecken tippen
Berlin, Schloss Charlottenburg, Neuer Flügel, Weißer Saal
Bewegen Sie sich durch den Weißen Saal und werfen Sie einen Blick an die Decke.
(Am PC drücken Sie die linke Maustaste und bewegen die Maus. Mit einem Klick auf die weißen Pfeile können Sie durch den Raum gehen.)
Berlin, Schloss Charlottenburg, Neuer Flügel, Weißer Saal, Deckengemälde (1972) von Hann TrierSchloss Charlottenburg
Hann Trier
Maler des Deckenbildes im Weißen Saal von Schloss Charlottenburg.
Hier geht es zur Transkription des O-Tons.
Berlin, Schloss Charlottenburg, Neuer Flügel, Weißer Saal, Ausschnitt aus dem Deckengemälde, Kartusche im Osten mit Inschrift (1972) von Hann TrierSchloss Charlottenburg
Nach sieben Jahren
Berlin, Schloss Charlottenburg, Neuer Flügel, Weißer Saal, Ausschnitt aus dem Deckengemälde von Hann Trier, Kartusche im Osten mit Inschrift, Zustand 2018
In einer der Kartuschen fügte Hann Trier eine Inschrift ein, die vom Boden aus kaum erkennbar ist.
HOC COELVM NOVVM MARTIN SPERLICH CREANDVM ESSE CENSVIT POST VII CERTAMINIS ANNOS AVDITA ET ALTERA PARTE SENATOR STEIN PINGI IVSSIT. HANN TRIER MCMLXXII X MENSIBVS MANV SVA PINXIT. DECEMBER 1972
Berlin, Schloss Charlottenburg, Neuer Flügel, Weißer Saal, Ausschnitt aus dem Deckengemälde, Kartusche im Osten mit Inschrift (1972) von Hann TrierSchloss Charlottenburg
(frei übersetzt) "Martin Sperlich entschied diesen neuen Himmel zu schaffen, und nach sieben Jahren des Streites, in denen auch die andere Seite angehört wurde, veranlasste Senator Stein, dass er gemalt werde.
Von Hann Trier 1972 in zehn Monaten mit eigener Hand gemalt.
Dezember 1972“
Eine Decke als Problem: Der Weg zu Hann Trier
Projektleitung: Samuel Wittwer
Konzept und Umsetzung: Jule Sophie Christ
Mitarbeit: Florian Dölle
Text: Jule Sophie Christ / Berlinische Galerie
Besonderer Dank gilt der Kunststiftung Hann Trier und der Berlinischen Galerie.
Interessiert am Thema „Geschichte“?
Mit Ihrem personalisierten Culture Weekly erhalten Sie Updates
Fertig!
Sie erhalten Ihr erstes Culture Weekly diese Woche.