Fernweh

Eine Weltreise in Stadtplänen

Cäcilie von RodtBavarian State Library

Die Schweizerin Cäcilie von Rodt (1855-1929), aus einer Berner Patrizierfamilie stammend, verkaufte nach dem Tod ihrer Eltern deren Landgut. Inspiriert von den Abenteuerautoren ihrer Jugend - wie James F. Cooper und Jules Verne - ging sie fortan auf Reisen. Nach ersten Touren im Mittelmeerraum begab sie sich im Mai 1901 allein auf ihre erste Weltreise, auf der sie den Globus einmal komplett von Ost nach West umrundete.

Sie hielt ihre Erfahrungen schriftlich fest und veröffentlichte sie 1903 in einem 715-seitigen, reich illustrierten Bericht.

Wissenshungrig beschäftigt sie sich mit der Geschichte jedes bereisten Landes, vergleicht aufmerksam die unterschiedlichen Frauenbilder der angetroffenen Kulturen, äußert Beobachtungen zum Verhalten von Repräsentanten der Kolonialmächte und erzählt begeistert von Reiselust, unterhaltsamen Reisegruppen, lebhaften Großstädten und überwältigenden Natureindrücken.

Anhand ihrer Reiseroute präsentiert die Bayerische Staatsbibliothek eine Auswahl an zeitgenössischen Stadtplänen aus der Kartensammlung. Zitate und Illustrationen aus dem Reisebericht werden ergänzt durch weitere Fotos aus den Beständen des Bildarchivs der Bibliothek.

Stadtplan von BernBavarian State Library

Bern

1911

Durchblick durch den KäfigturmBavarian State Library

"Natürlich fehlte es nicht an Ratschlägen, Abmahnungen und Warnungen. War es ja in meinen Bekanntenkreis etwas ganz Unerhörtes, nie Dagewesenes, dass eine Dame, eine wirkliche, leibhaftige Dame, ohne männlichen Schutz, unbegleitet und ungeleitet, sich über die gewohnten Grenzen hinaus bis zu den Urwaldstieren oder gar den Menschenfressern wagen sollte. Aber - des Menschen Wille ist sein Himmelreich - und ich reiste ab."

Panorama von BernBavarian State Library

"Wie verlockend klang es mir dagegen aus dem Räderwerk: frei! frei! Unbändige Reiselust prickelte mir in den Adern, und in unabsehbarer Weite dehnte sich die Zukunft: Blaue Meere, wehende Palmen, buntgefiederte Vögel - braune, schwarze, gelbe Menschenkinder...! O all der Herrlichkeiten..."

Stadtplan von ParisBavarian State Library

Paris

[ca. 1890]

Panorama von ParisBavarian State Library

Paris - Boulevard des CapucinesBavarian State Library

Stadtplan von New YorkBavarian State Library

New York City

1896

BrooklynbridgeBavarian State Library

"Wir waren gerade daran, an Staaten- und Long Island vorbei durch die sogenannten "Narrows" in die New York Bai einzubiegen, und im Morgennebel eingehüllt, liegt die Riesenstadt New York vor uns. Ihre zwei nahezu ebenso großen Töchter, Brooklyn und Jersey City, stehen ihr zur Seite. […] Einfahrt und Hafen von New York gewähren einen herrlichen Anblick. Hinter dem Mastenwalde der Schiffe aller Nationen breitet sich, für den fremden Ankömmling beängstigend schier, die Stadt aus, endlos, riesengroß."

BroadwayBavarian State Library

"Im Tram durchkreuzte ich möglichst viele Straßen und wunderte mich über die Kontraste, die besonders in der Bauart hervortreten. Sogenannte Sky Scrapers, Mietskasernen und Hotels, die oft fünfzehn Stockwerke zählen, wechseln zuweilen noch mit kleinen alten ein- und zweistöckigen Holzhäusern ab, und mitten in der Prosa einer banalen Häuserreihe erhebt sich oft eine zierliche, mit grünem Efeu umsponnene gotische Kirche."

Niagara FallsBavarian State Library

Niagara Falls

1875

Niagara FallsBavarian State Library

"Ich weiß nicht, was ich mir unter dem Niagara vorgestellt hatte. Es war alles so anders, so viel herrlicher, da ich nun zum erstenmal in der Abenddämmerung auf Prospektpoint stand und hinunterschaute auf die schäumende, tobende Wassermasse."

Niagara FallsBavarian State Library

"Während vier Tagen habe ich die Niagarafälle gesehen, frühmorgens und beim Sonnenuntergang, bei hellem Sonnenschein und bewölktem Gewitterhimmel, und immer wieder fühlte ich mich gleich mächtig den Zauber dieses Naturwunders. Beschreiben lassen sie sich so wenig wie eine Sinfonie von Beethoven. Man muss sie eben selbst hören und sehen, und dieser Anblick lohnt schon an und für sich die Reise über den Ozean."

San FranciscoBavarian State Library

San Francisco

1893

San Francisco - Market StreetBavarian State Library

„Mir hat diese Stadt besser als jede andere in Amerika gefallen. Mit Vergnügen denke ich noch an die Fahrten im offenen Tramcar durch ihre hügligen, luftigen Straßen. Das saust zuweilen so jäh abwärts, dass es einem ordentlich den Atmen nimmt, wie auf der russischen Rutschbahn, und dabei dieser frische salzige Wind vom Ozean her!“

Panorama von San FranciscoBavarian State Library

Stadtplan von TokioBavarian State Library

Tokio

[1905]

Tokio von obenBavarian State Library

„Das Französische ist nicht mehr Weltsprache. An seine Stelle ist das Englische getreten und beherrscht den ganzen Osten. Überall hat es sich neben dem Landesidiom zur Umgangs- und noch mehr zur Handelssprache gemacht. Wer sich da drüben eine Existenz schaffen will, muss vor allem gehörig Englisch verstehen, und auch für den Weltreisenden ist dies unumgänglich notwendig.“

Iris in TokioBavarian State Library

Shiba-Park, TokioBavarian State Library

„In jenen Septembertagen herrschte eine furchtbare Hitze, und dabei strebte ich in möglichst kurzer Zeit möglichst viel zu sehen. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, bilden Shibatempel, Shogunengräber und Ueno-Museum ein farbenprächtiges Kaleidoskop, aus dem mir kühl erfrischend das Bild des großes Lotosteiches mit seinen rosa Blüten im Ueno-Park und friedlich weihevoll der Friedhof von Sengakuji entgegenleuchtet.“

Stadtplan von PekingBavarian State Library

Peking

[ca. 1920]

Per SchubBavarian State Library

„Jetzt endlich fühlte ich mich in einer Großstadt! Welch lautes Leben und Treiben plötzlich ringsum! Auf Eseln, in Sänften, Jinrikishas, auf sogenannten Pekingkarren, zu Fuße wand sind unaufhörlich ein bunter Zug, in welchem die blaue Baumwolle die Grundfarbe spielte, an mir vorbei.“

Sommerpalast in PekingBavarian State Library

Großer HimmelstempelBavarian State Library

„Durch die Heirat wird die Frau in Europa unter Kuratel gestellt, sie wird ein Mündel, und das Gesetz gibt dem Mann seiner Frau gegenüber Waffen in die Hand, mittelst deren er ihr sogar die Freiheit entziehen kann, über ihr Eigentum zu verfügen. Das sind Eigentümlichkeiten, über welche sich die chinesischen Frauen wundern würden, denn sie können den Gatten in allen Lagen vertreten, wo es sich um Familienakte handelt. Das Gesetz gestattet ihnen, zu kaufen und zu verkaufen, die gemeinschaftlichen Güter zu veräußern, Handelsgeschäfte abzuschließen, die Kinder zu verheiraten und ihnen eine beliebige Mitgift zu bewilligen.“

Stadtplan von KantonBavarian State Library

Kanton

1905

Segelboot auf dem Perlfluss bei KantonBavarian State Library

„Kanton, Chinas volksreichste Stadt, liegt hier am bis 7 Meter tiefen Perflusse. In ihren engen Gassen sollen 1½ Millionen Menschen wohnen, und eine Million lebt auf dem Wasser, in den Kanälen und Flussarmen der Stadt. Tausende von Sampans und Fahrzeugen aller Art und Größe sind die Heimstätte ebensovieler tausender chinesischer Familien. Dort leben und sterben sie, Großeltern, Eltern, Kinder, Ziegen, Hunde, Katzen, Hühner.“

Stadttor bei KantonBavarian State Library

„Frühmorgens durchzogen wir die Straßen Kantons, diesmal zu Fuß, aber mit dem Führer, denn niemals hätten wir uns durch das Straßenlabyrinth allein zurechtgefunden. Das geht kreuz und quer, und einige Gassen sind so eng, dass man mit ausgestreckten Armen beide Seiten berühren kann.“

Stadtplan von SingapurBavarian State Library

Singapur

[1895]

Regatta im Hafen von SingapurBavarian State Library

„Nach viertägiger schöner und günstiger Fahrt lagen wir den 17. November 1901 vor Singapur. Grüne üppig bewachsene Hügel empfingen uns, und eine bronzefarbene Gesellschaft, die als Muschelverkäufer in flachen Booten oder als Taucher auf ausgehöhlten Baumstämmen in leichtester Toilette unseren Schiffskoloss umschwärmten.“

Stadtplan von BangkokBavarian State Library

Bangkok

1917

Wat PrateoBavarian State Library

„Noch eine große Windung machte der Menam, dann lag plötzlich Bangkok vor uns, das zivilisiert moderne, mit den hohen Fabrikschloten und den eleganten, weißen, königlichen Dampfern, die hier vor Anker liegen, und Bangkok das hinterindische, mit seinen Palmen und süßduftenden Plumerien-Bäumen und den am Ufer badenden, braunen Menschen.“

Im PalastviertelBavarian State Library

„Ein herrlicher Mondabend. Süße Düfte der beiden Tempelblumen, der Plumeria und des Ylang-Ylang, erfüllten die sommerweiche Luft. Im offenen Zweispänner des Dr. R. fuhren wir durch ganz Bangkok Dussitpark zu, der neuesten Schöpfung des Königs. Dussit ist der siamesische Name für Paradies, und „Dussit“ schien’s auch wirklich für das ganze bunte Völkchen, welches sich freudestrahlend im großen Parke bewegte.“

Karte von BenaresBavarian State Library

Benares

1928

Große Moschee in BenaresBavarian State Library

„Benares! Der Name hatte jahrelang einen unsäglichen Zauber auf mich ausgeübt! Lag es an den poetischen Schilderungen des sagenumwobenen Ganges, lag es an dem weichen Wohlklange des Wortes Benares? Ich weiß es nicht. Jetzt denke ich an die heilige Stadt zurück, wie an eine Vision von Schönem, Traurigem und Schrecklichem, und dabei überwiegen entschieden die beiden letzten Eindrücke.“

Tempel in BenaresBavarian State Library

„Am Ufer drängt sich Tempel an Tempel, Palast an Palast, Treppe, Ghat genannt, an Treppe. Man zählt ihrer 47. Manchmal auf der halben Höhe ihrer langen Flucht stehen kleinere Heiligtümer. Das bizarre, hohe, indische Dach, welches sie krönt, erinnert an eine Flamme. Manchmal steht auch ein Pavillon oder ein geflochtener Schirm da, in dessen Schatten der fromme Pilger stundenlang nach dem Bade in stiller Andacht vor sich hinträumt.“

Karte von ColomboBavarian State Library

Colombo

[ca. 1850-1862]

Hütte bei ColomboBavarian State Library

„Die Vorstädte Colombos möchte ich mit einem stundenweit sich ausdehnenden Parke vergleichen, in dem hie und da eine malerische Singhalesenhütte, ein weißes Bungalow hervorlugt. Dazwischen fährt man in einem wunderbaren Labyrinthe von hohem Bambus, hellglänzenden Bananen-Büschen, wehenden Kokospalmen, vielstämmigen Banyan-Bäumen. Alles ist grün und frisch, denn am Wasser leidet Ceylon keinen Mangel.“

Park in ColomboBavarian State Library

Straße in ColomboBavarian State Library

Stadtplan von KairoBavarian State Library

Kairo

1904

Straßenszene in KairoBavarian State Library

„Kaum vermag die enge, alte Straße die Menschenmenge zu fassen, die von früh bis spät auf- und niederwogt. Wunderbar erscheint es geradezu, dass die elektrische Trambahn, die unzähligen Wagen und die durch das Gedränge wuchtig einherschreitenden Kamele nicht täglich ihre Opfer fordern. Und dabei das sinnverwirrende Geschrei der Händler, Kutscher, Esels- und Kameltreiber, der Bettler, Wasserträger und Sais.“

SaisBavarian State Library

Zitadelle in KairoBavarian State Library

„Alle Wohlgerüche Arabiens empfangen uns in einem anderen Sûk. Der kleine arabische Junge, der sich als Führer an unsere Sohlen geheftet hat und uns wie ein Schatten folgt, nennt ihn den „smell-Bazar“. Da werden Weihrauch, Myrrhen, Balsam, Sandelholz, Rosenöl und all die von dem Orientalen so geliebten Parfüms feilgehalten. Meist bilden hier Perser in reichen, buntseidenen Gewändern die Verkäufer. Geheimnisvoll blicken lange, mandelförmig geschnittene Augen mich an, geheimnisvoll wird meine Hand erfasst. Will der Perser mein Schicksal daraus lesen? Nein, ein kleiner Tropfen wohlreichendes Wasser wird hineingeträufelt, der starke Geruch bleibt den ganzen Tag darin haften.“

Stadtplan von NeapelBavarian State Library

Neapel

[1911]

Via Roma in NeapelBavarian State Library

Santa Lucia in NeapelBavarian State Library

„Von Kindheit an träumte ich eine Weltreise, wachend und schlafend schwebte sie mir vor, bald greifbar nahe, bald in unendliche Fernen entrückt. O gütiges Schicksal, das mir das Ersehnte gewährt! O ewig schöner Traum, der du Wahrheit geworden! Entschwunden bist du, vorbei! - - und verwirrt, ernüchtert blicke ich um mich, blicke sehnsüchtig zurück in all die versunkene Pracht, und fragend drängt es sich auf die Lippen: War’s am Ende dennoch nur ein Traum?“

Credits: Story

Fernweh - Eine Weltreise in Stadtplänen

Kabinettpräsentation des Bildarchivs
9. April bis 29. Juni 2018

Kuratorin: Alisa Fowler

Bayerische Staatsbibliothek
Ludwigstraße 16
80539 München

Reisebeschreibungen und Bildmaterial:
Rodt, Cäcilie von (1903): Reise einer Schweizerin um die Welt. Neuenburg: Zahn.

Karten und weiteres Bildmaterial:
- Kartensammlung und Bildarchiv der Bayerischen Staatsbibliothek
- Behrmann, Hermann (1911): Bern die schweizerische Bundesstadt, Kartenbeilage
- Brockhaus' Konversations-Lexikon (1892 - 1895). Leipzig: Brockhaus. Band 14, Artikel Singapur
- Baedecker, Karl (1893): Nordamerika: die Vereinigten Staaten nebst einem Ausflug nach Mexiko. Leipzig: Baedecker.
- An official guide to Eastern Asia (1917). Tokyo: Imperial Japanese Government Railways. Band 5: East Indies, Kartenbeilage

Credits: All media
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