Kaiser Maximilian I., Kardinal Matthäus Lang von Wellenburg und Ludwig SenflBayerische Staatsbibliothek
Kaiser Maximilian I., Kardinal Matthäus Lang von Wellenburg
Ludwig Senfl war seit 1498 als Sänger, Kopist und Komponist in der Hofkapelle Kaiser Maximilians I. aktiv. Nach dem Tod des Kaisers im Januar 1519 und der Auflösung der kaiserlichen Hofkapelle durch Karl V. (1520) fand sich Senfl arbeitslos wieder. Die Forschung hat nur ungefähre Anhaltspunkte von den Aufenthalten und Tätigkeiten des Komponisten in den Jahren bis zu seiner Anstellung in München am Hof Wilhelms IV. (1523).
Ein zentrales und außergewöhnliches Dokument jener Jahre ist der Chorbuchdruck des Liber selectarum cantionum, bei dem Senfl als Redakteur mitwirkte und für den der Humanist und kaiserliche Berater Konrad Peutinger das Nachwort schrieb. Dieser Druck – die erste Motettenanthologie nördlich der Alpen – wurde 1520 in der Offizin von Sigmund Grimm & Marx Wirsung in Augsburg veröffentlicht. Er beinhaltet Repertoire der Hofkapelle des verstorbenen Kaisers und ist Kardinal Matthäus Lang von Wellenburg gewidmet. Lang gehörte zum engsten Umfeld Maximilians I. und weilte als Leiter der Wahlkommission für Karl V. von Frühjahr bis Anfang Juni 1519 in Augsburg.
Lang hatte seine musikalische Ausbildung am Hof Herzog Georg des Reichen von Bayern-Landshut genossen und verfügte über eine außergewöhnlich schöne Stimme (was von Zeitzeugen immer wieder betont wird). Wie Wilhelm IV. übernahm auch der Kardinal einige Musiker aus der ehemaligen kaiserlichen Hofkapelle, darunter den Hoforganisten Paul Hofhaimer. Diese Liebe zur Musik wird etwa durch die Motette Ave mundi spes, Maria bezeugt, in die als musikalischer cantus firmus die Widmung „Matheo Gurcensi Episcopo dedicatum“ eingearbeitet ist. Das Chorbuch Mus.ms. 510 war für den Kardinal bestimmt, wurde aber nie überreicht (erkennbar an der begonnenen, aber nicht fertiggestellten Silberstiftzeichnung auf der Eröffnungsseite). Stattdessen wanderte es mit den beiden damit verwandten Handschriften Mus.ms. 65 und Wolfenbüttel Cod. Guelf. A Aug. 2° – vmtl. im Zuge der Anstellung Ludwig Senfls am Münchner Hof – in den herzoglichen Besitz.
Totenbildnis Kaiser Maximilians I.. Chronik (Ehrenspiegel des Hauses Österreich VII), Augsburg ca. 1559. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Cgm 896, fol. 338v
Maximilian I. von Habsburg (1459–1519), Brustbild nach rechts. Medaille (Silber, gegossen), [Österreich] 1518. Staatliche Museen zu Berlin, Münzkabinett, Signatur: 18255952, Vorderseite
Vorderseite: Brustbild des Kaisers mit Bügelkrone und Harnisch nach rechts, das Feld eingefasst mit den Worten SO IST DIN RICH ONVBERVVNTLICH M D XVIII.
Hofkapelle unter der Leitung des Georg Slatkonia, Bischofs von Wien aus der Folge „Der Triumphzug Kaiser Maximilian I.“ (Probeabzug). Holzschnitt, Probedruck, teilweise koloriert, 1516–1519. Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstichkabinett, Signatur: A 4878,
Auf einem mit Apoll und den neun Musen verzierten Wagen befindet sich die Hofkapelle Kaiser Maximilians I. Einzelne Mitglieder der Kapelle sind auf diesem Probeabzug namentlich genannt: Am linken Bildrand stehen der Kapellmeister Georg Slatkonia (seit 1513 erster residierender Bischof von Wien) sowie der Hofkomponist Heinrich Isaac; rechts neben der als „Ysaac“ bezeichneten Person steht der Bassist Nicodemus Killwanger/Kullwanger; im vorderen Teil des Wagens der Trompeter Hans „Steydlin“ und der Posaunist bzw. Zinkenist Augustin „Schubinger“.
Triumphzug Kaiser Maximilians I., Kopie nach dem von Albrecht Altdorfer (Werkstatt) um 1513/1515 angelegten, heute unvollständigen Original in der Albertina (Graphische Sammlung, D 292). Kolorierte Zeichnung, [Österreich] 1550–1599. Österreichische Nationalbibliothek, Signatur: Cod. Min. 77, fol. 10r
In dieser kolorierten Kopie des Triumphzugs Kaiser Maximilian I. werden auf zwei, von Kamelen gezogenen Wägen Musiker der kaiserlichen Hofkapelle abgebildet: Auf dem linken Wagen sitzen Musiker mit verschiedenen Saiten- und Rohrblattinstrumenten, auf dem rechten Wagen wird dagegen der kaiserliche Organist Paul Hofhaimer (1459–1537), links am Regal sitzend dargestellt; rechts wird ein sogenanntes Schalmeyenpositiv mit Pfeifen in der Form von aufrecht stehenden Trompeten gespielt.
Motette Ave mundi spes Maria
Die musikalische Basis für diese Motette, die Matthäus Lang in seiner Funktion als Bischof von Gurk (Kärnten) gewidmet ist, bilden zwei cantus firmus, die durch Kanonanweisungen in Form von Hexametern erklärt werden.
Matthäus Lang von Wellenburg (1468–1540), Büste nach links. Medaille (Bronze, gegossen), 1514–1519. Staatliche Museen zu Berlin, Münzkabinett, Signatur: 18214133, Vorderseite
Vorderseite: MATHEVS CARD GVRCENS COADIVTOR SALSBVRGENS (ligierte Initialen HE); Rückseite: glatt
Untextierter mehrstimmiger Satz. Chorbuch (Augsburger Liederbuch), Augsburg 1505–1514. Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, Signatur: Cod 142a, fols. 17v–18r
Untextierter, mehrstimmiger Satz mit dem Vermerk „Reverendissimus dominus Matheus Sancti Angeli“, der sich vermutlich auf Matthäus Lang bezieht. Lang wurde am 9. Dezember 1514 zum Kardinal ernannt und unter diesem Namen als Teilnehmer des 5. Laterankonzils in Rom geführt.
Konrad Peutinger (1465–1547). Medaille, 1517. Staatliche Museen zu Berlin, Münzkabinett,, Inventarnummer: 18200830, Vorderseite
Vorderseite: Brustbild des Konrad Peutinger nach links, mit bloßer Brust, unbedecktem Haupt und längerem Haar; Rückseite: glatt
Inhaltsverzeichnis, Wappen von Matthäus Lang von Wellenburg. Chorbuch, Augsburg 1520. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: 2 Mus.pr. 19, fols. Iiv–iiir
Nachwort von Konrad Peutinger, Rätselkanon Salve Sancta Parens. Chorbuch, Augsburg 1520. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: 2 Mus.pr. 19, fols. 272r
Nachwort von Konrad Peutinger, Rätselkanon Salve Sancta ParensBayerische Staatsbibliothek
Ludwig Senfl: Salve Sancta Parens
Interpret: Vox Nostra
Ludwig Senfl (ca. 1490–1543): Salve Sancta Parens. Interpret: Vox Nostra
Brustbild Ludwig Senfls nach links. Medaille, 1519. Stockholm, Kungliga Myntkabinettet – Sveriges ekonomiska museum, Inventarnummer: 3163975 (© Photo: Martin Tunefalk, Economy Museum – Royal Coin Cabinet/SHM (CC BY))
Brustbild von Ludwig Senfl nach links, mit geschlitztem und gepufftem Barrett, halblangem Haar und plissiertem Hemd
Missa de beata Virgine (Beginn des Kyrie). Chorbuch, München 1510–1530 (ca. 1518). Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Mus.ms. 510, fols. 1v–2r
Die frühe Hofkapelle unter Herzog Wilhelm IV. und Jacobäa von BadenBayerische Staatsbibliothek
Die frühe Hofkapelle
unter Herzog Wilhelm IV. und Jacobäa von Baden
Obwohl bereits unter Albrecht IV. (1447–1508) mehrstimmig musiziert worden sein dürfte, wird die Hofkapelle als professionelles Ensemble erst seit der Anstellung Ludwig Senfls, also nach 1523 greifbar. Zu Beginn der 1520er Jahre war Wilhelm IV. offenbar an einem zielgerichteten Ausbau der Kapelle interessiert. Eine der frühesten Handschriften, die an den Hof gekommen sein dürfte, ist die Handschrift Wolfenbüttel, Cod. Guelf. A Aug. 2°, deren Schreiber uns auch in den Münchner Chorbüchern Mus.ms. 510 und Mus.ms. 65 begegnet. Auch erwirbt der Münchner Herzog Chorbücher aus dem niederländischen Alamire-Skriptorium.
Senfl dürfte schließlich einen umfangreichen Bestand an Repertoire aus der aufgelösten kaiserlichen Hofkapelle mit nach München gebracht und teilweise überarbeitet haben. Die Werke, die – wie die Credo-Vertonungen Heinrich Isaacs aus Mus.ms. 53 – mitunter unikal überliefert sind, wurden neu aufgeschrieben und schließlich zu Chorbüchern gebunden. Obwohl von Verlusten auszugehen ist, stellen die noch zahlreich erhaltenen Chorbücher heute einen Bestand von herausragender musikhistorischer Bedeutung dar.
Herzog Wilhelm IV. von Bayern. Gemälde, München 1526. Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek München, Inventarnummer: 17, Vorderseite
Am 5. Oktober 1522 heirateten Wilhelm IV. von Bayern und Maria Jacobäa von Baden. Ob Senfl bei der Hochzeit anwesend war, kann nicht belegt werden, doch finden sich im Liedschaffen dieses Komponisten gleich mehrere Lieder, die sowohl in ihrer Hochzeitsthematik als auch mit einem Akrostichon auf die Braut anspielen.
Herzogin Maria Jacobäa von Baden (1507–1580). Gemälde, München 1526. Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek München, Inventarnummer: 18, Vorderseite
Missa Miserere mihi domine (Beginn des Kyrie). Chorbuch, Brüssel / Mecheln ca. 1508–1530. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Mus.ms. 6, fols. 37r–38v
Um 1520 scheint sich Wilhelm IV. um die Erweiterung des Repertoires seiner Hofkapelle bemüht zu haben. Das hier gezeigte Chorbuch, das – wie das bayerische Wappen auf fol. 38v zeigt – offenbar für Herzog Wilhelm IV. angefertigt wurde, stammt aus der Werkstatt des Petrus Alamire (ca. 1470–nach 1534). Alamire war seit Beginn des 16. Jahrhunderts in den Niederlanden als Musikschreiber für den burgundisch-habsburgischen Hof tätig und übernahm ein Skriptorium, das in den Niederlanden kalligraphisch reich geschmückte Handschriften herstellte.
Vorsatzblatt mit dem Titel der Handschrift. Chorbuch, München ca. 1523–1525. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Mus.ms. 3, fol. 1r
Sollte dieses Chorbuch nicht Jacobäa von Baden anlässlich ihrer Hochzeit mit Wilhelm IV. präsentiert worden sein (wie es die kaligraphische Ausführung des Inhalts auf fol. 1r und die kolorierte Federzeichnug des Wappens des Hauses der Markgrafen von Baden auf fol. 2r vermuten lässt), gehört die Handschrift zu den frühesten Quellen, die für die Münchner Hofkapelle angefertigt wurde. Sie enthält ausschließlich fünfstimmige Messen von Senfls Lehrer Heinrich Isaac. Dabei handelt es sich nicht um mehrstimmige Choralordinarien für Ostern, Marien-, Apostel-, Märtyrer, Bekenner- und Jungfrauenfeste, die zusammen mit Proprienvertonungen für die Liturgie des Kirchenjahres verwendet werden konnten.
Vorsatzblatt mit dem Wappen der Markgrafen von Baden. Chorbuch, München ca. 1520. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Mus.ms. 3, fol. 2r
Der ehlich Stand (SC S 47). Tabulatur, Heidelberg 1558. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: 2 Mus.pr. 108, fols. 68v-69r
Im Hochzeitslied Der ehlich Stand wird am Ende jeder Strophe eine gewisse „Jacobe“ angesprochen.
Das Lied spielt damit vermutlich auf die Hochzeit Maria Jacobäas von Baden mit
Wilhelm IV. an (5. Oktober 1522). Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine
Lautenintabulierung von Sebastian Ochsenkun (1521–1574), der womöglich von Wilhelms Schwager, Pfalzgraf Ottheinrich, 1536 zur Ausbildung an den Hof nach München geschickt worden war.
Der ehlich Stand (SC S 47)Bayerische Staatsbibliothek
Ludwig Senfl: Der ehlich Stand
Interpret: Stefan Grasse
Die Strophenanfänge dieses Liebes- oder Hochzeitsliedes bilden das Akrostichon „MA-RI-A Jacobe“.
Mach mich mein Glück (i) (SC S 215). Stimmbuch (Tenor), Augsburg vor 1527. Ludwig-Maximilians-Universität, Universitätsbibliothek, Signatur: 8° Cod. ms. 328–331, fols. 95v–96r
Auch die Strophen dieses Liedes bilden das Akrostichon „MA-RI-A Jacobe“, was unmittelbar an die Hochzeit des Herzogspaares im Oktober 1522 denken lässt und eine Entstehung um diese Zeit wahrscheinlich macht.
Die Handschrift wurde vom Organisten der Augsburger Patrizierfamilie Fugger, Bernhard Rem, geschrieben, vermutlich für Hieronymus Welser, dessen Wappen am Beginn der Stimmbücher Altus, Tenor und Bassus eingemalt ist. Welser hat die Stimmbücher allerdings bereits vor dem Binden an den Schweizer Humanisten Heinrich Glarean (1488–1563) weiterverkauft.
Credo I. toni. Chorbuch, München ca. 1525. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Mus.ms. 53, fols. 28v–29r
Das Chorbuch enthält ausschließlich Credo-Vertonungen, die allesamt für die Messgottesdienste am Münchner Hof zu gebrauchen waren. Es fällt allerdings auf, dass sich unter den 18 notierten Werken allein 13 Sätze von Senfls Lehrer Heinrich Isaac befinden. Mus.ms. 53 ist die einzige Handschrift weltweit, die diese Credo-Sätze überliefert.
Brief an Herzog Wilhelm IV.. Brief, München 5. November 1523. Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Signatur: Kurbayern Äußeres Archiv 4101, fol. 181 Transskription: Durchleuchtiger Hochgeborner Furst. Genediger Herr etc. E F Durch= leuchtighait seien mein vnderthenigist gehorsamist dienst altzeit Zu= uor berayt. Genediger Herr. Es ist Zu mir komen her hans Turc= khamer, vicarj der pharr partenkirch In E F d. furstentumb gele= gen. hat mir angezaigt wye Er preces primas Noch von kayse
Zwischen Frömmigkeit und ReformationBayerische Staatsbibliothek
Zwischen Frömmigkeit und Reformation
Die Wittelsbacher Herzöge fühlten sich seit jeher der Münchner Frauenkirche, der Domkirche zu Unserer Lieben Frau, verbunden. Sie unterstützten deren Neubau am Ende des 15. Jahrhunderts maßgeblich, wobei nicht nur Religiosität, sondern auch Pragmatismus, Konkurrenzdenken, politisches Kalkül und Prestige eine Rolle gespielt haben dürften. Wilhelm IV. setzte die Marienverehrung seines Vaters fort und baute sie in großem Stil aus – eine Haltung, die sicherlich der Gläubigkeit des Herzogs geschuldet war, die aber ebenso sehr auch Kalkül gewesen sein mag. Schließlich sah sich der Herzog als Bewahrer des katholischen Glaubens, was in verschiedensten künstlerischen Werken ihren Ausdruck fand.
Diese Einstellung änderte sich auch nicht mit dem Aufkommen der Reformation. Ganz im Gegenteil: Wilhelm IV. intensivierte das schon ohnehin rege Stiftungswesen der Herzöge und nutzte die Frauenkirche als Hofkirche für offizielle Messbesuche und Feierlichkeiten. Wenngleich eine genaue Aufarbeitung der Frömmigkeitsgeschichte seiner Regierungszeit noch immer aussteht, kann dies anhand verschiedener musikalischer Quellen und Kompositionen nachvollzogen werden, die entweder durch Wilhelm angeregt oder dezidiert mit Blick auf seinen Hof um die Mitte der 1520er Jahre angefertigt wurden.
Die Wittembergisch nachtigall, Die man yetz höret uberall. Buch, Bamberg 1523. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Rar. 1535, fol. 1r
Mit der Wittenbergisch Nachtigall gelang dem Nürnberger Schuhmacher und Meistersinger Hans Sachs 1523 eines der prägenden literarischen Werke in der Frühzeit der Reformation. Das Titelblatt dieses allegorischen Spruchgedichts, in dem die Lehre und Kirchenkritik Martin Luthers dargestellt werden sollte, zeigt eine in einem Baum singende Nachtigall (Martin Luther), die über einer Schar von Tieren zwitschert, die gegen die Nachtigall nichts ausrichten können und die Gegner Luthers symbolisieren (Löwe = Papst Leo X.; Wildschwein = Johannes Eck).
Salve Regina. Chorbuch, Brüssel / Mecheln 1521–1530. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Mus.ms. 34, fols. 1v–2r
Wie Mus.ms. 6 und Mus.ms. 7 gehörte auch Mus.ms. 34 zu jenen Handschriften, die um 1520 an den Münchner Hof gelangten, sei es durch Schenkung wie das heute in Wolfenbüttel verwahrte Chorbuch oder durch Ankauf zur Repertoireerweiterung. Diese Handschriften waren jedoch zu wertvoll, um sie der Hofkapelle zu überlassen und blieben Bestand der herzoglichen Kunstkammer. Die Werke wurden in der Regel in Gebrauchshandschriften kopiert.
Der Sturz des Papsttums. Holzschnitt (Einblattdruck), 1525. Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Signatur: Einbl. YA 273 gr,
Nachdem sich Martin Luther nicht nur zu kirchlichen Missständen geäußert hatte – was für die Münchner Herzöge kein Problem darstellte –, sondern sich vor allem auch in theologische Streitfragen einmischte, stimmte die bayerische Politik dem kaiserlichen Dekret zu, das Luther zum Geächteten erklärte und das offene Eintreten für seine Lehren unter Strafe stellte. Am 5. März 1522 verkündeten Wilhelm IV. und Ludwig X. gemeinsam ein vom Hofrat Leonhard von Eck (1480–1550) verfasstes Mandat, in dem Luthers Ideen ausdrücklich verurteilt wurden. Eine Nichteinhaltung des Mandates hatte eine unbarmherzige Bestrafung zur Folge. Auch gelang Wilhelm IV. eine enge Bindung an die päpstliche Kurie, was besonders schön in Hans Sebald Behams Holzschnitt Der Sturz des Papsttums (1525) zum Ausdruck kommt, in der der Herzog als Retter der Christenheit auftritt: Auf der rechten Bildseite fällt das Gebäude der Kirche mit dem Thron des Papstes in sich zusammen. Neben Kaiser Karl V. und Kaiser Maximilian I. ist es vor allem der in der Bildmitte positionierte Wilhelm IV., der den Papst vor dem Sturz bewahrt.
Medaille auf Martin Luther. Medaille, 1521. Staatliche Museen zu Berlin, Münzkabinett, Inventarnummer: 18237332,
Medaille auf Ludwig Senfl. Medaille (Bronze, gegossen), München 1526. National Gallery of Art, Washington, Inventarnummer: 1957.14.1298.a,
Medaille auf Herzog Albrecht von Brandenburg-Preußen. Münze (Dreigröscher), 1535. Staatliche Museen zu Berlin, Münzkabinett, Inventarnummer: 18230886,
Senfl korrespondierte (über Mittelsmänner in Nürnberg) nicht nur mit Martin Luther, sondern unterhielt auch viele Jahre lang einen Briefwechsel mit Herzog Albrecht von Brandenburg-Preußen (1490–1568). Bereits auf dem Augsburger Reichstag 1518, auf dem Wilhelms Schwester Susanna mit Albrechts Bruder Casimir verheiratet wurde, dürften sich die beiden kennengelernt haben. Der Herzog war bis 1525 der letzte Hochmeister des Deutschen Ordens, und trat 1525 zur Reformation über. Er säkularisierte den Orden und wandelte das Gebiet des Deutschordensstaates in Preußen in ein erbliches lutherisches Herzogtum Preußen um. Senfl hatte dem Herzog zur Hochzeit 1526 ein aufwendiges Set an Stimmbüchern übersandt und bis zu Beginn der 1540er Jahre wurden zwischen München und Königsberg zahlreiche Musikalien ausgetauscht, für die Senfl etwa mit Geld, einer goldenen Kanne oder auch Rosenkränzen aus Bernstein beschenkt wurde.
Titelseite zur Motette Mater digna Dei / Ave, sanctissima Maria. Chorbuch (Motettoru[m] | Liber Primus.), München 1520–1529. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Mus.ms. 12, fol. 55r
Das Titelblatt für diese Motette besagt, dass Senfls Dienstherr, Herzog Wilhelm IV. von Bayern, die Motette in Auftrag gegeben hat. Übersetzt lautet der hier niedergeschriebene Text etwa: Gebet an die unvergleichliche Jungfrau Maria, allein aus Andacht befohlen und aus freiem Willen und Gehorsam der Durchlaucht, Wilhelm, Herzog beider Bayern etc. Von seinem „musicus intonator“ Ludwig Senfl komponiert und inspiriert mit dem genauesten Fleiß und diktiert nach dem gütigsten Befehl seines Herzogs.
Die einzige andere Motette, von der bekannt ist, dass sie von Wilhelm persönlich in Auftrag gegeben wurde, ist der Motettenzyklus der Quinque Salutationes Domini Nostri Jesu Christi im Chorbuch D-Mbs Mus.ms. 10. Beide Chorbücher enthalten ausschließlich Werke von Josquin Desprez und Ludwig Senfl und dürften für Andachten am herzoglichen Hof angefertigt worden sein.
Mater digna Dei / Ave, sanctissima Maria. Chorbuch, München 1520–1529. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Mus.ms. 12, fols. 55v–56r
Der im Diskant, Contratenor, Tenor 2 und Bassus vorgetragene Text, Mater digna Dei, ist ein Andachtsgebet an die Jungfrau Maria, das in Gebetbüchern des 15. Jahrhunderts weit verbreitet war. Der Text betont die vermittelnde Kraft Marias in ihrer menschlichen Eigenschaft als Mutter Gottes, den mystischen Zugang der Gläubigen zu Maria und die Erlangung des geistigen Heils. Die von Senfl in dieser Motette verwendete Fassung lehnt sich eng an das Tesauro spirituale (Mailand: Ulrich Scinzenzeler, 3.12.1494), sig. [m6]r–v von Bernardino Busti an, einem Mitglied des Franziskanerordens und glühenden Verehrer der Jungfrau Maria. In München unterhielten die Franziskaner seit dem 13. Jahrhundert enge Beziehungen zu den Wittelsbachern: Das Kloster des heiligen Antonius von Padua befand sich in unmittelbarer Nähe der herzoglichen Residenz und wurde von den Herzögen unterstützt.
Herzog Wilhelm IV., der die Motette in Auftrag gab, könnte dieses Gebetbuch durch die Franziskaner kennengelernt haben. Dass der im Tenor 1 durchgeführte Text, Ave, sanctissima Maria, für den Herzog von außerordentlicher Bedeutung war, überrascht nicht. Die Popularität dieses Textes – auch er findet sich in den verschiedensten Gebets- und Andachtsbüchern der Zeit – lässt sich darauf zurückführen, dass er beim Beten einen Ablass von 11.000 (!) Jahren garantierte, wenn er vor dem Bild der Gottesmutter im Strahlenkranz gebetet oder gehört wird.
Hortulus Animae. Stundenbuch, Augsburg 1518. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Rar. 4004, fols. LVIIIv-LIXr
Quinque Salutationes Domini Nostri Jesu Christi. Chorbuch (Motettor[um] Liber Secu[n]dus), München 1520–1529. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Mus.ms. 10, fols. 1v–2r
Der Text dieses Motettenzyklus, der in Gebets- und Andachtsbüchern der Zeit zu finden ist. Wie schon bei der Marienmotette in D-Mbs Mus.ms. 12 verfügt auch dieser Zyklus über eine Titelseite, die darüber informiert, dass Senfl den Text auf Wunsch von Wilhelm IV. vertont hat. In diesem, sich direkt an Christus wendenden Gebetstext kommt jene Mystik und schlichte Religiosität zum Ausdruck, die seit jeher einen wesentlichen Bestandteil der franziskanischen Ordenswelt darstellt und die die Suche der Gläubigen nach persönlicher Nähe zu Gott bediente, gerade auch in der Zeit vor der Reformation.
Bei den beiden Chorbüchern D-Mbs Mus.ms. 10 (Motettorum Liber Secundus) und 12 (Motettorum Liber Primus) handelt es sich um zwei Handschriften, die in ihrer inhaltlichen Zusammenstellung mit ausschließlich von Josquin Desprez und Ludwig Senfl stammenden Motetten für Christus (Mus.ms. 10) bzw. Maria (Mus.ms. 12) sehr stark aufeinander Bezug nehmen und abgestimmt sind. Die Zusammenstellung der beiden Bände liefert somit ein konkretes Repertoire an Werken für die Marien- und Christusverehrung am Hof Herzog Wilhelms IV.
Tesauro spirituale. Gebetbuch, Mailand 3.12.1494. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Inc.c.a. 199, sig. p[1]r–v
Musik im/und GottesdienstBayerische Staatsbibliothek
Musik im/und Gottesdienst
Bei den meisten Werken, die uns aus den Chorbüchern aus der Zeit Wilhelms IV. überliefert sind, handelt es sich um liturgische Werke. Die Liturgie der Gottesdienste am Herzogshof hatte dabei den Vorgaben der Diözese Freising zu folgen. Dies spiegelt sich auch im mehrstimmigen Repertoire wider, doch lassen sich darin auch Abweichungen von der Diözesanliturgie finden, die möglicherweise als Spuren einer „Hofliturgie“ interpretiert werden können. Den Sängern der Hofkapelle oblag dabei die Ausführung des täglichen morgendlichen Hochamtes, der Vigilien der Festtage zur Vesper oder auch der bereits unter Albrecht IV. gestifteten Salve-Andacht. Die Ursprünge dieses „täglichen Dienstes“, der auch das Schreiben und Kopieren von Musik beinhaltete, liegt in den frühen (kaum bekannten) Anfängen der Hofkapelle, die mutmaßlich aus Priestern und Schreibern bestand. Erst unter Wilhelm IV. kommt es mit der Anstellung Senfls zu einer regulären mehrstimmigen Gestaltung der Gottesdienste.
Die Indienstnahme Senfls und anderer Musiker aus der ehemaligen kaiserlichen Hofkapelle deutet bereits an, dass Wilhelm in der Ausrichtung seiner eigenen Kapelle hinsichtlich Struktur und Repertoire der Tradition seines Onkels, Kaiser Maximilians I., folgte, der mit den mehrstimmigen Proprien und Choralordinarien von Senfls Lehrer Heinrich Isaac musikalisch streng auf das Kirchenjahr ausgerichtet war. Diese Werke, die Senfl aller Wahrscheinlichkeit nach mit nach München bringen konnte, bildeten den Grundstock für ein über mehrere Generationen andauerndes Kompositionsprojekt, das kontinuierlich erweitert wurde und alle liturgischen Gattungen umfasste. Wie an den angeschmutzten und ausgebesserten unteren Ecken bzw. den Blatträndern der Chorbücher erkennbar ist, waren „alte“ liturgische Kompositionen auch am Ende des 16. Jahrhunderts noch regelmäßig in Gebrauch und wurden z.T. überarbeitet.
Die Münchner Hofkapelle beim Gottesdienst in der Georgskapelle der Neuveste. Chorbuch (Bußpsalmen-Codex), München ca. 2. H. 16. Jahrhundert. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Mus.ms. A II(1, S. 185
Iustum crucis socium (Ausschnitt aus der Sequenz Deus in tua virtute für das Fest des Hl. Andreas). Chorbuch (Sanctoru[m] dieru[m] | Hyemalium Liber B), München ca. 1525–1531. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Mus.ms. 37, fols. 10v–11r
Zwischen Frömmigkeit und ReformationBayerische Staatsbibliothek
Senfl ergänzte und erweiterte die Proprienvertonungen seines Lehrers Heinrich Isaac, die er in unbekannter Aufzeichnungsform aus dem Bestand der kaiserlichen Hofkapelle an seine neue Anstellung gebracht haben dürfte. In vier großformatigen Chorbüchern präsentierte er seinem Dienstherren, Wilhelm IV., ein mehrstimmiges Graduale für das Kirchenjahr. Die Bücher – Mus.ms. 35–38 – sind gegliedert in Winter- und Sommerhalbjahr und bieten mehrstimmige Proprienvertonungen und Messen für Hoch- und Heiligenfeste. Ungewöhnlich für die Zeit verarbeitet Senfl den mehrstimmigen Choral im Bassus und nicht wie üblich im Tenor. Isaac hatte den cantus firmus dagegen in die oberste Stimme (Discantus) gelegt.
Deus in tua virtute (Sequenz zum Fest des Hl. Andreas). Druck, Wien 1511. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Res/2 Liturg. 451 p, fols. 211v–212r
Musik für den Gottesdienst bzw. das Stundengebet war in der Regel für eine alternatim-Ausführung konzipiert, d.h., die Verse bzw. Abschnitte der Gesänge wurden abwechselnd ein- und mehrstimmig gesungen. Jede Diözese hatte dabei ihre eigene Choraltradition, die erst mit dem Konzil von Trient in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und der Einführung des Graduale Romanum vereinheitlicht wurde. Für die Diözese Freising hat sich kein Buch mit solchen einstimmigen Melodien erhalten, bzw. ist unklar, ob ein solches jemals existiert hat. Als Ersatz dient daher das Graduale der Diözese Passau, mit dem sich sowohl die Werke Isaacs als auch Senfls erstaunlich gut ergänzen lassen.
Titelblatt des Chorbuches mit Widmungstext an Herzog Wilhelm IV.. Chorbuch (Sanctorum dierum // Hyemalium // Liber [A]), München 1525–1531. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Mus.ms. 38, fol. 1r
Wie schon bei den Motetten Quinque Salutationes Domini Nostri Jesu Christi und Mater digna Dei/Ave, sanctissima Maria verfügen auch die Chorbücher Mus.ms. 35–38 eine Zueignung an den Herzog. Dieses von Senfl als En Opus Musicum betitelte Werk wurde in der zweiten Hälfte der 1520er Jahre niedergeschrieben und wurde ca. 1531 vollendet. Die Widmung besagt, dass das Opus Musicum zwar glücklich und mit großem Erfolg von Heinrich Isaac begonnen worden war, der größte Teil aber – bedingt durch Schicksal (nämlich Isaacs Tod im Jahr 1517) – unvollendet hinterlassen werden musste. Nun liegt es vollendet vor, fertig gestellt durch seinen Schüler Ludwig Senfl. Wie so oft dürfte die Musik dieser Chorbücher auch in diesem Fall zunächst als einzelne Faszikel in Verwendung gewesen sein, bevor diese dann zu einem Chorbuch zusammengebunden wurden.
MAGNIFICAT OCTO TONORUM (SC Mag 1). Stimmbuch (RISM A/I S 2807), Nürnberg 1537. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: 4 Mus.pr. 159Beibd.3, sig. A [1]r
Zu Senfls Pflichten gehörte das Komponieren von liturgischer Musik, die während der täglichen Gottesdienste gesungen wurde. Dabei war sowohl der Messgottesdienst als auch das Stundengebet zu berücksichtigen, als dessen zentraler Gesang das Magnificat, der Lobgesang Mariens, gelten kann. Obwohl keinerlei handschriftliche Quellen aus dem Bestand der Hofkapelle erhalten sind und Senfls Magnificat-Zyklus erst 1537 gedruckt wurde, dürften die acht nach Kirchentönen geordneten Vertonungen zu den frühesten Arbeiten Senfls für den Münchner Hof gehören.
einstimmige Choralmelodie für das Magnificat im 1. Ton. Orgelbuch, Augsburg 1518. Ludwig-Maximilians-Universität, Universitätsbibliothek, Signatur: 4° Cod.ms. 170, fols. 150v-151r [recte: fols. 153v-154r]
Das alternierende Musizieren von mehreren Gruppen während liturgischer Feiern (Alternatim-Praxis, von lat. alternatim = wechselweise) konnte auf verschiedene Weise ausgeführt werden. Kennzeichnend für die Aufzeichnungsform von Alternatim-Kompositionen ist, daß nur die mehrstimmig vorzutragenden Abschnitte aufgeschrieben wurden, während die einstimmigen Abschnitte aus liturgischen Büchern ergänzt wurden.
Dieses alternierende Musizieren konnte auf verschiedene Weise ausgeführt werden. Die nicht notierten Abschnitte wurden dann z.B. instrumental (mehrstimmig, improvisiert) oder vokal (einstimmig) vorgetragen. Die Mitwirkung der Orgel ist seit der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert fest in der Alternatim-Praxis belegt und umfasst alle liturgischen Gesänge der Messe und des Stundengebets (Ordinarium, Proprium, Hymnen, Magnificat, Te Deum u. a.). Bei der hier gezeigte Quelle handelt es sich um eines von mehreren Orgelbüchern von Bernhard Rem, der spätestens seit 23. August 1521 als Organist der Familie Fugger in Augsburg tätig war und der in mehreren Handschriften der Zeit als Schreiber fungierte. Das Orgelbuch zeichnet die einstimmigen Melodien für die Liturgie an St. Anna in Augsburg auf und legt so Zeugnis für die Musikpraxis im dortigen Kloster ab.
Darauf, dass sie für das liturgische Orgelspiel angelegt wurden, weisen mehrere Merkmale hin, die allen Handschriften gemeinsam sind und die sie von den meisten anderen Choralhandschriften unterscheiden: An mehreren Stellen wird in Anweisungen auf das liturgische Orgelspiel hingewiesen und es wurden meist nur diejenigen Phrasen aufgeschrieben, die bei Alternatim-Ausführung von der Orgel übernommen werden sollten.
Die Münchner Hofkapelle beim Gottesdienst in der Georgskapelle der Neuveste. Chorbuch (Bußpsalmen-Codex), München ca. 2. H. 16. Jahrhundert. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Mus.ms. A II(1, S. 186
Das Bild aus dem Codex, in dem die Vertonungen der Bußpsalmen Orlando di Lassos mit reich verzierten Miniaturmalereien umrahmt und kommentiert werden, zeigt die Münchner Hofkapelle beim Gottesdienst in der unter Wilhelm IV. erbauten Georgskapelle der Neuveste.
Kaiser Maximilian I. hört die MesseBayerische Staatsbibliothek
Jenseits der Liturgie, außerhalb des HofesBayerische Staatsbibliothek
Jenseits der Liturgie, außerhalb des Hofes
Ludwig Senfl war nicht nur für den Münchner Hof tätig. Die neuere Forschung zeigt, dass Senfls Auftrags- und Widmungskompositionen einen nicht unwesentlichen Raum einnahmen. Neben der Arbeit für seinen Dienstgeber Herzog Wilhelm IV. reichen sie von Kompositionen für Herzog Albrecht von Preußen, über Liedsätze für königliche und herzogliche Hochzeiten, Patrizierfamilien, bürgerliche Kreise oder den niederen Adel. Senfl arbeitete mit befreundeten Humanisten wie Simon Minervius zusammen, vertonte Psalmen für Martin Luther oder komponierte für Gelehrte wie den Benediktiner Wolfgang Seidel. Vor allem aber die Stadt Augsburg spielte in verschiedener Hinsicht eine wichtige Rolle für den Komponisten und er dürfte seit dem Reichstag 1518, spätestens aber seit dem Druck des Liber selectarum cantionum in der freien Reichsstadt gut vernetzt gewesen sein – immerhin gehörten zu seinen Auftraggebern die Familie Fugger, der Patrizier Christoph Ehem oder die aus der Kaufmannsfamilie Adler stammende Katharina von Logschau.
Medaille auf Ludwig Senfl. Portraitmedaille, München? 1529. Staatliche Münzsammlung München, Inventarnummer: 11-0223, Vorderseite
Ade mit laid. Stimmbuch mit chorbuchartiger Notierung, München um 1520. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Mus.ms. 3155, fol. 42r
Diese als „Lieder-Chansonnier“ gedachte Handschrift – sie wurde im Umfeld des Hofes Kaiser Maximilians I. begonnen, blieb aber zunächst unabgeschlossen, wurde dann unter anderen Voraussetzungen am Münchner Hof fortgesetzt, schließlich aber nicht zu Ende geführt – stellt das weltliche Pendant zum Liber selectarum cantionum dar und inszeniert eine „Retrospektive des maximilianischen Liedgutes“ (N. Schwindt). Sie entspricht in ihrem Format den Stimmbüchern der Zeit, weist in der Notation aber ein chorbuchähnliches Layout auf. Sowohl Intention, als auch Auftraggeber und Empfänger sind unbekannt. Vermutlich dürfte Siegmund von Dietrichstein, Protegé Kaiser Maximilians I., zumindest als Geldgeber und als Vermittler des Textschreibers aus der kaiserlichen Kanzlei für das repräsentativ angelegte Manuskript fungiert haben. Ludwig Senfl tritt erneut als mutmaßlicher Redaktor des Repertoires auf, ist aber auch der dominierende Hauptautor dieser Liedersammlung, in welcher sich der sich wandelnde Umgang mit Liedern der maximilianischen Ära dokumentiert.
Medaille auf Siegmund von Dietrichstein und seine Frau Barbara von Rottal. Medaille (Silber, geprägt), Münzstätte Hall in Tirol ohne Jahr. Staatliche Münzsammlung München, Inventarnummer: rm0003, Vorderseite
Der aus dem niederen Adel stammende Kärntner Siegmund von Dietrichstein (1484–1533) war Feldherr und Vertrauter für Kaiser Maximilian I. und seinen Sohn Ferdinand I. Seine Erfolge für die Habsburger ermöglichten ihm den Zugang zum Hochadel, was sich beispielsweise bei der Hochzeit Siegmunds mit Barbara von Rottal zeigt, die im Rahmen der Feierlichkeiten zur Wiener Doppelhochzeit 1515 stattfand. Auch die Freistellung des Stempelschneiders der kaiserlichen Münzstätte Hall für Dietrichsteins Medaillenaufträge war ein Zeichen der Bedeutung Siegmunds.
Mein Fleiß und Müh (i) (SC S 230). Lautentabulatur, München 1533–ca.1544. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Mus.ms. 1512, fol. 3v
Die Lautentabulatur D-Mbs Mus.ms. 1512 ist mit der Lautentabulatur Mus.ms. 40632 in der Musikabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz verwandt. Beide Handschriften tragen ein Allianzwappen des Münchner Herzogspaares, und in beiden Tabulaturen finden sich Werke des Intabulators „H.D.“. Nach Adam Reißner wurde das Lied von Georg von Frundsberg (1473–1528), einem berühmten Landsknechtsführer der damaligen Zeit, einige Zeit nach der Schlacht von Pavia im Jahr 1525 geschrieben. Die Schlacht war ein großer Erfolg für die Truppen Karls V. (1500–1558), da der französische König, Franz I. (1494–1549), gefangen genommen wurde. In Georg Forsters Liedersammlung von 1539 wird dagegen ein anderer Soldat der Schlacht von Pavia als Verfasser des Textes genannt: der aus Tölz stammende Caspar Winzerer (1465/75–1542). Winzerer stand mindestens 1540 mit Ludwig Senfl in Kontakt.
Nisi Dominus aedificaverit domum (SC M 65). Musikdruck (Tenor, Discantus, Contratenor, Bassus), Nürnberg 1537. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Mus.pr. 9606, Titelblatt, sig. [H4]r, i 3r, Hh 3r
Bildnis des Anton Fugger. Portraitbild, um 1525. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Signatur: Inv.-Nr. 1722,
Portraitmedaille auf Anna Rehlinger (Rechlinger) von Horgau. Portraitmedaille (Silber), 1529. Staatliche Museen zu Berlin, Münzkabinett, Inventarnummer: 18200955, Vorderseite
WIewol vil herter Orden sind (iii) (SC S 343). Stimmbuch (Tenor primus & Tenor secundus), Nürnberg 1544. Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Signatur: Mus.ant.pract. O 125, sig. d ijv
Der Briefverkehr zwischen Senfl und Herzog Albrecht von Brandenburg-Preußen in Königsberg, erlaubt äußerst lebendige Einblicke in die Transferprozesse und die Rezeption von Musik in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Der Herzog erbat in diesem Briefverkehr, der nicht selten von Senfls Kollegen Lucas Wagenrieder geführt wurde, um die Vertonung von Liedmelodien (wie im vorliegenden Fall), oder um Abschriften von Kompositionen, auch wenn diese nicht von Senfl waren.
Medaille auf Herzog Albrecht von Brandenburg-Preußen. Münze (Dreigröscher), 1535. Staatliche Museen zu Berlin, Münzkabinett, Inventarnummer: 18230886,
Senfl korrespondierte (über Mittelsmänner in Nürnberg) nicht nur mit Martin Luther, sondern unterhielt auch viele Jahre lang einen Briefwechsel mit Herzog Albrecht von Brandenburg-Preußen (1490–1568). Bereits auf dem Augsburger Reichstag 1518, auf dem Wilhelms Schwester Susanna mit Albrechts Bruder Casimir verheiratet wurde, dürften sich die beiden kennengelernt haben. Der Herzog war bis 1525 der letzte Hochmeister des Deutschen Ordens, und trat 1525 zur Reformation über. Er säkularisierte den Orden und wandelte das Gebiet des Deutschordensstaates in Preußen in ein erbliches lutherisches Herzogtum Preußen um. Senfl hatte dem Herzog zur Hochzeit 1526 ein aufwendiges Set an Stimmbüchern übersandt und bis zu Beginn der 1540er Jahre wurden zwischen München und Königsberg zahlreiche Musikalien ausgetauscht, für die Senfl etwa mit Geld, einer goldenen Kanne oder auch Rosenkränzen aus Bernstein beschenkt wurde.
Lucas Wagenrieder (1484/1489/1490–1567) war seit 1510 als Altist und Kopist im Dienst Maximilians I. und trat nach dessen Tod wie Ludwig Senfl in den Dienst Wilhelms IV. ein. In München wurde er am 19. Januar 1544 zum Chorherr an der Münchner Frauenkirche berufen. Bald nach dem Tod Wilhelms IV. im April 1550 schied er aus dem Kapelldienst aus. Wagenrieder war auch der Notator des zweiten Teiles des „Lieder-Chansonniers“ D-Mbs Mus.ms. 3155.
Handschriftlich notierter Text zur Motette Tristia fata boni. Manuskript, Benediktinerabtei Tegernsee 16. Jahrhundert. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Clm 18688, fol. 9r
Die verschiedenen Autoren, deren Gedichte Senfl vertonte, lassen darauf schließen, dass er gute Verbindungen zu einem vielfältigen humanistischen Netzwerk hatte. Der Text dieser humanistischen Motette, die den Trost einer besseren Zukunft zum Inhalt hat, ist ein auf 1532 datiertes Epitaph von Wolfgang Seidl, einem Benediktinermönch aus Tegernsee, der vom bayerischen Hof berufen wurde, um von 1532 bis 1560 als Prediger im Augustinerkloster in München zu wirken.Das Gedicht findet sich in einer autographen Anthologie der Schriften Seidels, der stolz vermerkt: „Super hoc carmen composuit harmoniam musicam Ludouicus Senflius inter nostrates musicus celeberrimus, quæ passim iam etiam in scholis cantatur.“ („Ludwig Senfl, der berühmteste Musiker unserer Zeit, schrieb eine Vertonung dieses Gedichtes, die noch heute in einigen Schulen gesungen wird.“)
Senfls Satz findet sich in der von Melchior Kriesstein in Augsburg gedruckten Anthologie Selectissimae necnon familiarissime cantiones, die von dem gebürtigen Münchner Sigmund Salminger besorgt und der Familie Fugger gewidmet worden war. Sie ist die einzige Quelle, die diese Motette in Mensuralnotation überliefert. Nur das Berliner Lautenbuch D-B Mus. ms. 40632, dessen Einband mit dem bayerischen und badischen Allianzwappen und der Jahreszahl 1528 versehen ist, überliefert eine Transkription aller vier Stimmen der Motette in deutscher Tabulatur für eine sechschörige Laute.
Selectissimae necnon familiarissime cantiones, ultra centum. Musikdruck, Augsburg 1540. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Mus.pr. 142, Titelblatt
Der Druck der Selectissimae necnon familiarissime cantiones umfasst mehr als 100 Stücke der aktuellen Musikproduktion der Zeit, die nach Gattungen bzw. nach Sprachen (lateinisch, französisch, italienisch, deutsch, niederländisch) und innerhalb der Gruppen nach absteigender Stimmenzahl geordnet sind.
Bei diesem in der BSB vorhandenen Diskantbuch eines ansonsten verlorenen Stimmbuchsatzes dürfte es sich aufgrund der aufwendigen Gestaltung mit einer in Gold geprägten Motette auf dem Einband um ein Geschenk handeln, womöglich an Königin Maria von Ungarn, für die Salminger noch weitere Drucke herstellte.
Tristia fata boni solatur (SC M 116). Musikdruck (Selectissimae necnon familiarissime cantiones, ultra centum), Augsburg 1540. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Mus.pr. 142, sig. d ijv
CArole, cur defles. Stimmbuch (Tenor; Concentus octo, sex, quique et quatuor vocum), Augsburg 1545. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: 4 Mus.pr. 106, sig. G iij v
Der Druck des Concentus octo, sex, quinque & quatuor vocum stellt die erstmalige Zusammenarbeit von Sigmund Salminger und dem Drucker Philipp Ulhart da. In seinem Vorwort beschreibt Salminger den Inhalt der Sammlung als handverlesen, sowohl im Hinblick auf die Musik als auch auf den Text, wobei der Herausgeber betont, dass alle Texte der Hl. Schrift entnommen sind – eine Übertreibung, um die Augsburger gnädig zu stimmen, denn Salminger hatte zunächst mit der Reformation sympathisiert und sich nach seinem Weggang von München nach Augsburg sogar den Wiedertäufern angeschlossen.
Das letzte Drittel der Motetten wird mit drei aufeinander folgenden Trauerkompositionen eröffnet: Carole, cur defles des kaiserlichen Kapellmeisters Nicolaus Payen (für die am 1. Mai 1539 verstorbene Gattin Kaiser Karls V., Isabella von Portugal), Quid vitam sine te von Ludwig Senfl und Tantum igitur potuit von Leonhardus Zinsmaister. Indem er eine Trauermotette von kaiserlicher Bedeutung mit zwei Klageliedern von lokalem Wert verknüpfte, glich Salminger die verschiedenen religiös-politischen Interessen aus, zwischen denen er sich bewegte. Gleichzeitig dürfte sich Salminger durch die Aufnahme von zwei Motetten zum Gedenken an zwei Mitglieder der Augsburger Patrizierfamilien – die Rehlinger und die Ehem – die Gunst der Augsburger Elite zu gewinnen erhofft haben.
QVid vitam sine te (SC M 90). Stimmbuch (Tenor; Concentus octo, sex, quique et quatuor vocum), Augsburg 1545. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: 4 Mus.pr. 106, sig. G [iv]v
Der Text von Senfls Trauermotette stammt von Johann Koler (gest. vor dem 21. März 1538), Kanonikus von St. Moritz in Augsburg, der mit Erasmus von Rotterdam (ca. 1466–1536) korrespondierte und in den religiösen und humanistischen Kreisen des frühen 16. Jahrhunderts in Augsburg tätig war. Die Überschrift der Motette informiert darüber, dass sie vom Augsburger Patrizier Christoph Ehem anlässlich des Todes seiner Frau Anna († 13.4.1535), einer Tochter des protestantischen Bürgermeisters Ulrich Rehlinger, in Auftrag gegeben wurde. Die Motette, die in dieser Quelle auf Quid vitam sine te folgt (Nr. 27: Tantum igitur potuit), ist eine Naenie von Leonhard Zinsmaister für Christoph Ehem selbst, der am 26. Oktober 1536 oder 1537 verstarb. Alle drei Motetten sind als Unika in diesem Druck überliefert und haben ein gemeinsames Merkmal: In jeder Motette tritt der/die Verstorbene in einen Dialog mit den Lebenden, um Trost zu spenden.
TAntum igitur potuit. Stimmbuch (Tenor; Concentus octo, sex, quique et quatuor vocum), Augsburg 1545. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: 4 Mus.pr. 106, sig. H ijv
CRux fidelis inter omnes (SC M 23). Einblattdruck (Kreuzkanon), Nürnberg ca. 1538. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: 2 Mus.pr. 156-1/8, Vorderseite
Bei dem hier gezeigten Kreuzkanon handelt es sich um einen doppelten Krebskanon (zwei Stimmen sind jeweils von vorne nach hinten und von hinten nach vorne zu lesen). Senfls komponierte drei solcher in Kreuzform dargestellten Kanons, wobei alle drei Kanons die Passion Christi thematisieren. Allerdings haben sich nur zwei Einblattdrucke erhalten. Diese wurden vermutlich als Set bei Johannes Petreius in Nürnberg gedruckt. Alle weisen dieselbe Ikonographie und dieselbe Kanonanweisung auf („Misericordia et veritas obviaverunt sibi; iustitia et pax osculatæ sunt = „Gnade und Wahrheit haben sich getroffen, Gerechtigkeit und Frieden haben sich geküsst.“), die bereits seit Beginn des mehrstimmigen Notendrucks bekannt ist und später auch Leonhard Paminger und Adam Gumpelzhaimer zu entsprechenden Kanonkompositionen inspiriert haben.
KEin Adler in der welt so schon (SC S 191). Stimmbuch (Tenor primus & Tenor secundus), Nürnberg 1544. Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Signatur: Mus.ant.pract. O 125, sig. c [i]v–c [ij]r
Das hier gezeigte Lied, dessen Text die Schönheit einer Dame besingt und das in zahlreichen Vertonungen aus dem 1530er bis 1560er Jahren überliefert ist, identifiziert durch die ersten. Buchstaben jedes Strophenbeginns (Akrostichon) – eine gewisse Ke-Trü-Na Von“ als Widmungsträgerin. Hatte die ältere Forschung bislang versucht zu erklären, dass es sich hierbei um ein Liebeslied mit starkem Konnex an Kaiser Maximilian und das Haus Habsburg handeln würde, konnte Sonja Tröster vor Kurzem die wahren Hintergründe herausfinden und deutlich machen, dass es sich bei der gepriesenen Dame um Katharina von Logschau handelt, die als Tochter der (auch die Wilhelm IV. mit Kredite subventionierenden) Augsburger Patrizierfamilie Adler im Februar 1534 Georg von Logschau heiratete. Sie zählte zu den schönsten Frauen der damaligen Zeit zählte, wurde ob ihrer schönen Stimme und ihrer Musikalität gepriesen und lebte ab 1567 als Obersthofmeisterin von Philippine Welser und Ferdinand II. auf Schloß Ambras bei Innsbruck.
Bologna – Innsbruck – München – AugsburgBayerische Staatsbibliothek
Bologna – Innsbruck – München – Augsburg
Wie in einem Brennglas scheinen sich im Jahr 1530 die Lebensentwicklungen der verschiedenen Beteiligten der hier gezeigten Kabinettpräsentation zu bündeln: Karl V. – am 24. Februar vom Papst in Bologna zum Kaiser gekrönt – berief auf dringende Bitte seines Bruders Ferdinand I. zur Verhandlung verschiedenster dringender Angelegenheiten einen Reichstag in Augsburg ein, der vom 20. Juni bis zum 19. November stattfand. Der prunkvolle Zug des Kaisers nach Norden erfolgte über Mantua, Peschiera, Rovereto, Trient, Innsbruck und München, und Musik – nicht zuletzt die Musik Ludwig Senfls – begleitete den Kaiser von Bologna zurück ins Heilige Römische Reich und erklang an den verschiedenen Stationen des Weges. Schließlich wandte sich auch Martin Luther, der Senfls Musik wie auch die Qualität der Münchner Hofkapelle überaus schätzte und der über die religionspolitischen Entwicklungen zutiefst betrübt war, in einem Brief an den Komponisten. Von der Veste Coburg aus bat er ihn um die Vertonung des Textes In pace in idipsum, die Senfl aber offenbar mit der tröstenden Motette Non moriar sed vivam beantwortete.
Medaille auf Karl V. und Ferdinand I.. Portraitmedaille (Blei, gegossen), 1532. Staatliche Münzsammlung München, Inventarnummer: 11-0405, Vorderseite
Die großformatige Medaille von 1532 zeigt Kaiser Karl V. mit seinem Bruder Ferdinand, dem späteren Kaiser Ferdinand I. Auf der Rückseite ist deren Schwester, Maria von Ungarn zu sehen, Witwe des ungarischen Königs und neue Statthalterin der Niederlande.
Martia terque quater (SC *M 54). Stimmbücher, gestickt, Augsburg? ca. 1530. Kunsthistorisches Museum Wien (KHM Museumsverband), Inventarnummer: KK 5370, Vorderseite des Discantus/Contratenor/Tenor mit Wappen Karls V.
Nachdem Karl V. am 24. Februar 1530 in Bologna zum Kaiser gekrönt worden war, ritt dieser zunächst nach Innsbruck, wo am 4. Mai 1530 der festliche Einzug in die Stadt stattfand. Grund für diese Zwischenstation war die geheime Abstimmung der unterschiedlichen Interessen der altgläubigen Herrscher für den Augsburger Reichstag 1530, eine Unterredung, bei der auch Wilhelm IV. anwesend war. Karl V. erhielt zu dieser Ankunft im Heiligen Römischen Reich ein besonderes Geschenk: Eine seidene und mit Goldborte verzierte Tasche, die zwei mit Gold-, Silber- und Seidenfäden bestickte und mit Perlen besetzte Sets von Stimmbüchern enthielt. Darin findet sich Senfls vierstimmiges Tenorlied Aus guetem Grund (für die Gemahlin Ferdinands I. und Ambraser Hausherrin, Anna, Königin von Ungarn und Böhmen), und eine anonyme sechsstimmige Motette mit dem Text Martia terque quater, deren panegyrischer Text den Kaiser mit verschiedenen Anspielungen auf antike literarische Vorbilder als Friedensbringer preist, und die mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls von Senfl stammt.
Martia terque quater (SC *M 54). Stimmbücher, gestickt, Augsburg? ca. 1530. Kunsthistorisches Museum Wien (KHM Museumsverband), Inventarnummer: KK 5373, erste Aufschlagsseite des Bassus (Beginn der Motette)
Medaille auf Anna, Königin von Ungarn und Böhmen. Medaille, Ungarn nach 1530 (Bleiabguss aus dem 18. Jh.). Göttingen, Münzkabinett der Universität, Sammlung der Münzabschläge, Inventarnummer: MA-3174, Vorderseite (© Münzkabinett der Universität Göttingen, Foto Stephan Eckardt)
Grabplatte Lucas Wagenrieders. Münchner Frauenkirche 1567. Foto: @Gregor Hofbauer
Manöver zu Ehren Kaiser Karls V. anlässlich dessen Besuchs in München 1530. Holzschnitt, 1530. München, Stadtarchiv, Historischer Verein von Oberbayern, Inventarnummer: DE-1992-HV-BS-E-01-10,
Manöver zu Ehren Kaiser Karls V. anlässlich dessen Besuchs in München 1530Bayerische Staatsbibliothek
Nach seinem Aufenthalt in Innsbruck zog Karl V. mit großem Gefolge weiter nach München, wo er am 10. Juni 1530 (Freitag nach Pfingsten) ankommt. Der große Holzschnitt von Sebald Beham (gedruckt von Nikolaus Meldemann in Nürnberg) zeigt die militärischen Ehren, die dem Kaiser bei seiner Ankunft in München zuteilwurden.
Karl V. weilte bis zum 14. Juni 1530 in München. Er geht auf die Jagd, hört am 12. Juni in der Frauenkirche eine Messe und wohnt am Abend dieses Sonntages einem Bankett im Lustgarten Wilhelms IV. bei, das der Kaiser nach dem 32. Gang (der Hälfte des Essens) beendet.
Missa Dominicalis L’homme armé (SC O 3; Beginn des Kyrie). Chorbuch (Sanctoru[m] dieru[m] | Hyemalium | Liber B), München ca. 1525–1531. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Mus.ms. 37, fols. 146v–147r
In dieser Messe Senfls, die mutmaßlich am 12. Juni 1530 (Sonntag nach Pfingsten) erklang und für den Besuch des Kaisers komponiert worden sein dürfte, werden zwei cantus firmus vertont: ein liturgischer Choral, der für hohe Sonntage im Jahreskreis zutrifft (officium maius dominicale) und vor allem im Discantus durchgeführt wird; und die weltliche L’homme armé-Melodie, ein Kreuzzugslied, das in mehr als 40 mehrstimmigen Messvertonungen zwischen 1450 und dem Ende des 17. Jahrhunderts verarbeitet wurde. L’homme armé-Messen zeigen die künstlerischen Fähigkeiten des Komponisten, der mit der Komposition einer solchen Messe gezielt auf andere Kollegen Bezug nahm und sich so bewusst in die lange Tradition solcher Werke einreihte.
Ecce quam bonum (SC M 038). Stimmbücher (Novum et insigne opus musicum), Nürnberg 1537. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Mus.pr. 9606, [Bassus 58r]
Eigentliches Ziel Karls V. war freilich der Reichstag in Augsburg, wo neben zahlreichen reichspolitischen Angelegenheiten (etwa die Bestätigung der Stimmen der Kurfürsten für die Wahl Ferdinands I. zum römischen König) vor allem die Glaubensfrage die Beratungen dominierte. In einer Sammlung von Predigten über das Leben und Wirken Martin Luthers, die erstmals 1566 in Nürnberg veröffentlicht wurde, berichtet Johann Mathesius, dass Senfl die Motette Ecce quam bonum mit ihrem Psalmtext zur Einigkeit von Brüdern anlässlich der Ankunft von Kaiser Karl V. komponiert hatte.
ABschiedt des Reichßtags zů Augspurg Anno M.D.xxx. gehalten.. Buch, Mainz 1530. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: 2 J.rom.f. 10Beibd.7, Titelblatt
Portraitmedaille auf Ludwig Senfl. Portraitmedaille, ohne Jahr. Kunsthistorisches Museum Wien (KHM Museumsverband), Inventarnummer: 14698bß, Vorderseite
Bei dieser einseitigen Medaille mit nur 31 mm Durchmesser, deren einziges bekanntes Stück sich im Münzkabinett des Kunsthistorischen Museums in Wien befindet, ist das Gesicht feiner herausgearbeitet. Es zeigt den Komponisten im Vergleich zu früheren Medaillen mit einer nun auffallenden korpulenten Physiognomie und den in Hals, Wangen und Unterlippe zum Vorschein kommenden Zügen des Alters.
War es bereits Albrecht IV. (1447–1508) – durch massive Einflussnahme im Zuge des Neubaus der Münchner Frauenkirche und mittels päpstlicher Unterstützung – gelungen, München zum neuen landeskirchlichen Zentrum des Herzogtums Bayern auszubauen, so stellt Wilhelm IV. (1493–1550) seine Regentschaft in den Dienst eines uneingeschränkten Kampfes für den katholischen Glauben. Die herzogliche Residenz freilich baut er im Hinblick auf die Architektur, die Bildende Kunst, aber auch auf eine nie dagewesene Musikkultur zu einer Hofhaltung aus, die der Tradition, der Frömmigkeit und der Repräsentation verpflichtet war und die auch die Bewunderung Martin Luthers hervorrief („Duces Bavariae laudo in hoc, quia Musicam colunt.“ — „Die Herzöge von Bayern lobe ich darin, dass sie die Musik pflegen.“, Martin Luther, Über die Musik, 1530).
Die Anstellung von Ludwig Senfl und dessen Musikerkollegen war für den Münchner Herzog ein willkommener Glücksfall, der es ihm erlaubte, den Münchner Hof kulturell international „salonfähig“ zu machen und ihn zu einem neuen religions- und kultur-politischen Zentrum zu etablieren, dessen Rolle als Wortführer und Speerspitze der „Gegenreformation“ bis in die heutige Zeit nachwirkt.
… quia Musicam colunt. Wilhelm IV., Ludwig Senfl und die Anfänge der Münchner Hofkapelle
Die virtuelle Ausstellung basiert auf einer Kabinettpräsentation der Musikabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek in Zusammenarbeit mit der New Senfl Edition aus dem Jahr 2023.
Konzeption:
Dr. Stefan Gasch
Kuratoren:
Dr. Stefan Gasch
Dr. Veronika Giglberger
Bernhard Lutz
Technische Umsetzung:
Christian Eidloth
Musikbeispiele:
Track 1: Ludwig Senfl: Salve sancta parens
Mit freundlicher Genehmigung des Ensembles Vox Nostra und Burkhard Wehner (Leitung)
Track 2: Sebastian Ochsenkuhn: Der ehlich Stand (Ludwig Senfl)
Mit freundlicher Genehmigung von Stefan Grasse
Track 3: Ludwig Senfl, In Ascensione Domini, Introitus Viri Galilei, quid admiramini
Mit freundlicher Genehmigung des Ensembles Orlando Fribourg und Laurent Gendre (Leitung)